Rotes Kreuz:Flüchtlinge helfen traumatisierten Asylbewerbern

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Heute ist die Stadt Homs in Syrien komplett zerstört. (Foto: Louai Beshara/AFP)

In Würzburg, Straubing und Deggendorf sollen Experten in neuen Beratungsstellen ihre Arbeit aufnehmen - und die seelischen Wunden der Flüchtlinge therapieren.

Von Dietrich Mittler, München

Erst vor wenigen Tagen hatte die Angst den jungen Mann aus Syrien wieder im Griff. Irgendwo draußen leuchteten Blitze am Himmel auf, krachend setzte der Donner ein. In diesem Augenblick kamen in Hasan Mohamad ( Name geändert) Bilder hoch, die ihn erbarmungslos quälen. Der 28-Jährige lebt mittlerweile in Straubing in einer eigenen Wohnung. Sein Asylantrag ist anerkannt, sagt er. Nun will er selbst Asylbewerbern helfen. Und wie, das weiß er auch schon. Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) startet jetzt dank einer großzügigen Spende ein Hilfsprojekt für traumatisierte Flüchtlinge. Für Hasan Mohamad gibt es da kein Zögern. Er will bei diesem Projekt als Übersetzer die neuen Beratungsstellen unterstützen.

Mohamad stammt aus einem syrischen Dorf nahe der jordanischen Grenze und hatte in der Hauptstadt Damaskus Medizin studiert. Danach arbeitete er in Damaskus als Assistenzarzt in einer Klinik mitten im Stadtzentrum. Eines Tages schlug unmittelbar neben dem Krankenhaus eine Rakete ein. Die Patienten auf der Station schrien. Mohamad tat, was ein guter Arzt dann tun muss.

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Er beruhigte sie. "Alles gut, alles gut." Aber wenn es jetzt in Straubing donnert, dann ist es so, als stünde Mohamad wieder in Damaskus auf seiner Station. "Die Angst ist immer da", sagt er - und es genügt ein kurzer Augenblick, um zu verstehen, dass er mehr erlebt hat als nur diesen Raketenangriff. Seine Augen weiten sich instinktiv, wenn jemand hastig den Raum betritt. "Ich habe nichts getan, ich habe überhaupt nichts getan", sagt er beschwörend. Dabei sind die Zivilpolizisten des Assad-Regimes, die ihn viele Male auf seinem Weg zum Krankenhaus abfingen, weit, weit weg. Aber Mohamad hat diese fremden Männer in seinem Innersten mitgenommen. Sie halten seine Seele besetzt.

Immer wieder hatten sie den jungen Mediziner aufgesucht, wenn er die Eltern im Heimatdorf besucht hatte. Das Dorf steht unter der Kontrolle der radikal-islamischen Kämpfer der Al-Nusra-Front, die sich mittlerweile "Dschabhat Fatah asch-Scham" nennt. Hasan Mohamad geriet zwischen die Fronten. Die Al-Nusra-Leute warfen ihm vor, die verletzten Soldaten Assads zu behandeln. Und kaum war der junge Mediziner zurück in Damaskus, kamen die Polizisten in Zivil und beschuldigten ihn, verletzte Al-Nusra-Leute verarztet zu haben. "Ich habe nichts getan", sagte Hasan Mohamad zu ihnen. Manchmal schrien ihn die fremden Männer an, manchmal drohten sie auch: "Wir werden dich verhaften!" Was Mohamad damals so übersetzte: "Du bist der Nächste, der verschwindet."

Eines Tages hatte er diesem Druck nicht mehr standhalten können. Er floh: über die Türkei, mit dem Boot nach Griechenland, Balkanroute, Bayern. "Seit Januar lebe ich hier", sagt er auf Deutsch. Die Kurse haben gefruchtet. Auch die Prüfung, die zur Aufnahme eines Medizinstudiums in Deutschland berechtigt, hat er bestanden. Jetzt aber will er erst einmal seinem Landsmann, dem Psychologen Raad Abduljalel, zur Seite stehen: als Übersetzer, wenn Gespräche mit Leuten vom BRK anstehen. Abduljalel hat selbst eine Geschichte hinter sich, die das Blut in den Adern gefrieren lässt. "Um es einmal so zu sagen", hebt er an, "ich schreibe gerade an einem Buch, um das Erlebte zu überwinden."

Angst überfällt die Flüchtlinge oft ganz unerwartet

In dem Buch wird stehen, dass Frau und Tochter auf der Flucht in der Türkei zurückblieben. Darin wird stehen, wie er und andere Flüchtlinge in einem windigen "Plastikboot" über das Mittelmeer nach Griechenland gelangten - stets den Tod vor Augen. Und in diesem Manuskript wird er sich auch an das Haus erinnern, in dem er mit seiner Familie lebte - eine Villa, die nur noch auf Handyfotos existiert. "Alles ist zerstört", sagt er, "alles kaputt." Dieses deutsche Wort "kaputt" spricht er akzentfrei. Fast ganz Homs, seine Heimatstadt, sei "kaputt". "Es war eine schöne Stadt", sagt er, dann stockt ihm die Stimme.

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Ja, so bestätigt er später, es gebe Grenzen, wo Betroffene nicht mehr weiterreden können. Diese Erkenntnis wird in seine Sitzungen mit traumatisierten Flüchtlingen einfließen. Der 44-jährige Alduljalel, der mit drei Asylbewerbern ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft teilt, will alles tun, um jene "Angst abzubauen", die viele Flüchtlinge oft so unerwartet überfällt. "Ich werde ihnen das Werkzeug dafür an die Hand geben", übersetzt der jüngere Hasan Mohamad für seinen Landsmann ins Deutsche. Und das werde ihm hoffentlich gelingen, sagt Alduljalel: "Es wird leichter, weil ich mit vielen der Traumatisierten die Muttersprache teile."

Seelische Wunden heilen

BRK-Präsident Theo Zellners Zuspruch hat er dabei. Nachdem das Rote Kreuz im Vorjahr auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle an der Grenze humanitäre und medizinische Hilfe geleistet habe, sei es nun an der Zeit, die Angekommenen in ihrer Integration zu unterstützen und dabei auch das Augenmerk auf die seelischen Wunden zu richten. "Die Not ist groß", sagt Zellner am Mittwoch - der Mangel an geeigneten Therapieangeboten oft nicht minder. In diese Lücke springe das BRK.

In Würzburg, Straubing und Deggendorf sollen nun die neuen Beratungsstellen, angeschlossen an bestehende Sozialpsychiatrische Dienste, ihre Arbeit aufnehmen. "Wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass traumatisierte Flüchtlinge trotz ihrer seelischen Leiden hier ihren Alltag meistern", sagt Zellner. Er schaut dabei auf den jungen Arzt, der sich kurz darauf dafür entschuldigt, nur Bruchteile aus seinem Leben erzählt zu haben. Spätestens da wird klar: Hasan Mohamad hat nichts gemacht. Der Krieg hat etwas mit ihm gemacht.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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