Zukunft des Gymnasiums:Das lange Warten aufs G 9

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Eigentlich sollte sich nächste Woche auf der Kabinettsklausur entscheiden, was aus Bayerns Gymnasien wird. Aber die CSU-Fraktion spielt derart auf Zeit, dass sich die Reform wohl um ein Jahr verzögern wird. Ein Ausblick

Von Anna Günther, München

Selten haben Bayerns Gymnasien einem Zeitraum so entgegen gezittert wie der letzten Juliwoche 2016. Nach zwölf Jahren Kritik am G 8 ist das neunjährige Gymnasium greifbar. Die Staatsregierung geht am Tegernsee in Klausur und soll dort auch über die Zukunft des bayerischen Gymnasiums entscheiden. Doch kurz vor der Abreise nach St. Quirin könnte alles anders kommen. Die Zukunft des Gymnasiums ist zum Machtkampf zwischen Fraktion und Ministerpräsident Horst Seehofer geworden. Fraktionschef Thomas Kreuzer verkündete kürzlich, dass ein G 9 vom Tisch sei, Seehofer korrigierte umgehend. Wie geht es jetzt weiter?

Der Zeitplan

Spannender noch als das Wie ist die Frage nach dem Wann: Seehofer will eine Entscheidung, damit die Debatte um G 8/G 9 kein Wahlkampfthema wird. Die CSU-Fraktion will das Votum offenbar um Monate aufschieben. Manche sprechen sogar von einem Jahr Verzögerung. Damit könnten die bayerischen Gymnasien erst von 2018 an neunjährige Züge zum Abitur anbieten. Letzte Gespräche zwischen Ministerium, Verbänden und Staatsregierung konnten den Widerstand nicht brechen, hört man von Eingeweihten.

Bisher hatte Bildungsminister Ludwig Spaenle stets versichert, dass nach dem zweijährigen Pilotversuch, der seit vergangenem September läuft, " jedem Gymnasium freigestellt wird, die Mittelstufe Plus anzubieten". Wenn denn der Pilotversuch positiv ausfällt. Besonders in ländlichen Regionen, wo Schulen um Kinder buhlen und viele Grundschüler trotz exzellenter Noten auf die Realschule gehen, werben einige Gymnasien damit, dass von 2017 an auch bei ihnen neun Jahre zum Abitur möglich sein werden. Sollte sich die CSU-Fraktion durchsetzen und monatelang debattieren, ist höchst fraglich, ob Spaenles Zusicherung zum Herbst 2017 zu halten ist. Die Schulen brauchen Vorlaufzeit, um Konzepte zu erarbeiten, Eltern zu informieren und Klassen zu bilden.

Für die Verzögerung spricht, dass Staatssekretär Georg Eisenreich in der letzten Landtagsdebatte vor der Sommerpause einen "klaren Zeitplan" skizzierte, in dem von monatelangen Diskussionen ausgegangen wird. Das Ministerium erarbeite gerade "Eckpunkte" für die Klausur. Die Analyse des Pilotversuchs "Mittelstufe Plus" solle mit dem Vorschlag des Ministeriums die Diskussionsgrundlage bilden. Eisenreich spricht von einem Prozess, in den Abgeordnete, Verbände, Lehrer, Eltern und Schüler eingebunden werden. Dass Spaenle sich nicht hetzen lässt, ist bekannt. Das sei seine Lehre aus der überstürzten Einführung des G 8 vor zwölf Jahren. "Ich werde niemanden überrumpeln", sagt Spaenle stets. Nach einem Jahr Pilotversuch gebe es nicht genügend Erkenntnisse. Erst im Sommer 2017 geht die Versuchsphase zu Ende, allerdings weiß auch dann niemand, ob das Konzept aufgegangen ist. Die Mittelstufe Plus ist auf vier Jahre angelegt, aber was die zusätzliche Lernzeit bringt, ist erst klar, wenn die ersten Plus-Schüler 2021 Abitur machen.

G-9-Befürworter sprechen entnervt von einer "Verzögerungstaktik der CSU-Fraktion", die aus Sturheit das G 9 blockiere und sogar die Fachleute im Ministerium verzweifeln lasse. Dabei ist es sinnvoll, die Reform der Reform nicht wieder zu überstürzen. Aber Eltern und Lehrer fordern jetzt ein Signal, Details könnten in Ruhe folgen. Den Wunsch nach mehr Zeit zu ignorieren, könnte sich rächen, weil das Gymnasium möglicherweise zum Wahlkampfthema würde. Ministerpräsident Seehofer hatte mehrmals betont, dass er nach den Bedürfnissen der Kinder und Eltern handeln wolle. Bei repräsentativen Umfragen sprachen sich kürzlich knapp 60 Prozent der Bevölkerung für ein G 9 aus. An den 47 Pilotschulen war die Nachfrage noch deutlich höher: 70 Prozent der Schüler haben sich für das zweiten Jahr Mittelstufe Plus angemeldet. Das sind noch einmal mehr als 2015, an einzelnen Plus-Gymnasien mussten die Direktoren sogar massiv werben, um überhaupt noch Regelklassen bilden zu können.

Dass, trotz aller Verzögerungen, überhaupt nichts passiert, ist dennoch undenkbar. Aber was sind die Möglichkeiten?

Zurück zum G 9?

Die Rückkehr zum reinen G 9 wie in Niedersachsen wird es nicht geben. Auch wenn Seehofer kein Geheimnis daraus macht, dass er zu einer großen Lösung tendiert. Die Fraktion lehnt ein Zurück ab. Die Abgeordneten hätten sich nicht jahrelang wegen des G 8 abwatschen lassen, um dann zu kippen, sagen Insider. Spaenle verweist auf die Schüler, die gut mit dem G 8 zurechtkommen. Er favorisiert eine flexible Lösung.

Oder besser Parallelbetrieb?

Wie so eine flexible Lösung aussieht, die langfristig Ruhe ins Gymnasium bringt, ist die große Frage. Die Mittelstufe Plus ist es nicht, darin sind sich Verbände, Opposition und offenbar auch das Ministerium einig: Zu kompliziert ist die Organisation des Parallelbetriebs von acht und neun Jahren. Das Konzept ist wegen Kleinstgruppen in den Zweigen teuer und in der Mittelstufe Plus haben Gymnasiasten erst nach elf Schuljahren die Mittlere Reife. Außerdem folgen auf eine hektische Unterstufe vier ruhige Jahre, bevor die Hochphase zum Abitur beginnt. Sinnvoller wäre aus Sicht von Philologenverband, Schulleitern, SPD und Grünen die grundsätzliche Umstellung auf neun Jahre mit einer Verkürzung für G-8-Schüler. Vorbild für ein flexibles Modell, wie es sich auch die Freien Wähler wünschen, könnte Hessen sein. Seit 2012 können die Gymnasien dort auf neun Jahre umschwenken. 75 Schulen entschieden sich bis jetzt fürs G 9, je 17 Gymnasien bieten beides oder blieben beim G 8. Die Fachabteilung im Ministerium informierte sich bereits in Wiesbaden und Spaenle arbeitet mit seinem Kollegen Alexander Lorz (CDU), einem gebürtigen Nürnberger, eng auf Bundesebene zusammen.

Die Bedenken

In Hessen entscheiden die Schulen selbst, sofern die Schulfamilie und die finanzierende Kommune einverstanden sind. Für Bayern lehnen Lehrerverbände und Kommunen dies ab. Schon bei der Auswahl der 47 Pilotschulen brach unter den Gymnasien, die nicht ausgewählt wurden, Panik wegen Schülerwanderungen zu den G-9-Schulen aus. "Wir haben ein staatliches Schulwesen, also muss auch die Politik entscheiden", sagt Karl-Heinz Bruckner, der Chef des Direktorenverbands und Schulleiter einer Plus-Schule. Eine Mischform lehnt er strikt ab und fordert eine Grundsatzentscheidung: "Jedes weitere Experiment würde dem bayerischen Gymnasium nachhaltig schaden."

Auch Christian Bernreiter, der Präsident des Landkreistags, fordert eine klare Entscheidung. In einem Brief an Seehofer schreibt der Deggendorfer CSU-Landrat, dass die Kreise als Kostenträger vieler Gymnasien Planungssicherheit brauchen. Diese bringe nur "eine, nicht aber mehrere Organisationsformen". Komme das G 9, besuchten wahrscheinlich wieder mehr Kinder ein Gymnasium, einige Schulen müssten anbauen. Bezahlen müssten das Kommunen und Landkreise. Die Parallelführung von G 8 und G 9 bringe Chaos.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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