Zeitgeschichte:"Das Museum wollte die Hose unbedingt"

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Karl Stankiewitz mit seiner Lederhose, die er 1948 vom sogenannten Kopfgeld in München gekauft hat. Sie begleitete ihn sein ganzes Berufsleben lang. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Etwas "Wertbeständiges" wollte sich der langjährige SZ-Mitarbeiter Karl Stankiewitz von seinen ersten 40 DM kaufen. Die Wahl fiel auf eine Lederhose. Nach 70 Jahren wird das Stück nun ausgestellt.

Von Hans Kratzer, München

Die Zahl jener Journalisten, die als Augenzeugen über die Währungsreform am 20. Juni 1948 berichteten und noch leben, ist mittlerweile überschaubar. Der Münchner Reporter Karl Stankiewitz, Jahrgang 1928, gehört zu dieser Gilde. Er hat die damaligen Geschehnisse noch so deutlich vor Augen, als habe sich das Ganze erst gestern ereignet.

"Es war ein Sonntag", erzählt er bei einem Treffen in der SZ-Redaktion, "Sommeranfang." In streng bewachten Lastwagen der amerikanischen Armee waren tonnenweise Banknoten und Münzen nach München gekarrt worden. Die Menschen harrten viele Stunden lang in den Warteschlangen aus.

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"Verunsicherte Menschen hatten vorher in den Banken ihre Guthaben abgehoben, andere zahlten hohe Beträge ein", erinnert sich Stankiewitz. Viele verloren ihr brav erspartes Kapital, denn nur zehn Prozent der Sparguthaben wurden umgetauscht. Jeder Bürger der drei Westzonen nahm 40 Deutsche Mark in Empfang, auch Stankiewitz, der damals Volontär bei der Süddeutsche Zeitung war.

Seine "Kopfquote", wie das neue Geld genannt wurde, investierte er so geschickt, dass sein Kauf noch jetzt, 70 Jahre später, größtes Interesse weckt. Er erwarb nämlich eine Lederhose, die sich als unverwüstlich erwies und künftig als Relikt der frühen Nachkriegszeit im Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg ausgestellt werden soll.

"Ich wollte mir damals etwas Wertbeständiges zulegen, die Zeiten waren ja unsicher", erinnert sich Stankiewitz. 80 Mark hat die Lederhose gekostet. "Und ein bisserl was hab ich ja auch verdient. Als Volontär bekam ich 150 Mark." Er suchte also ein Bekleidungsgeschäft am Münchner Heiliggeisteck auf, dieses Geschäft am Eingang zum Tal existiert immer noch.

"Das ist feines ungarisches Pferdeleder", machte ihm der Säcklermeister den Kauf schmackhaft. Und er versprach nicht zu viel. "Die Hose fühlt sich immer noch schön weich an, auch wenn sie grau geworden ist", erzählt Stankiewitz. Gelegentlich trägt er sie heute noch, sei es auf der Wiesn oder beim Wandern in den Bergen.

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Jetzt aber gibt er sie weg, mag es ihm auch schwerfallen. "Das Museum wollte die Hose unbedingt, und 70 Jahre sind ja auch genug", sagt er. Also wurde ein Kaufvertrag aufgesetzt, demnächst werden die Museumsleute das gute Stück bei ihm abholen. Tatsächlich klebt an jeder Pore dieser Hose Geschichte pur.

Stankiewitz ist als journalistischer Zeitzeuge der Nachkriegszeit fast schon ein Solitär. Sein Haar ist mittlerweile schlohweiß, das Gehör und die Sehkraft haben nachgelassen, und dennoch arbeitet er nach wie vor als Journalist und Buchautor. 34 Bücher hat er geschrieben, das nächste ist bereits in Arbeit. Das Thema: Verlorene Orte Münchner Geselligkeit, Bierpaläste, Kinos, Theater.

Am 7. Oktober 1947 veröffentlichte er seine erste Meldung in der SZ. Mehr als 10 000 Artikel hat er letztlich fabriziert, er hat sie alle fein säuberlich gesammelt, sein Gesamtwerk umfasst ein einzigartiges Panoptikum der Nachkriegszeit. Das Startgeld von 1948 war nicht nur die Initialzündung für das Wirtschaftswunder, sondern auch für die journalistische Karriere des Karl Stankiewitz.

Es gab viel zu berichten, oft schrieb er bis zur Erschöpfung, etwa über die Preissprünge nach der Währungsreform, die so extrem waren, dass verärgerte Hausfrauen auf dem Viktualienmarkt die Eier aus den Kisten griffen und sie den flüchtenden Standlfrauen nachwarfen.

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Seinen beruflichen Werdegang verdankte er seinem Deutschlehrer Dr. Arbinger, der nach dem Krieg Leiter der SZ-Bayernredaktion wurde und den jungen Stankiewitz dem Verleger Werner Friedmann empfahl. "Die Themen liegen auf der Straße, Sie brauchen sich nur zu bücken", riet ihm dieser. "Natürlich war ich stolz, dass er mich ohne große Umstände anstellte."

Lederhosen waren damals auch in der SZ noch von Belang. Einer wie Ernst Müller-Meiningen jr., eine journalistische Autorität ohnegleichen, erschien unbeugsam mit einer Hirschledernen zur Redaktionskonferenz. Eine Festanstellung peilte Stankiewitz nie an. "Ich musste immer raus", sagt er, "ich wollte was anderes sehen. Allein die Kirchtürme haben mir nicht genügt."

Er wechselte dann zur Abendzeitung, wo er in einer Redaktion geformt wurde, in der vom Wurst-Wettessen bis zum Messerwerfen an die Redaktionstür alles an Begleitveranstaltungen geboten war, was man sich denken kann. "Die waren alle a bisserl narrisch, junge Kerle halt, die zuviel Kraft hatten, aber über alles schreiben konnten." Henri Nannen, der über eine AZ-Reportage zum Menschenschmuggel nach Südamerika auf ihn aufmerksam wurde, holte ihn kurzzeitig zum Stern.

Alsbald aber machte sich Stankiewitz als freier Journalist selbständig. Reportagereisen führten ihn rund um die Welt, letztlich belieferte er Dutzende Zeitungen mit Berichten und Reportagen. Am einträglichsten war für ihn der Vera-Brühne-Prozess 1962: "Jeden Tag kam etwas Neues raus, es war spannender als jeder Krimi!" Die Existenz als freier Journalist war für ihn anstrengend "und bedrückend, da die Zahl der Aufträge oft zu groß war". Insgesamt aber war sie doch so beglückend, "dass ich heute noch aktiv bin", resümiert Stankiewitz, der nun ohne Lederhose weiterleben muss.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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