Natascha Kohnen:Nach 100 Tagen SPD-Vorsitz fehlen noch die Ansagen

Natascha Kohnen: Auch mal zuhören statt laut sein: Natascha Kohnen (links) probiert bei der SPD Neues aus, etwa mit dem Open-Base-Camp, in dem Interessierte über die Zukunft der SPD herumspinnen können.

Auch mal zuhören statt laut sein: Natascha Kohnen (links) probiert bei der SPD Neues aus, etwa mit dem Open-Base-Camp, in dem Interessierte über die Zukunft der SPD herumspinnen können.

Natascha Kohnen will keine Vorbeterin sein und sich nicht an der CSU abarbeiten. Aber manchen ist die Oppositionsführerin doch zu leise - sogar in der Regierungsfraktion.

Von Lisa Schnell

Wie Natascha Kohnen die Bayern-SPD führen will, lässt sich gut an einem Möbelstück beschreiben: weiße Loungesessel, angeordnet in einem Kreis. Kohnen hatte sie extra angemietet für ihre erste Vorstandssitzung als Landesvorsitzende der Bayern-SPD. Zusammen mit fünf Pinnwänden und einer Menge bunter Zettel begrüßte sie ihren neuen Vorstand, der so eine Sitzung wohl noch nicht erlebt hatte.

Die Handys mussten auf Flugmodus gestellt werden, einen Tisch gab es nicht, auch keine Laptops, hinter denen man verschwinden hätte können. Stattdessen saßen sich die Vorstandsmitglieder in einem Kreis gegenüber und schrieben auf bunte Zettel, was sie von sich selbst erwarten.

Kohnen will mit alten Strukturen brechen, nicht nur im Vorstand. Was sie ändern möchte, kündigte sie am 20. Mai an, als sie mit 88 Prozent zur neuen Chefin der Bayern-SPD gewählt wurde: kein Abarbeiten an der CSU mehr und eine Partei, in der Entscheidungen von unten nach oben getroffen werden. Genau 100 Tage ist das nun her. Nicht genügend Zeit für eine ausgereifte Bilanz. Aber für die Frage, wie die SPD-Chefin in ihr neues Amt gestartet ist.

Kohnen äußerte sich zur dritten Startbahn und warb innerhalb der SPD für eine Millionärssteuer - ein Zeichen an ihre Partei, dass sie die Interessen der linken Bayern-SPD in der Bundespartei vertritt. Ansonsten verzichtete sie auf ein "Öffentlichkeitsfeuerwerk", wie es ein Mitglied ausdrückt. Für manche legte sie deshalb keinen Traumstart hin. Dafür sei es zu ruhig um die SPD. Es wird aber auch als wohltuend empfunden, dass Kohnen nicht jeden Tag drei Pressemitteilungen versendet. Dass die SPD eine neue Chefin hat, merkte man deshalb vor allem innerhalb der SPD.

Etwa die Loungemöbel im Kreis. "Ich will für die Partei nicht die Vorbeterin spielen", sagt Kohnen. Ideen sollen nicht verordnet, sondern gemeinsam entwickelt werden in einer Atmosphäre, in der man "wirklich zueinander kommt". Dafür nimmt sie sich Zeit. Manchen ist das ein zu behutsamer Start. "Wir sind erwachsene Leute, da muss ich nicht einen Stuhlkreis bilden", sagt ein Mitglied.

Kohnen kann auch laut werden

Kohnens Vorgänger verteidigt den neuen Stil. "Lieber ist man am Anfang gründlicher und nimmt sich die Zeit, alle einzubinden", sagt Florian Pronold, der sein Amt auch wegen des fehlenden Rückhalts in der SPD niederlegte. Bei aller Behutsamkeit kann Kohnen aber auch laut werden. Als aus der Fraktion die Parteilinie zur dritten Starbahn öffentlich kritisiert wurde, haute sie intern auf den Tisch. Das erwartet man auch von ihr. "Es ist Aufgabe der Parteispitze nach innen und außen deutlich zu machen, wo die SPD steht", sagt der Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel.

Kohnens Experiment Nummer zwei heißt: "Open-Base-Camp". Eine Industriehalle in München, in der Interessierte über die Zukunft der SPD herumspinnen konnten. Sie entwarfen Wahlplakate oder probierten digitale Formen des Wahlkampfes aus. Für Kohnen war es nach dem Mitgliedervotum zum Landesvorsitz der zweite Schritt auf dem Weg zu einer Partei, die ihre Basis mehr einbezieht. Vor allem die rund 2000 vorwiegend jungen Neumitglieder wollte sie erreichen, die sich für Ortsvereine nicht mehr interessierten. Aber für ein Open-Base-Camp?

Viele in der Partei zogen skeptisch die Augenbrauen hoch. Schon der Name war den meisten unbekannt ("Open-Base-Camp oder doch Open-Space?"). Dass die "alte Tante SPD" so etwas veranstalte sei etwa so, wie wenn ein Altenheim zum Rockkonzert gehe, sagte einer. Am Ende aber kamen fast 300 Interessierte, die Kommentare im Netz waren positiv. Kohnen und auch viele in der SPD verbuchen das Experiment als geglückt. Auch Barthel, trotzdem ging es am Ende nicht nur darum, einen schönen Nachmittag miteinander zu verbringen, sagt er. Man müsse den Leuten auch Themen anbieten und sie zuspitzen.

"Die klaren Ansagen und Inhalte müssen noch kommen"

Zuspitzen will Kohnen auch. Sie möchte sich auf die vier Themen konzentrieren, auf die sich die Partei geeinigt habe: Familie, Wohnen, Arbeit, Integration. Die Kernbotschaften müsse man ständig wiederholen, erst dann käme etwas bei den Leuten an. Einige bemängeln, dass man davon noch nicht viel gemerkt habe. Kohnen habe ihre Ankündigung, eigene Themen zu setzen, bis jetzt nicht eingelöst. Genau wie ihr Versprechen, Kommunalpolitiker mehr einzubinden. Auf der anderen Seite sagen auch ihre Kritiker: 100 Tage seien nicht viel und der Bundestagswahlkampf überlagere vieles.

Mitten im Wahlkampf sei eine schwierige Zeit, um landespolitische Akzente zu setzen, sagt Kohnen. Nach der Wahl im Bund gehe es aber in die Vorbereitung für den Landtagswahlkampf. Um herauszufinden, was von der SPD erwartet wird, will sie Mitglieder und Nicht-Mitglieder fragen. Wahlkampf funktioniere nicht nur über Fakten, sondern über Gefühle. Welchen Ton Kohnen anschlagen wird, zeigte sich bei ihrer Gegenrede auf die Regierungserklärung von Horst Seehofer zur Digitalisierung.

Anstatt auf die Funklöcher zu schimpfen, wählte Kohnen einen ruhigeren Ton. Nicht nur rumjammern, sondern auf die Ideen der SPD hinweisen, beschreibt Kohnen ihren Stil. Der politische Gegner hatte sich von der neuen Oppositionsführerin mehr Feuer erwartet. Ihre eigene Fraktion ist gnädiger. Selbst Kohnens früherer Konkurrent um den Landesvorsitz, Florian von Brunn, der immer für eine angriffslustige Opposition warb, nennt ihre Rede gut. Kohnen bleibe ihrem Stil treu, jetzt müsse man sie mal machen lassen, sagt er.

Für ein Urteil, sei es jetzt noch zu früh, meint auch Barthel. Seine Erwartung aber ist eindeutig: "Die klaren Ansagen und Inhalte müssen noch kommen", sagt er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: