Britisches Schulsystem:Neuer Abschluss gegen das "Häppchenlernen"

Der britische Bildungsminister will der Inflation an guten Noten in den Schulen und der Verdummung ein Ende setzen - und darum einen neue Schulabschluss einführen. Das sorgt für Verwirrung, Proteste und Angst unter den Schülern.

Christian Zaschke, London

Das englische Schulsystem steht vor seinem größten Umbruch seit 25 Jahren. Allerdings könnte diesem Umbruch bereits in zweieinhalb Jahren ein weiterer Umbruch folgen, der nicht weniger groß wäre. Das liegt daran, dass die oppositionelle Labour-Partei von den Plänen des konservativen Bildungsministers Michael Gove überhaupt nichts hält und angedroht hat, im Falle eines Wahlsiegs die geplanten Neuerungen wieder abzuschaffen.

Britian's Education Secretary Michael Gove arrives at 10 Downing Street in London

Bildungsminister Michael Gove hat sich Großes vorgenommen: Er will einen neuen Schulabschluss in Großbritannien einführen.

(Foto: Reuters)

In ihrer Ablehnung ist die Labour-Partei nicht allein, sie teilt sie mit der Lehrer-Gewerkschaft, Elternverbänden und vielen Akademikern. Das ficht Michael Gove jedoch nicht an. Er ist entschlossen, tief greifende Änderungen am Schulsystem noch in dieser, bis 2015 währenden Legislaturperiode zu implementieren, um, wie er sagt, der Inflation an guten Noten und der Verdummung ein Ende zu setzen.

Goves Hauptidee ist, das General Certificate of Secondary Education (GCSE) abzuschaffen, das ungefähr dem deutschen Realschulabschluss entspricht. Im Alter von 15 bis 16 Jahren legen Schüler in England, Wales und Nordirland in bis zu zehn Fächern GCSE-Prüfungen ab. Wer anschließend die A-Levels erwerben möchte, das Pendant zum deutschen Abitur, muss mindestens fünf GCSEs mit Noten zwischen A und C aufweisen. A ist die beste Note, G die schlechteste.

Geprüft werden die Schüler etwa in mehreren Klassenarbeiten. Die GCSEs wurden Ende der Achtzigerjahre von der damaligen konservativen Regierung eingeführt, weil das alte System als überholt galt, unter anderem, weil der gesamte Stoff des Jahres in einer einzigen Prüfung abgefragt wurde. Dieses alte System will Gove nun mehr oder weniger wieder einführen, er hat dafür allerdings einen neuen Namen erfunden: EBacc, das "English Baccalaureate".

Diese Bezeichnung ist etwas irreführend, weil außerhalb Großbritanniens mit einem Baccalaureate meist die Hochschulreife gemeint ist. Diese erlangen englische Schüler mit dem neuen Abschluss jedoch nicht. Sie müssen wie bisher zwei weitere Jahre zur Schule gehen, um die A-Levels zu erwerben. Von Herbst 2015 an sollen erstmals Schüler in Klassen unterrichtet werden, die aufs EBacc zuführen, geprüft würde 2017. Zunächst nur in Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften. Von 2016 an sollen Geschichte, Geografie und Fremdsprachen dazukommen.

Gove will Klassenarbeiten abschaffen, weil sie seiner Ansicht nach das "Häppchenlernen" förderten. Schüler und Lehrer sollen das große Ganze im Blick haben - dann folgt die eine, die umfassende Prüfung. Gove räumt ein, dass manche Schüler in diesem System die Schule ohne Abschluss verlassen werden. Um diese müsse sich gesondert gekümmert werden, so Gove, vielleicht könnten sie das EBacc mit 17 oder 18 nachholen.

Nun fragen sich diejenigen Schüler, die bis 2017 ihre GCSEs ablegen, was diese später wert sind. Gove hat die GCSEs kleingeredet, er stört sich besonders daran, dass seit ihrer Einführung der Anteil der Schüler, die die Noten A bis C erreichen, beständig steigt. Dazu schrieb John Bangs von der Lehrer-Gewerkschaft im Guardian: "Der Einwand ist, dass die Schüler zu gute Noten bekommen. Würde man in gleicher Weise kritisieren, dass immer mehr Menschen die Fahrprüfung bestehen?"

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