Zehetmair über Stoiber:"Er war gewohnt, dass alles abgenickt wurde"

Der langjährige Minister Hans Zehetmair spricht im SZ-Interview über den Ehrgeiz des Ministerpräsidenten, menschliche Unzulänglichkeiten und Mitleid in der Politik.

Christine Burtscheidt

Als er ging, war Hans Zehetmair das dienstälteste Kabinettsmitglied Stoibers: Bereits seit 1986 im Amt, war er von 1990 bis 1998 Staatsminister für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst, bis 2003 für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Zehetmair über Stoiber: Hans Zehetmair (l.) mit Karin und Edmund Stoiber in Wildbad Kreuth.

Hans Zehetmair (l.) mit Karin und Edmund Stoiber in Wildbad Kreuth.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Die Presse musste häufig auf Stoiber warten, auch sein Ministerrat?

Zehetmair: Anfangs war er relativ pünktlich. Seine Unpünktlichkeit stellte sich erst ein, als es um die Kanzlerkandidatur ging. Damals veränderte sich auch die Balance: Während er zuvor der Landesvater sein wollte, hat er dann versucht, uns Ministern die größeren Dimensionen Bund und Europa nahezubringen.

SZ: Wie war er im täglichen Umgang?

Zehetmair: Er kümmerte sich um jede Kleinigkeit. Nichts ließ er außer Betracht. Wenn er morgens kam, hatte er bereits alle denkbaren Zeitungen durchgearbeitet, und auch schon bei dem ein oder anderen Minister angefragt, was denn da los sei.

SZ: Hat er sich im Kabinett dann auch einzelne Minister zur Brust genommen?

Zehetmair: Das kam durchaus vor.

SZ: Duldete er Widerspruch?

Zehetmair: Ich habe mir die Freiheit im Kabinett herausgenommen, meine Meinung recht ungeschminkt zu sagen. Das traf bei Stoiber nicht immer auf Wohlgefallen; im Nachhinein aber hat er mir gesagt, dass ihm das so fehle, dass einer auch mal antithetisch denke.

SZ: Wer bot ihm noch die Stirn?

Zehetmair: Beckstein hat seine Meinung kundgetan.

SZ: Musste man vor ihm Angst haben?

Zehetmair: Ich hatte nicht den Eindruck, dass im Kabinett ein Schreckensklima herrschte. Es war nur manchmal so, dass er so vereinnahmt war von höheren politischen Sorgen und Problemen, wie er es nannte; und nicht jeder die Meinung teilte.

SZ: Was geschah, wenn er einen Ressortchef mal unvorbereitet antraf?

Zehetmair: Stoiber konnte schon mal direkt einen Minister stellen. Das kam jedoch eher selten vor. Da musste etwas Bedeutendes, in der Presse entsprechend Reflektiertes geschehen sein.

SZ: Sie haben drei Ministerpräsidenten gedient: Strauß, Streibl und Stoiber. Gab es Unterschiede?

Zehetmair: Stoiber hatte die größte Geduld im Zuhören und eine Fähigkeit zum Dialog; bei Strauß ging es sehr viel patriarchalischer zu; bei Streibl war das Themenspektrum insgesamt begrenzter.

"Er war gewohnt, dass alles abgenickt wurde"

SZ: War bei Stoiber der Einfluss der Einflüsterer tatsächlich besonders groß?

Zehetmair: Es gab Zeiten, in denen mehr Beamte im Kabinett saßen als Minister. Das hat mich oft gestört. Übrigens auch Stoibers zunehmender Hang zum Aktionismus. Ich sage aber klar, dass ich ihn für einen Glücksfall für Bayern halte. Er hat dem Land erfolgreiche Jahre beschert, das wird bestehen bleiben, trotz aller menschlichen Unzulänglichkeiten.

Letztlich hat er sich selbst zu viel aufgeschultert. Er hätte sich einigen Substanzverlust sparen können, wenn er die Minister umfassender auf der Grundlage der bayerischen Verfassung in die Verantwortung gesetzt hätte.

SZ: Hat Stoiber über seine Minister hinweg regiert?

Zehetmair: Wenn man den Mut hatte, Standpunkte darzulegen und darauf zu beharren, hat er auf einen gehört.

SZ: Veränderte er sich nochmals durch die Zweidrittel-Mehrheit 2003?

Zehetmair: Überraschender Weise hat er sich mit der Zweidrittel-Mehrheit schwer getan. Das lag vor allem an der Fraktion. Stoiber war gewohnt, dass alles abgenickt wurde. Die Umsetzung der von ihm als richtig erkannten Fortschritte wurden bei einer so überstarken Fraktion jedoch schwerer.

Es gab immer mehr Murrer in den Reihen, die sagten: Will er uns gar nicht mehr fragen? Das führte letztlich zur Eskalation in Kreuth.

SZ: Sie erlebten nach der Wahl 1998, als ihr Haus geteilt wurde, am eigenen Leib, was es heißt, von ihm entmachtet zu werden. Hatte er Sie vorab informiert?

Zehetmair: Nein, hier wurden durch plötzliche Entscheidungen vollendete Fakten geschaffen. So auch bei mir. Ich wurde zu ihm gebeten, und er sagte mir: Das Haus wird geteilt und Du wirst nicht mehr Stellvertreter, weil es eine Frau werden muss. Er sagte, es falle ihm schwer, aber er müsse so handeln.

SZ: Hatte Stoiber auch mal Mitleid mit seinen Ministern?

Zehetmair: Wenn man persönlich ein Problem hatte, durchaus. Im Grunde ist Stoiber doch ein Familienmensch.

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