Wunsiedel: Ende einer Nazi-Pilgerstätte:Grabesruhe nach der Exhumierung von Hitlers Stellvertreter

In Wunsiedel erinnert nun nichts mehr an Rudolf Heß. Das Grab von Hitlers Stellvertreter wurde überraschend aufgelöst - nicht einmal der Bürgermeister erfuhr davon. Der oberfränkische Ort atmet auf und hofft, die Ultrarechten endlich los zu sein.

Olaf Przybilla, Wunsiedel

Am Tag danach kniet eine Frau am Grab ihres Mannes auf dem Friedhof von Wunsiedel, zehn Meter mögen es von hier zu dem Ort sein, an dem der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß beerdigt war. Sie hat noch gar nicht mitgekommen, dass das Grab seit Mittwochfrüh aufgelöst ist und der Grabstein abtransportiert wurde. Aber jetzt, da sie es erfährt, schaut die Frau nach oben, hält einen Moment lang inne und sagt dann: "Wirklich?" Es liegt sehr viel in dieser Frage, vor allem Erleichterung.

Am Eingang zum Friedhof steht Peter Seißer. Wenn es einen gibt, der die Geschichte des Kriegsverbrechers Rudolf Heß in Wunsiedel bis in alle Verästelungen kennt, dann ist es Seißer, der Mann, der von 1990 an 18 Jahre lang Landrat von Wunsiedel war. Seißer konnte in dieser Zeit nie im August in den Urlaub fahren, weil der August der Monat war, an dem sich die Nazis in Wunsiedel angemeldet haben, immer um den 17. August herum, dem Todestag von Rudolf Heß.

Seißer war es, der 1989 - noch als stellvertretender Landrat - den ersten Bescheid des Landratsamtes unterzeichnete, mit dem sie in Wunsiedel versuchten, die Nazis aus der Kleinstadt zu halten - vergeblich. Er stand danach 18 Jahre im Zentrum der juristischen Auseinandersetzungen mit den Rechtsextremisten, manchmal mit Erfolg, oft genug ohne. Briefe hat Seißer aufgehoben, in denen ihm - der Hauptzielscheibe der Heß-Verehrer - und seiner Familie Gewalt angedroht wurde. Nun aber darf Seißer hoffen, dass das tatsächlich alles ein Ende hat. Nein, Triumphgefühle habe er nicht, sagt Seißer, aber das Gefühl "ist schon positiv".

Am Ende ging es alles ganz schnell: Am Mittwoch, noch vor Sonnenaufgang, kamen die Bestatter. Sie hoben die Überreste von Rudolf Heßaus und montierten den Grabstein ab. Der Stein mit dem Spruch "Ich hab's gewagt" wurde mit einem Lkw abtransportiert, der Grabstein soll nun zerstört werden, so wollen es die Angehörigen von Heß.

Keine neue Pilgerstätte soll es geben: Die Überreste von Heß wurden kremiert, die Asche soll an unbekanntem Ort auf dem offenen Meer verstreut werden. Eine Stunde nur dauerte der Abbau des Steins, um sechs Uhr früh war alles getan, nicht mal der Bürgermeister erfuhr davon. Jetzt erinnert nichts mehr an Rudolf Heß in Wunsiedel.

"Wir müssen dieser Frau sehr dankbar sein"

Seine Enkeltochter, eine Frau aus Süddeutschland, hatte das im Namen der Angehörigen so mitgeteilt. Sie wollte, dass endlich Schluss sei mit den Berichten über die braune Wallfahrtsstätte in Wunsiedel. "Wir müssen dieser Frau sehr dankbar sein", sagt Seißer, der auch Mitglied im Vorstand der evangelischen Kirchengemeinde von Wunsiedel ist. Diese hatte kürzlich beschlossen, den Pachtvertrag für das Grab von Heß nicht mehr zu verlängern. Kurz sah es so aus, als käme es zu einem Rechtsstreit. Das aber wollten die Angehörigen von Heß nicht.

In Blickweite zum eingeebneten Grab steht Hans Schinhammer, der katholische Pfarrer der Gemeinde Kirchenlamitz. Dass er an diesem Morgen auf dem Friedhof von Wunsiedel steht, "ist purer Zufall", sagt er. Aber, wie das manchmal so ist, einer mit hoher Symbolkraft. Denn eigentlich stand das Ferienhaus der Familie Heß gar nicht in Wunsiedel, sondern in Kirchenlamitz. In Wunsiedel hat der Kriegsverbrecher Heß niemals gelebt, die Überreste seiner Eltern waren 1963 vom Hofer Friedhof nach Wunsiedel überführt worden. Rudolf Heß, der bis zu seinem Tod in Spandau inhaftiert war, hat das Grab nie gesehen.

"Gut für diese Stadt"

Als es 1987 darum ging, wo Heß bestattet wird, hatte sich die evangelische Kirchengemeinde von Wunsiedel bereit erklärt, Heß im Familiengrab zu bestatten. Mit allen Folgen. Dass es das Grab nun nicht mehr gibt, "ist gut für diese Stadt", sagt Pfarrer Schinhammer, "und unter christlichem Blickwinkel ist gegen eine solche Exhumierung nichts einzuwenden".

Peter Seißer hält kurz inne. Die Geschichte der Nazi-Aufmärsche in Wunsiedel will er einmal herausgeben, im Wesentlichen ist die Arbeit bereits gemacht. Einige der Bilder sind ohnehin längst ins kollektive Gedächtnis der Kleinstadt eingegangen: das Bild, als sich der Bürgermeister von Wunsiedel, Karl-Willi Beck, mehreren tausend Neo-Nazis in den Weg setzt. 2004 war das, der CSU-Mann wurde berühmt durch seine Sitzblockade.

Ein Jahr später stand Peter Seißer (SPD) vorm Innenausschuss des Bundestages und warb um eine Veränderung des Strafrechtsparagraphen 130. Mit Erfolg: Aufmärsche mit Verweis auf Heß waren seither in Wunsiedel verboten. Und dann der Herbst 2010, als wieder Nazis durch Wunsiedel marschieren: diesmal in Erinnerung an den gestorbenen Jürgen Rieger, der die "Heß-Gedenkmärsche" organisiert hatte.

Dass die Ultrarechten zurückkommen nach Wunsiedel, glaubt Seißer nicht: "Das hat sich, hoffe ich, nun erledigt." Seit diesem Mittwoch könnte das letzte Kapitel im Wunsiedel-Buch von Peter Seißer ein gutes Ende nehmen.

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