Stein an der Traun:Die quälende Frage nach dem Warum

Vor zwei Jahren zermalmte eine Felslawine ein Haus und tötete zwei Bewohner. Es hatte Kontrollen an der Felswand gegeben - aber nicht hinter dem Haus der Familie. Angeklagt wurde bis heute niemand.

Heiner Effern

Sie weiß, dass die Suche nach den Schuldigen den Verlust nie ersetzen kann. Doch die Trauer und die Wut treiben Sabine B. an, Verantwortliche zu finden für den Tod ihres Sohnes Peter B. und ihrer Enkelin. Sie erstattete Strafanzeige, sie schrieb dem Staatsanwalt Briefe, sie studierte Artikel über Verkehrssicherungspflichten, sie beschwerte sich bei der Generalstaatsanwaltschaft, sie wollte vor dem Oberlandesgericht eine Anklage erzwingen. Sie ging so weit, wie es die Gesetze ermöglichen.

Jahresrückblick 2010 - Felssturz in Stein

Am 25. Januar 2010 stürzten tausend Tonnen Gestein auf das Haus der Familie B. in Stein an der Traun.

(Foto: dpa)

Und nun, zwei Jahre nachdem ein Fels am 25. Januar 2010 auf das Haus der Familie ihres Sohnes in Stein an der Traun stürzte, ihn und sein Tochter tötete, seine Frau und den Sohn schwer verletzte, steht sie mit der Erkenntnis da: Es ist vorbei. Nur einer, den sie für ein Bauernopfer hält, musste Verantwortung für den Tod ihrer Liebsten übernehmen.

"Ich vermisse bis heute, dass wer zu seinen Versäumnissen und Nicht-Handeln steht", sagt Sabine B. Sie hält den Bescheid des Oberlandesgerichts in Händen und kann nicht fassen, dass sie auch mit dem letzten Versuch gescheitert ist. Denn sie hat es doch schwarz auf weiß in ihren Unterlagen, bestätigt von einem Fachmann: Es war kein unvorhersehbares Naturereignis, es war keine Kette nicht zu verhindernder Zufälle, die zwei Mitglieder aus der Familie rissen.

"Es lässt sich abschließend aussagen, dass bei Durchführung entsprechender Sicherungsmaßnahmen das tödliche Unglück mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre", schreibt Professor Kurosch Thuro von der TU-München in seinem Gutachten für die Staatsanwaltschaft. Doch waren die Hohlräume im Felsen, deretwegen sich 1000 Tonnen Gestein lösten und das Haus zermalmten, überhaupt zu entdecken? "Vermutlich wären bei einer gezielten Begehung des Hanges oberhalb des Hauses bereits offene Felsklüfte aufgefallen", erklärt Thuro.

Wer hätte etwas unternehmen müssen? Wer den Fels kontrollieren? Wer die Bewohner der Häuser darunter warnen? Die Mutter von Peter B. und seine Schwester verfolgen diese Fragen seit dem Tag, als der Fels von der Größe eines Reisebusses abbrach. Sie müssen das wissen, um mit dem Schlag fertig zu werden. Im Gegensatz zur Witwe und dem Sohn, die den Felssturz überlebt haben und nach einer Spendenaktion versuchen, fernab von der Suche nach Schuldigen und Öffentlichkeit ein neues Leben aufzubauen.

"Es war ein Naturereignis“

Dass sie unter dem Fels in ständiger Gefahr wohnten, ahnten sie nicht. Seit Jahrhunderten leben die Menschen unweit der Stadt Traunreut mit dem löchrigen Stein. Raubritter bauten eine Höhlenburg hinein, Brauer lagerten das Bier in den Felsenkellern, in den vergangenen Jahren stiegen dort auch große Partys. Direkt an der Steinwand liegen auch Privatgymnasium und Internat der Schlossschule Stein. Hier ragt der Fels aus Nagelfluh deutlich höher auf als hinter den Nachbarhäusern, und hier ließ die Brauerei als Eigentümer des Berges die Wand schon seit Jahrzehnten überprüfen.

Das Geologische Landesamt empfahl 1970, in einer Höhle das Gestein zu vermessen. Im Sommer 1992 rieten die Experten, lockere Steine aus der Wand zu räumen sowie Bäume und Sträucher oberhalb der Felsen zu roden. Ein Restrisiko bleibe, dies sei nur durch "weit umfangreichere Sicherungen der Felswände" zu beseitigen, hieß es damals. Untersucht wurde der Fels oberhalb der Brauerei und der Schule, von Kontrollen am Hang über den Wohnhäusern ist nichts bekannt.

Die Ermittlungen gegen den Geschäftsführer der Brauerei und seinen Vorgänger stellte die Staatsanwaltschaft dennoch ein: Es gebe keine Beweise, dass der Grundeigentümer seinen Pflichten nicht nachgekommen wäre. "Man hat alles für die Sicherheit getan, was man von einem Grundeigentümer verlangen kann", sagt Brauerei-Anwalt Gottfried Putz. Das Unternehmen treffe keine Schuld.

Denn die Brauerei beauftragte wie empfohlen eine Fachfirma, den Fels oberhalb der Firmengebäude regelmäßig zusäubern. Ob der Auftrag auch den Abhang oberhalb des betroffenen Wohnhauses umfasste, blieb bei den Ermittlungen unklar.

Ein Mitarbeiter der Fachfirma ist der einzige, den die Staatsanwaltschaft vor Gericht bringen wollte. Er hätte bei seiner Arbeit Risse an der Außenwand des später zerschmetterten Hauses als Alarmsignale erkennen müssen, so der Vorwurf. Das Verfahren wurde gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt. Der Anwalt des Mannes, Walter Rubach, sagt: "Die Staatsanwaltschaft hat die Beweislage wohl nicht so eindeutig gesehen, sonst hätte sie das nicht gemacht."

Hätten die Fachleute des Geologischen Landesamtes, das heute im Landesamt für Umwelt integriert ist, die Gefahren des Berges erkennen können oder müssen? Nein, heißt es aus dem Amt, sie hätten nie einen Auftrag zur Untersuchung der Felswand oder des Hauses gehabt. "Letztmalig vor 15 Jahren untersuchten Geologen hundert Meter entfernt auf der anderen Seite des Brauereigebäudes eine Steilwand. Von dort waren die betroffene Wand und das Haus nicht einsehbar", heißt es in einer Stellungnahme. Dass bereits Jahrzehnte vor dem Felssturz deutliche Risse im betroffenen Haus aufgetreten seien, sei dem Amt "zu keiner Zeit angezeigt" worden.

Auch die Stadt Traunreut, zu der Stein an der Traun gehört, sieht keine Schuld bei sich. "Wir sind nicht der Eigentümer. Und wir hatten keine Erkenntnisse, dass Gefahr vorliegt", sagt Bürgermeister Franz Parzinger. Im Landratsamt Traunstein spricht man von einem "Naturereignis, auf das niemand einen Einfluss haben konnte. Das Unglück fand auf einem privaten Gelände statt. Es gab keine öffentliche Überwachungspflicht", sagt Landrat Hermann Steinmaßl.

Die Staatsanwaltschaft leitete gegen keine der Behörden ein Ermittlungsverfahren ein. Es gebe keine Hinweise, "dass Mitarbeiter dieser Behörden zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Felsareal hinter den Wohnhäusern Pallinger Straße 3-7 befasst waren und bei für sie erkennbaren Gefahren nicht eingeschritten wären".

In der Staatsanwaltschaft Traunstein weiß man, dass die Ermittlungsergebnisse für die Angehörigen frustrierend sind. "Ich verstehe das, ich würde das als Betroffener genauso sehen. Tatsächliche Feststellungen sind in so komplexen Vorfällen extrem schwierig, das ist die Crux", sagt Sprecher Andreas Miller. "Wir können die Erwartungen der Angehörigen oder der Öffentlichkeit nicht erfüllen. Dazu sind wir auch nicht da. Wir sind dem Legalitätsprinzip verpflichtet."

Sabine B., die Sohn und Enkelin in den Schuttmassen verloren hat, wird das nie verstehen. "Es ist traurig und enttäuschend, dass es so lapidar endet", sagt sie.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: