Zukunft im Bayerischen Wald:Berlin, Köln, München - und Viechtach, weil da was los ist

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Frischer Wind für Viechtach: Tobias Bals hat das Coworking Space "Woidhub" gegründet. (Foto: Julia Huber)

Rückständig und provinziell, so lautet das Klischee vom Bayerischen Wald. In einer Kleinstadt arbeiten junge Leute am Gegenteil, gründen Unternehmen und eröffnen Clubs.

Von Julia Huber

Er könnte jetzt in Berlin sein. In München, Barcelona oder New York. Oder bei seiner Freundin, die gerade ein soziales Jahr macht in Osttimor. Aber Tobias Mühlbauer ist lieber in Viechtach, Niederbayern. Auf der Faschingsparty im Café Hinkofer. Tobias steht mitten im Gedränge, verkleidet als Luigi aus Super Mario. Er strahlt unter seiner grünen Ballonmütze, eine Flasche Viechtacher Vollbier im weißen Handschuh. "Ich kenn' hier jeden", sagt der 18-Jährige. Mit der Raubkatze und dem Affen hat er Abi gemacht. Der Scheich und der Dschungelkönig sind gute Kumpels. Beste Zeit, bester Ort, findet Tobias. Es ist kurz vor eins, die Band grölt "über den Wolken", die Party rauscht auf den Höhepunkt zu.

Später wird wieder Ruhe einkehren in Viechtach. Die 8200-Einwohner-Stadt liegt mitten im Bayerischen Wald. Nach Prag ist es genauso weit, wie nach München. Die meisten kennen Viechtach nur vom Strafzettel - hier sitzt die zentrale Bußgeldstelle. Die Attraktion in der Altstadt ist ein riesiges Bauloch. 2014 ist dort ein Gebäudeensemble abgerissen worden. Es gab viel hin und her, die Viechtacher haben sich an das Loch gewöhnt. Sie haben sich an vieles gewöhnt. Als die Technische Hochschule Deggendorf vergangenes Jahr einen Technologie-Campus in Viechtach eröffnen wollte, lehnte der Stadtrat ab. Alles sollte so bleiben, wie es ist. Ein Sonnenstudio, eine Apotheke, ein Schreibwarenladen, eine Kirche. Zur nächsten Disco sind es gut zwölf Kilometer. Nicht gerade ein Paradies für Jugendliche.

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Und trotzdem wollen fast alle bleiben, wenigstens in der Nähe. Aus Tobias' Abi-Jahrgang ist gut die Hälfte zum Studieren weggezogen. Nach Passau, Regensburg, München. Oder nach Deggendorf, "da kann man pendeln". Die Dagebliebenen sprechen von der Ruhe, der Natur, von viel Platz für wenig Geld. Die Welt steht einem offen nach der Schule, heißt es. Für manche muss es nicht die Welt sein, für manche ist Viechtach schon genug.

Es ist später Vormittag; Tobias sitzt an seinem Schreibtisch im Viechtacher Coworking Space "Woidhub". Sein Studium nennt sich "semi-virtuell". Drei Wochen pro Semester muss er zur Uni nach München. Den Rest der Zeit arbeitet er im "Woidhub". Das Büro könnte auch im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg sein. Es ist ein Treffpunkt für Selbständige, Kreative und Start-ups. Von der Decke baumeln nackte Glühbirnen, auf den Schreibtischen stehen MacBooks, in der Ecke surrt die Espresso-Maschine. Draußen vor der Glasfront grasen die Pferde auf der Weide.

Stuttgart, Hannover, Hamburg, Wien stehen auf dem Tourplakat, das im Alten Spital klebt. Und Viechtach. Weil da was los ist. (Foto: Julia Huber)

Gegründet haben das "Woidhub" Tobias Bals und Florian Ochsenbauer. Beide kommen aus Viechtach. Wie fast jeden Tag sitzt ihr Kumpel Michael Kilger mit im Büro. Hornbrille und Undercut, Tattoos und Holzfällerhemd - sie sehen aus wie drei, denen es im Wald zu langweilig sein könnte. Auf Instagram kann man sie sehen, wie sie Tischtennis spielen, Kaffee kochen und mit teurem Kamera-Equipment hantieren. Es wirkt wie Freizeit. Tatsächlich aber mischen sie mit ihren Ideen den Bayerischen Wald auf. Eine neue Generation von Unternehmern, die sich gegen Alteingesessenes stemmt. Gegen das Klischee vom Hinterwäldler, dessen Horizont nur bis zum nächsten Bierzelt reicht. Gegen jedes "des hamma immer scho so gmocht".

Flo Ochsenbauer, 30, hat "Bayerwaldtime" gegründet, die einzige Event-Agentur zwischen Regensburg und Passau. Er organisiert Veranstaltungen für Firmen, oder anders gesagt: Natur-Erlebnisse für Büromenschen. Angestellte, die sonst vor dem Computer sitzen, machen bei ihm Schlittenrennen am Silberberg. Sie bauen Pipelines im Wald oder fahren Kanu. Tagungen verlegt Ochsenbauer ans Flussufer, in niederbayerische Burgen oder ans Lagerfeuer. Dass er hier aufgewachsen ist, macht vieles einfacher. Ob er einen Rasenmäher oder ein Hotel für hundert Leute braucht - er weiß, wen er fragen kann. "Das ist genial", sagt Ochsenbauer, "man kennt sich einfach." Genau das schafft auch Probleme. Weil als Unternehmer nicht gleich ernst genommen wird, wer gerade noch der kleine Nachbarsbub war. Und der Wirt von gegenüber ruft sofort an, wenn Ochsenbauer mal einen anderen Caterer ausprobiert.

Tobias Bals, 29, entwickelt Werbekampagnen für hiesige Unternehmen. Seine Agentur heißt "Pixeltypen". Erst kürzlich hat Bals dem "Landgasthof Schedlbauer" ein neues Image verpasst. "Das Logo, der Name, die Fotos - alles war über Jahre gleichgeblieben, hat sich nie verändert", erzählt Bals. Der Wirt ließ ihm freie Hand. Bals warf alles über den Haufen. Der Gasthof heißt nun so, wie ihn schon immer alle nannten, "Zum Wirt Denkzell". "Altes Gebäude, neue Idee", sagt Bals. "Das funktioniert super."

An die schwarzgestrichenen Wände im "Woidhub" hat jemand mit weißer Farbe den Hashtag #WDHBFMLY gemalt. Das steht für "Woidhub Family", darunter kleben Polaroid-Fotos von Mitarbeitern und Freunden. "Wer hier miteinander in der Grundschule war, bleibt zusammen", sagen sie. Der geht zusammen in den Fußballverein oder zur Freiwilligen Feuerwehr. Der wartet zusammen am dunklen Bushäusl. Und der hilft sich später, wo er kann.

Michael Kilger, der Lederfabrikant

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(Foto: Julia Huber)

Michael Kilger, der Lederfabrikant "Die Lederfabrik ist schon seit 160 Jahren in unserer Familie. Ich bin die sechste Generation. Schon als kleiner Junge habe ich meinen Freunden Leder-Reste zum Kindergeburtstag mitgebracht - nicht alle waren so fasziniert davon, aber ich fand das ein tolles Geschenk. Nach meinem Studium in Regensburg und München bin ich in die Fabrik meiner Eltern in Viechtach eingestiegen. Ich will versuchen, alles ein bisschen moderner und jünger zu machen. Am Anfang war das eine Herausforderung. Mittlerweile bekomme ich ziemlich freie Hand. Innerhalb der Fabrik habe ich meine eigene Manufaktur gegründet. Ich mache Ledergürtel und Geldbeutel. Das Leder wird ökologisch nachhaltig in einem traditionellen Verfahren in unserer Fabrik hergestellt. Die Häute dafür stammen von Kühen aus der Umgebung. Die Gürtel und Geldbeutel sind unzerstörbar, deshalb gebe ich eine lebenslange Garantie darauf. Manchmal machen sich die Großstädter über uns im Bayerischen Wald lustig. Aber gleichzeitig schicke ich haufenweise Produkte nach Berlin - und die finden's geil, dass da Made in Bavaria draufsteht."

Olli Zilk, der Clubbetreiber

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(Foto: Camilla De Boni)

Olli Zilk, der Clubbetreiber "Nach dem Abitur wollte ich weg vom Land. In die große weite Welt. Klar hatte ich einen tollen Freundeskreis. Aber ich wollte Konzerte. Und Musik, die abseits des Mainstreams ist. Das gab's hier nicht, also bin ich weggezogen. Ich habe in London studiert - mit Freunden habe ich Hauspartys mit bis zu 300 Leuten in einer Wohnung geschmissen. Danach habe ich lange in München gelebt. Doch irgendwann hat es mich zurück in den Bayerischen Wald gezogen. Weil ich noch immer nicht ohne Live-Musik leben will, hole ich die Bands jetzt selber her. Musiker aus mehr als 20 Ländern haben hier gespielt. Das macht es ein bisschen kosmopolitisch, hier in Viechtach. Jeden Tag neue Künstler, die allesamt super drauf sind. Wir haben keinen Backstage-Bereich im Alten Spital. Die Künstler und das Publikum treffen sich nach dem Konzert an der Bar. Manchmal ergeben sich witzige Freundschaften. Ein Kötztinger Konzertbesucher hat sich so gut mit einem Musiker aus Schweden verstanden, dass er ihm seine Lederjacke geschenkt hat. Der Schwede ist aktuell auf Tour in ganz Europa - von überall schickt er dem Kötztinger Fotos von sich in der Lederjacke."

Viele sind nach Ausbildung oder Studium wieder nach Viechtach zurückgekommen. "Der Großteil unseres Freundeskreises wohnt jetzt wieder hier", sagt Bals. Viele übernehmen die Betriebe ihrer Eltern - und wollen damit etwas Neues schaffen in Viechtach. Ein Kumpel übernimmt bald die Familienmetzgerei und experimentiert mit Dry Aged Beef, ein Trend aus den USA. Ein anderer steigt in die Edelstahlfirma seiner Eltern ein und tüftelt daran, eins von Bals' Firmenlogos in eine riesige Edelstahlplatte zu fräsen.

Altes aufzupeppen, darin ist auch Olli Zilk Experte. "Ich sammel alles, was alt ist, und repariers", sagt Zilk, 45, blondes Haar unter dem Band-Käppi, der Pulli vom Flohmarkt. "So war das auch mit dieser Hütte hier." Vor ein paar Monaten hat der Oberpfälzer aus Bad Kötzting das älteste Gebäude Viechtachs übernommen, erbaut 1432. Das Alte Spital. Früher war es ein Krankenhaus mit angeschlossener Kapelle. Zilk hat einen Club draus gemacht. Mit alten Lampen und Polstermöbeln, mit Plattenspielern und Tonbandgeräten, an der Wand Uhren und Blechschilder vom Sperrmüll. "Das ältere Publikum fühlt sich an frühere Zeiten erinnert", sagt Zilk. "Und die Jungen finden's retro und cool."

So ist es auch mit der Musik. Dort wo vor langer Zeit ein Altar stand, treten heute Musiker und Bands auf. Seit er 16 ist, legt Zilk als DJ auf. Er war viel unterwegs, in London und München. Nun ist er zurück und will die Viechtacher für neue Live-Musik begeistern. Bis zu fünf Konzerte finden in der Woche statt. An einem Tag ist es ein Klassikkonzert oder eine Jazzcombo, am nächsten kommt ein Elektro-Act oder deutscher Hip-Hop. Der Eintritt ist frei. An diesem Abend gibt es Indie Folk aus der Schweiz.

Nach dem Konzert wird weiter getanzt und getrunken. Ein Viechtacher ist mit dem Frontmann der Band in ein Gespräch über Indie-Musik vertieft. Eine Anwohnerin flirtet mit dem Gitarristen. Sie scheppert mit dem Tamburin, das die Band eben noch für die Show gebraucht hat. Jung und Alt, Niederbayerisch und International, im Alten Spital kommt alles zusammen. "Heute morgen dachte ich mir noch: Viechtach? Wo ist das? Am Arsch der Welt?", erzählt ein Bandmitglied. "Aber das Konzert hier war ein absolutes Highlight für uns."

Stuttgart, Hannover, Hamburg, Wien stehen auf dem Tourplakat einer anderen Band, das im Alten Spital klebt. Und Viechtach. Weil da was los ist. Weil Olli Zilk, Tobias Bals und die anderen etwas tun. Für den Ort, an dem sie am liebsten sind.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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