Abitur:Lehrerpräsident hält Berliner Abitur für anspruchslos

Abitur

Ist das Berliner Abitur mit dem bayerischen vergleichbar?

(Foto: dpa)
  • Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, fordert, dass vermeintlich anspruchsvolle Länder wie Bayern die Abiturzeugnisse vermeintlich anspruchsloser Länder wie Berlin nicht anerkennen sollen.
  • In Berlin ist man von dem Vorschlag wenig begeistert.
  • Seit Jahren arbeitet die Kultusministerkonferenz an einer besseren Vergleichbarkeit der Abiturleistungen in den Bundesländern.

Von Matthias Kohlmaier

Es ist eine Zeit, in der ältere Herren einfache Lösungen für komplexe Probleme präsentieren - und damit viele Menschen begeistern. Der Bau einer hohen Mauer an der Grenze zu Mexiko ist so eine Idee oder der Entzug der Staatsbürgerschaft, wenn jemand die Nationalflagge nicht ehrt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Sehr gut in diese Zeit der älteren Herren mit den einfachen Lösungen passt eine Forderung von Josef Kraus, seit bald 30 Jahren Präsident des Deutschen Lehrerverbandes: In puncto Bildung anspruchsvollere Bundesländer wie Bayern sollten die Abiturzeugnisse anspruchsloser Bundesländer nicht mehr anerkennen, forderte Kraus in der Bild. Es herrsche in manchen Ländern eine Inflation guter Zensuren, meint der 67-Jährige. Allein in Berlin habe sich die Zahl der Abiturzeugnisse mit einem Notendurchschnitt von 1,0 innerhalb von zehn Jahren vervierzehnfacht. Dies deute nicht auf eine Verbesserung der Schüler hin, sondern auf ein Nachlassen der Anforderungen.

Nun ist das nicht die erste und gewiss auch nicht die letzte recht eindimensionale Eingebung von Kraus. In der Vergangenheit hat der Verbandspräsident bereits "Kollateralschäden" befürchtet, wenn die digitale Bildung allzu sehr ausgebaut würde. Schulische Leistungsunterschiede zwischen Ost und West führte er 2013 auf ein "schwieriges Migrantenklientel" zurück, das vornehmlich in Westdeutschland lebe, während im Osten weniger Zuwandererkinder wohnten. "Meist stammen sie dort aus Vietnam und sind mitunter sogar besser in der Schule", sagte Kraus damals der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Auch dass er als langjähriger Schulleiter - Kraus ist mittlerweile Pensionär - eines niederbayerischen Gymnasiums gerade das hervorragende Abitur in Bayern preist, spricht nicht gerade für den Wunsch nach objektivem Diskurs. Was aber ein Fakt ist, allen populistischen Forderungen zum Trotz: Dass es bei der Vergleichbarkeit der Abiturnoten zwischen den einzelnen Bundesländern seit Jahren klemmt.

Erst im vergangenen Jahr hatte eine Recherche des Spiegels das Problem quantifiziert. Demnach weicht pro Abitur-Jahrgang der Anteil der Einser-Kandidaten wie auch der Sitzenbleiber in manchen Ländern regelmäßig deutlich vom Bundesdurchschnitt ab. Das Magazin hatte Daten der Kultusministerien und des Statistischen Bundesamtes zu den Abiturgesamtnoten von 2006 bis 2013 ausgewertet. Demnach schlossen 2013 zum Beispiel in Thüringen 37,8 Prozent aller Kandidaten mit der Eins vor dem Komma ab, in Niedersachsen nur 15,6 Prozent.

Dass gute Zensuren hier einfacher und dort schwieriger zu bekommen sind, wird spätestens bei der Vergabe der Studienplätze relevant. Man stelle sich zwei vom Wissensstand identische Schüler vor - nur dass der eine etwa in Bayern für seine Kenntnisse ein mittelmäßiges Zeugnis, der andere zum Beispiel in Bremen einen hervorragenden Abschluss geschafft hat. Dem Numerus clausus ist es am Ende egal, wo die Studienplatzbewerber ihre Abiturnote erworben haben. Dort zählt nur die Ziffer auf der Hochschulzugangsberechtigung.

Berliner Landeselternvertretung vermutet "einen schlechten Scherz"

Die Kultusministerkonferenz (KMK) arbeitet daran, die Abinoten vergleichbarer zu machen. Seit einigen Jahren bedienen sich mehrere Bundesländer in den Fächern Mathematik und Deutsch sowie in den Fremdsprachen aus einem gemeinsamen Aufgabenpool. 2017 sollen zum ersten Mal alle Länder, also auch das gescholtene Berlin, aus diesem Aufgabentopf schöpfen dürfen. Klingt nach Vergleichbarkeit, ist es aber nur bedingt. Die Länder können diese Aufgaben verwenden, müssen aber nicht; sie dürfen sie auch abwandeln oder nur teilweise nutzen. Von einem Zentralabitur wird also auch im kommenden Jahr keine Rede sein können. Und viele gute Abiturienten sind natürlich jedem Kultus- oder Bildungsminister sehr recht - auf welche Weise auch immer sie zu bekommen sind.

Und was sagen nun die von Josef Kraus' Aussagen Betroffenen? Die Berliner Landeselternvertretung vermutet "einen schlechten Scherz", mal wieder versuche jemand von Bayern aus, "das Berliner Abitur in Frage zu stellen". Kritisch äußert sich auch die Lehrergewerkschaft GEW. "Er strebt damit offenbar die Rückkehr in die Kleinstaaterei im Bildungsbereich an", sagt sie über Kraus' Forderung, das Berliner Abi anderswo nicht anzuerkennen.

Das wäre allerdings rein rechtlich gar nicht möglich. Die Rahmenvereinbarungen der Kultusministerkonferenz schließen ein, dass Abiturzeugnisse länderübergreifend anerkannt werden. Wollte also ein Bundesland das Abi aus einem anderen nicht gelten lassen, müsste es erst einmal aus der KMK austreten.

Nicht glücklich ist man auch in der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Kraus' "Statement zeugt von wenig Kenntnis im Detail", heißt es auf Anfrage. Es gebe in der Hauptstadt Schulen mit überdurchschnittlich leistungsfähigen Schülern, diese Spitzengruppe würde auch explizit gefördert; jedoch habe man auch Schulen, die mit großen Herausforderungen zu kämpfen hätten.

In Zahlen: Der Berliner Abiturdurchschnitt liege bei 2,4 und sei seit Jahren konstant. Im letzten Abiturjahrgang hätten von etwa 14 000 Abiturienten 270 die Note 1,0 erreicht. Das entspricht einer Quote von etwa 1,9 Prozent. In Bayern lag die Quote von 1,0-Abiturienten im letzten Prüfungszeitraum bei etwa 2,1 Prozent. Zur Aussage von Josef Kraus, wonach sich die Anzahl von 1,0-Abschlüssen in den vergangenen zehn Jahren in Berlin vervierzehnfacht habe: Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass es die 1,0 im aktuellen Jahrgang tatsächlich nur etwa 6,5 Mal häufiger gab.

Direkt anschließen will man sich den Aussagen von Lehrerpräsident Kraus im Münchner Kultusministerium auf Anfrage nicht. Es gehe "nicht in erster Linie darum, die Abschlussprüfungen aus einzelnen Ländern nicht anzuerkennen, sondern das Niveau von zentralen Abschlussprüfungen so zu gestalten, dass zum Beispiel mit dem Abitur die Studierfähigkeit in allen Ländern wirklich verbunden ist". Alle Länder müssten natürlich darauf achten, dass ein vergleichbares Niveau bei den Gymnasiasten erreicht werde.

Angesprochen auf den Vergleich mit Berlin gönnt man sich im bayerischen Kultusministerium in München aber doch einen Seitenhieb: "Die Schülerinnen und Schüler in Bayern und Sachsen etwa gehören hier (Anm. d. Red.: bei den Ergebnissen des Ländervergleichs) zu denen mit einem sehr hohen Leistungsniveau, Schülerinnen und Schüler in bestimmten anderen Ländern liegen hier im Kompetenzvergleich zurück." Dass sie in den letzten Vergleichsstudien schlecht abgeschnitten haben, daran hätten sich die Berliner vermutlich auch so erinnert.

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