Zulassung zur Grundschule:Reifeprüfung für die Kleinen

Schulstart in Bayern

Intellektuelle Kompetenz, Motorik, Motivation und Konzentration - diese Faktoren entscheiden darüber, ob ein Kind bereit ist für die Einschulung. 

(Foto: dpa)

Fit für die Einschulung? Mit verschiedenen Verfahren wird in diesen Tagen getestet, ob die angehenden Erstklässler tatsächlich schon bereit sind für den Unterricht. Dabei machen Experten einen Negativ-Trend fest.

Von Tina Baier

Anna, Max, Jonas, Marie und Leonie sitzen auf einem bunten Teppich mitten im Klassenzimmer der 2a und schauen Lisa Langguth beinahe ehrfürchtig an (Namen aller Kinder geändert). Es ist ein aufregender Tag für die fünf Kinder, die heute an der Grundschule an der St. Konradstraße in Haar bei München angemeldet werden sollen. Die drei Mädchen und zwei Buben haben einen Aufkleber mit ihrem Vornamen am Pulli heften, damit Lisa Langguth, die den Kindern gleich Aufgaben stellen wird, alle persönlich ansprechen kann. Ihre Kollegin Kim Wiese beobachtet alles und macht sich Notizen. In den kommenden anderthalb Stunden wollen die beiden Lehrerinnen herausfinden, ob die fünf Kinder schulfähig sind und im September die erste Klasse besuchen können.

An den meisten der 2416 bayerischen Grundschulen werden diese Woche die künftigen Erstklässler eingeschrieben. Parallel findet das "Schuleingangsscreening" statt, bei dem laut Kultusministerium festgestellt werden soll, "ob das Kind voraussichtlich in der Lage sein wird, am Unterricht der ersten Klasse mit Erfolg teilzunehmen".

Etwa 107.700 Kinder werden dieses Jahr in Bayern auf ihre Schulfähigkeit getestet. Dafür gibt es unterschiedliche Verfahren. An vielen Schulen unterhält sich eine Lehrerin einzeln mit dem Kind. Manchmal dürfen die Eltern dabei sein, manchmal nicht. Andere Schulen schicken Lehrerinnen in die Kindergärten, um die angehenden Erstklässler in einer für sie vertrauten Umgebung zu testen. Wieder andere screenen die Kinder in der Schule durch eine Art Probeunterricht.

Intellektuelle Kompetenz, Motorik, Motivation und Konzentration

"Der Vorteil des Gruppenscreenings ist, dass sich dabei auch das soziale Verhalten der Kinder beobachten lässt", sagt Schulpsychologin Simone Fleischmann, die selbst eine Grundschule in Bayern leitet. Zum Beispiel, ob sich ein Kind an Regeln halten kann oder auch dann noch ständig dazwischenredet, wenn die Lehrerin schon zehnmal darauf hingewiesen hat, dass man sich in der Schule melden soll. Ansonsten wird im Prinzip überall auf ähnliche Dinge geachtet, nämlich die intellektuelle Kompetenz (sprachlich und mathematisch), Feinmotorik und Grobmotorik, Motivation und Konzentration.

In Haar sind Anna, Max, Jonas, Marie und Leonie jetzt dicht an die Tafel gerückt, an der Lisa Langguth ein Bild aufgehängt hat. Die Kinder sollen erzählen, was sie darauf sehen. Irgendjemand muss ihnen beigebracht haben, dass man sich in der Schule melden muss. Wie auf ein Kommando schießen fünf Finger in die Höhe.

"Kleine Schwächen sind kein Grund, ein Kind nicht einzuschulen"

Anna kommt als Erste dran: "Ich sehe dort zwei Jungen, die sich über irgendetwas streiten", sagt sie. "Der eine macht so ein böses Gesicht." "Blumen", sagt Max. "Kisten", sagt Marie. Jonas hält es jetzt nicht mehr aus: "Ein Eimer ist umgekippt!", ruft er aufgeregt. "Du weißt doch, dass man sich in der Schule melden muss", wird er von Marie belehrt. Lisa Langguth und Kim Wiese müssen schmunzeln. Jetzt kommt Leonie an die Reihe: "Das ist ein Einkaufen", sagt sie andächtig.

Bei einem solchen Gespräch können die Lehrerinnen verschiedene Dinge erkennen. Als Erstes, wie sprachgewandt ein Kind ist. Anna ist da wahrscheinlich schon weiter als Max und Marie. Außerdem scheint sie sehr ehrgeizig zu sein. Sie meldet sich immer und als sie einmal einen kleinen Fehler macht, ist ihr das äußerst peinlich. Max konzentriert sich nach kurzer Zeit nicht mehr auf das Bild an der Tafel, sondern ruft plötzlich: "Ich kann schon ein bischen lesen." Leonie sagt kaum etwas und Jonas redet immer wieder dazwischen.

"Solche kleinen Schwächen sind aber kein Grund, ein Kind nicht einzuschulen", sagt Andrea Zran, Schulleiterin der Grundschule in Haar. Das Screening ergebe vielmehr ein Bild der Stärken und Schwächen eines Kindes. Das Ergebnis hilft ihr, den Eltern zu sagen, wie sie ihr Kind bis zum Schulanfang im September noch fördern können. Außerdem wird sie die Klassen so einteilen, dass nicht ausgerechnet alle Zappelphilippe eines Jahrgangs im selben Zimmer sitzen.

Immer mehr Kinder mit Konzentrationsschwächen

"Die kognitiven Fähigkeiten sind nur selten ein Problem", sagt Zran. Es gebe aber immer mehr Kinder, die sich nicht konzentrieren können und kein Durchhaltevermögen haben. Viele hätten Schwächen in Grob- und Feinmotorik, was Schwierigkeiten beim Schreibenlernen machen kann.

Ernsthafte Probleme sieht sie momentan aber nur bei einem Kind, das überhaupt nicht verstand, was es machen sollte, sich an keinerlei Regel hielt und außerdem so stark nuschelte, dass es kaum zu verstehen war. "Wir müssen jetzt versuchen herauszufinden, woran das liegt, und dann zusammen mit den Eltern überlegen, was das Beste für das Kind ist", sagt Zran.

Vergangenes Jahr wurden in Bayern etwa 12.000 Kinder zurückgestellt, die meisten von ihnen werden dann ein Jahr später normal eingeschult. Bei einigen wird sich die Frage stellen, ob das Kind eine Förderschule besuchen soll. "Die Entscheidung über die Einschulung oder Zurückstellung trifft die Schulleitung", heißt es aus dem Kultusministerium.

Bei Anna, Max, Jonas, Marie und Leonie stellt sich diese Frage nicht, auch wenn sie sehr unterschiedlich sind. Jonas braucht für jede Aufgabe dreimal so lange wie Anna, die jedesmal etwas vorlaut sagt: "Also, ich bin schon fertig" und danach vorbildlich die Arme verschränkt, genau so wie Lisa Langguth es erklärt hat. Leonie hat noch Schwierigkeiten mit den Zahlen und Marie fängt beim zweiten Arbeitsblatt an zu stöhnen, weil sie keine Lust mehr hat. Jonas ist viel zu aufgeregt, um immer zu warten, bis er aufgerufen wird. Möglicherweise wird er seiner Lehrerin damit den letzten Nerv rauben, doch alles in allem machen die fünf Kinder ihre Sache sehr gut und werden die Schule im September voraussichtlich als stolze Erstklässler betreten.

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