Zukunftsratsvorsitzender Henzler:"Ich warne vor Besitzstandsangst"

Der Zukunftsratsvorsitzende Herbert Henzler verteidigt das umstrittene Gutachten: Demnach sollen bei der Landesentwicklung künftig die Ballungsräume bevorzugt werden.

Mike Szymanski

Schon lange nicht mehr hat ein Gutachten für solche Aufregung gesorgt: Der Zukunftsrat der Staatsregierung empfiehlt, bei der Landesentwicklung künftig die Ballungsräume zu bevorzugen. Auf dem Land fürchtet man, abgehängt zu werden. Der 69-jährige Unternehmensberater Herbert Henzler, Vorsitzender des 22-köpfigen Expertengremiums, fordert mehr Mut von der Politik.

Zukunftsratsvorsitzender Henzler: Trotz Kritik aus der Staatsregierung hat Herbert Henzler den Eindruck, dass die Vorschläge des Zukunftsrats erwünscht sind.

Trotz Kritik aus der Staatsregierung hat Herbert Henzler den Eindruck, dass die Vorschläge des Zukunftsrats erwünscht sind.

(Foto: Robert Haas)

SZ: Herr Henzler, die Starken stärken, die Schwachen fallenlassen. Klingt nach: typisch Unternehmensberater, oder?

Herbert Henzler: Nein, das sehe ich nicht so. Die Dinge einfach so laufen zu lassen wie in der Vergangenheit, kann nicht das Ziel der Staatsregierung sein. Wir wollen eine Strategie für die Städte und das Land. Unser Vorschlag lautet: Die Politik definiert Leistungszentren, die weit in den ländlichen Raum ausstrahlen.

SZ: Die Zukunft liegt also in den Städten?

Henzler: Bisher war das so. Im Großraum München erwirtschaften 13 Prozent der bayerischen Bevölkerung 23 Prozent des bayerischen Bruttoinlandsproduktes. Wir haben den Vorschlag gemacht, dass die Politik fünf bis sieben Leistungszentren neben München schafft. München ist nicht Bayern und Bayern ist nicht München, das haben wir ausdrücklich gesagt.

SZ: Kann man ein Bundesland wie ein Unternehmen optimieren, wenn nicht überall im Land die Ergebnisse stimmen?

Henzler: Zweifelsohne nicht. Wir haben es mit gewachsenen Strukturen zu tun. Ich warne aber davor, die Dinge treiben lassen. Es gibt eine Abstimmung mit den Füßen. Die Menschen sind in den vergangenen 20 Jahren aus einzelnen Regionen Bayerns weggezogen. Es hat starke Wanderungsbewegungen in die Städte gegeben, insbesondere nach München. Wir sagen: Wollen wir das weiter so unkontrolliert laufen lassen wie es in Metropolen wie Tokio oder London passiert? Unser Rat lautet: Gegensteuern.

SZ: Hat denn das Land aus Ihrer Sicht überhaupt keine Zukunft?

Henzler: Wir sagen ganz klar, dass die Chancen in der Vernetzung zu den Ballungszentren liegen. Dafür brauchen wir bessere Verkehrsanbindungen. Wir reden über die Zukunft. Die Zukunft kann nicht sein, dass ich mit dem Zug von München nach Regensburg zwei Stunden brauche. Wir haben auch empfohlen, das Breitbandnetz für schnelles Internet auszubauen, weil wir auf dem Land, egal wo, Heimarbeitsplätze in nie gekanntem Maße haben werden. Ich erlebe das in England, wo Menschen nur noch ein- bis zweimal die Woche ins Büro pendeln.

SZ: Im Osten Deutschlands hat die Politik längst ganze Regionen sich selbst überlassen, die dann veröden. Soll dies das Modell für Bayern sein?

Henzler: Ich war mehrfach nach der Wende in Beraterkreisen aktiv. Wir haben uns auf Insellösungen konzentriert und Schwerpunkte geschaffen. Ich glaube nicht, dass es dazu eine Alternative gab. Wenn insbesondere junge Menschen in Scharen abwandern, können Sie sie nicht dadurch halten, dass sie versprechen, die Region irgendwann einmal wettbewerbsfähig zu machen.

SZ: Was heißt das für die strukturschwachen Gebiete in Nord- und Ostbayern. Droht die Verödung?

Henzler: Das glaube ich nicht. Ich muss das noch einmal so klar sagen: Nirgendwo in unserem Gutachten finden Sie die Aussage, dass wir den ländlichen Raum zurücklassen möchten. Wir haben gesagt, die Politik muss eine konstruktive Strategie vorlegen, um nicht in 20 Jahren zu erleben, dass es dann doch so gekommen ist.

SZ: Den Menschen fern der Ballungsräume raten Sie, sich nach Sachsen oder Österreich zu orientieren. Was haben Sie sich denn dabei gedacht?

Henzler: Vernetzung ist das Gebot der Stunde. Was spricht dagegen, dass Passau und Linz kooperieren oder der Norden Bayerns mit Sachsen? Das ist doch eine ganz natürlich Sache. Wir wollen keine Gebietsreform und auch niemanden loswerden. Wir wollen Zusammenarbeit - auch über Grenzen hinaus.

SZ: Ihr Gutachten stößt auf Ablehnung. Von einem Todesstoß für den ländlichen Raum ist die Rede. Aus der CSU wurde sogar die Forderung laut, den Zukunftsrat abzusetzen. Wollen Sie weitermachen?

Henzler: Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum wir aufhören sollten. Die Kommunikation hätte sicher besser laufen können, das gebe ich zu. Es hat uns nicht geholfen, dass Teile des Gutachtens an die Öffentlichkeit gelangten und verzerrt dargestellt wurden.

SZ: Selbst die Staatsregierung distanziert sich von Ihren Vorschlägen. Niemand werde zurückgelassen, versichern Horst Seehofer und sein Stellvertreter Martin Zeil. Ihre Tipps sind nicht erwünscht.

Henzler: In Kürze können wir unsere Ergebnisse im Ministerrat präsentieren. Ich habe den Eindruck, dass die Vorschläge des Zukunftsrats durchaus erwünscht sind. Wir, als unabhängiges Gremium, sind für zwei Jahre berufen und wollen unsere Arbeit konsequent fortsetzen.

SZ: Alle Parteien sind sich darin einig, die Ergebnisse nicht umzusetzen.

Henzler: Es sind sehr viele Vorschläge von uns gemacht worden. Der Ausbau der Städte zu Leistungszentren etwa, wir haben eine Vision für die Vernetzung von Stadt und Land vorgestellt, und wir wollen den Ausbau der Verkehrswege und der Breitbandnetze - wenn das alles so nicht gewollt wird, dann halte ich das für den falschen Ansatz der Politik.

SZ: Wenn gleich jeder unbequeme Vorschlag so abgebügelt wird, kann man sich doch Politikberatung sparen?

Henzler: Man kann in der Politikberatung viel erreichen. Ich habe mehrere Kommissionen geleitet, war jedoch über die Resonanz der jetzigen Ergebnisse auch etwas irritiert. Wir diskutieren derzeit von insgesamt vier Arbeitsgruppen nur die Empfehlungen einer Arbeitsgruppe sehr intensiv. Ich warne vor einem typisch deutschen Problem. Der Besitzstandsangst, der Sorge also, dass einem etwas weggenommen werden könnte. Die Welt verändert sich ständig. Die Globalisierung produziert Gewinner und Verlierer. Was Bayern angeht, haben wir eine gute Ausgangslage, aber der Freistaat kann noch deutlich besser werden. Dazu ist es auch erforderlich, sich unbequemen Diskussionen zu stellen.

SZ: Ihre Expertenrunde stellt sich auch bei der Zuwanderung gegen die bisherige Politik der Staatsregierung. Macht Horst Seehofer schlechte Politik?

Henzler: Das würde ich in keinster Weise mit einzelnen Vorschlägen von uns unterstellen wollen. Wir haben als Berater mit der Staatsregierung einen Klienten, der sich sehr aufmerksam mit Vorschlägen auseinandersetzt, sich auch engagiert einbringt. Ich kann der Staatsregierung doch nicht verübeln, wenn sie in einzelnen Teilen eine andere Meinung vertritt. Es ist ganz einfach: Die Staatsregierung muss die Kunst des Möglichen beherrschen und wir als Gutachter die Kunst der Analyse. Die Analyse zeigt, wir brauchen Zuwanderung, um international künftig mithalten zu können.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: