Zwischenzeugnisse in Bayern:Nie wieder ein Sechser

Zwischenzeugnisse in Bayern

Auf den meisten Zwischenzeugnissen stehen an diesem Freitag wieder Ziffern-Noten. Doch die sind weniger objektiv und gerecht als es scheint.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Immer mehr Grundschulen verzichten auf traditionelle Zwischenzeugnisse. Studien zeigen, dass Schulnoten häufig willkürlich sind und demotivieren. Statt Bewertungen soll es Gespräche geben.

Von Tina Baier

So schön kann ein Zeugnis sein: "Lieber Yoannis, du hast dein Portfolio zu unserer Klassenlektüre rechtzeitig abgegeben und in einer äußerlich ansprechenden Form vorgelegt. Das war bei dir nicht immer der Fall. Umso mehr freue ich mich, dass du die Nachlässigkeiten früherer Jahre inzwischen abgelegt hast."

Mit diesen Worten beginnt das Gutachten einer Deutschlehrerin, die die Leistungen ihrer Achtklässler nicht mehr mit den Ziffern eins bis sechs bewertet. Solche Alternativen zu Noten sind in Bayern noch die Ausnahme, und auch an diesem Freitag werden auf den Zwischenzeugnissen der meisten Schüler die Noten eins bis sechs stehen. Doch ganz langsam setzt ein Umdenken ein.

An den bayerischen Grundschulen beispielsweise stehen schon seit einigen Jahren bis Mitte der zweiten Klasse keine Noten im Zeugnis; stattdessen eine ausführliche Beschreibung des Leistungsstands, aber auch des Sozial- und Arbeitsverhaltens. In diesem Schuljahr ist das Kultusministerium noch einen Schritt weiter gegangen und hat erlaubt, die Zwischenzeugnisse in der ersten, zweiten und dritten Klasse durch so genannte Lernentwicklungsgespräche zu ersetzen. In dem Gespräch, das etwa eine halbe Stunde dauert und an dem die Klassenlehrerin, das Kind und die Eltern teilnehmen, geht die Lehrerin sehr individuell auf die Lernfortschritte jedes einzelnen Kindes ein. Sie sagt, was das Kind gut gemacht hat, aber auch, wo es noch Schwächen hat.

Gespräche statt Zeugnisse in den Grundschulen

Etwa ein Drittel der 2400 Grundschulen in Bayern haben diese Möglichkeit bereits zu diesem Zwischenzeugnis genutzt. Andere Bundesländer sind noch weiter gegangen. In Schleswig-Holstein zum Beispiel bekommen Grundschüler grundsätzlich keine Noten. Schulen die unbedingt Noten vergeben wollen, müssen einen Antrag stellen. Hintergrund dieser Entwicklungen dürfte auch die Erkenntnis sein, dass Ziffern-Noten nicht so objektiv sind, wie es den Anschein hat. "Die meisten Lehrer geben sich große Mühe, ihre Schüler gerecht zu benoten", sagt Ursula Leppert, die an einem bayerischen Gymnasium und an der Willy-Brandt-Gesamtschule in München Deutsch unterrichtet hat. "Innerhalb einer Klasse gelingt ihnen das in der Regel auch ganz gut."

Trotzdem stehen sie immer wieder vor schwierigen Situationen und der Frage, was Leistung eigentlich bedeutet: Ist es gerecht, dem pummeligen Klaus eine Vier in Sport zu geben, obwohl er sich unheimlich anstrengt, während Thomas, der aus dem Stand weiter springt als Klaus es mit Anlauf jemals schaffen wird, mühelos eine Eins bekommt? Und wer hat die bessere Note in Mitarbeit verdient: die schüchterne Lisa, die sich nie meldet, aber immer alles genau mitbekommt oder die vorlaute Amelie, die sich ständig meldet, aber eigentlich lieber mit ihrer Nachbarin schwätzt als der Lehrerin zuzuhören?

Schulnoten sind nicht objektiv

Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die belegen, dass sich Lehrer - ob sie wollen oder nicht - unbewusst von äußeren Faktoren beeinflussen lassen. Zum Beispiel wirken sich Auftreten, Kleidung, Frisur, Sprache und Schrift eines Schülers auf seine Noten aus; stark geschminkte Lippen haben negative Folgen, Brillen positive. In einer anderen Untersuchung geht es um "das Gesetz der Reihe". Es besagt, dass Lehrer eine gute Arbeit besser bewerten, wenn sie zuvor mehrere schlechte korrigiert haben. Zudem scheint sich während des Korrigierens der Maßstab zu verändern. Manche Lehrer bewerten am Anfang einer Korrekturperiode strenger, andere am Ende.

Richtig problematisch wird es, wenn man die Noten über verschiedene Klassen oder Schulen hinweg vergleicht. Eine der ersten Pisa-Studien hat gezeigt, dass verschiedene Lehrer ein und dieselbe Arbeit eines Schülers vollkommen unterschiedlich bewerten. Das Spektrum reichte von Note Zwei bis Note Fünf. Welche Noten ein Schüler bekommt, hängt außerdem stark vom Niveau der Klasse ab: Ein durchschnittlicher Schüler bekommt bessere Noten, wenn in seiner Klasse viele schlechte Schüler sitzen und schlechtere, wenn er gemeinsam mit vielen leistungsstarken Schülern unterrichtet wird.

Schlechte Noten entmündigen Schüler

Weil Noten seiner Ansicht nach wenig aussagekräftig sind, fordert Jonas Lanig, Vorsitzender der "Aktion humane Schule", sie abzuschaffen. "Was aber nicht heißt, dass Schüler keine Rückmeldung über ihre Leistung bekommen sollen", betont Lanig. Sie sollten aber "nicht länger mit Ziffernnoten abgespeist werden, wo sie doch Anspruch auf eine qualifizierte Beurteilung hätten" - etwa in Form eines Wortgutachtens. Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) ist dagegen überzeugt, dass "eine Schule ohne Noten den Schülerinnen und Schülern schaden würde".

Noten seien eine wichtige Vorbereitung auf das Leben in der Gesellschaft, in der das Leistungsprinzip gelte. Noten "motivieren, wenn ein Schüler in einem Fach seine Kompetenzen unter Beweis stellen kann. Bewertungen fordern die jungen Menschen aber auch dazu heraus, sich stärker in einem Fach zu engagieren, wenn die Note auf Defizite hinweist", glaubt Spaenle.

Ursula Leppert hat als Lehrerin ganz andere Erfahrungen gemacht: "Schlechte Noten entmutigen jüngere Kinder bis hin zu Tränen", sagt sie. "Und ältere Schüler verdecken die Verletzung durch gespieltes Desinteresse." Es gibt Lehrer, die ihre eigenen Konsequenzen ziehen, etwa indem sie grundsätzlich keine schlechtere Note als Drei vergeben. Andere nehmen sich vor, dass wegen ihnen kein Schüler durchfallen darf. Zur Not gibt es noch das "Juli-Wunder": Schüler, die kurz vor den Sommerferien auf der Kippe stehen, dürfen noch schnell ein Referat halten, und bekommen dafür eine Eins oder Zwei. Das rettet sie dann vor dem Durchfallen.

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