Würzburg:Traumimmobilie unter der Autobahnbrücke

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Die FC-Bayern-Fahne macht mal schlapp, der Verkehr auf der Talbrücke reißt nie ab. Peter Wolz ist das wurscht. Er liebt diese Sonderform einer Oase. (Foto: Daniel Peter)

Das Häuschen von Peter Wolz wird von allem umtost, was Krach macht. Trotzdem sagt er: "Aus dem würde mich kein Geld der Welt mehr rausbringen."

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Auf dem Weg zu Peter Wolz nimmt man am besten die Tram, und das schon deshalb, weil sich das Navi weigert, einen dorthin zu leiten. Vom Hauptbahnhof in Würzburg aus sind es etwa 20 Minuten. Erst geht die Fahrt quer durch bunte Viertel der Universitätsstadt, danach über den Main. Hoch überm Weinberg grüßt die Festung, im Tal daneben das Käppele, Balthasar Neumanns Wallfahrtskirche.

Das alles sieht an guten Tagen aus, wie einem etwas kitschig geratenen Reisekatalog entnommen, aber die Fahrt geht ja noch weiter den Main entlang. Dorthin, wo Wolz, 49, sich sein Häuschen hergerichtet hat. Wolz lebt auch wie im Katalog, in einem allerdings, könnte man sagen, für kurioses Wohnen. Es gibt auch Leute, die sagen: wie in der Hölle.

Ausstieg im Stadtteil Heidingsfeld, Haltestelle Heriedenweg. Für Menschen, die zu Beklemmungen neigen, wird es hier allmählich schwierig. Der Blick in Richtung Süden bietet so ziemlich alles, was man für einen schönen Blick nicht brauchen kann.

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Permanenter Krach macht krank, Auswirkungen auf den Blutdruck hat er hingegen nicht. Das ist das Ergebnis einer großangelegten Studie.

Links führt die Tramtrasse hinauf zur Trabantenstadt Heuchelhof, eine Siedlung, die mit dem Namen ähnlich viel Pech hatte wie mit ihrer Architektur. Rechts schiebt sich eine zweigleisige Bahntrasse in Richtung Bad Mergentheim ins Bild, gerne genommen vom Güterverkehr. Und darüber spannt sich eines der, wenn man so will, imposantesten Bauwerke im Bayern der Sechzigerjahre: Würzburgs Talbrücke.

Es ist kurz vor 17 Uhr an einem Werktag, bis zu den 60 Meter hohen Pfeilern der Brücke sind es von der Haltestelle aus noch ein paar Hundert Meter. Einheimische empfehlen, man solle hier mal versuchen festzustellen, wie viele Lastkraftwagen gerade das Tal überqueren. Die Antwort ist nicht ganz leicht, sämtliche 700 Meter der Brücke bekommt man von da nämlich nicht in den Blick. Auch erkennt man nur eine der Spuren und die Laster fahren Stoßstange an Stoßstange, bei etwa 14 muss man immer wieder neu anfangen mit dem Zählen. Ist aber auch egal. Paar Dutzend halt.

Tramtrasse links, Autobahnbrücke geradeaus, Bahntrasse rechts, so kam man sich das am Heriedenweg schon seit ein paar Jahrzehnten anschauen. Relativ neu dagegen ist die Baustelle vor der Talbrücke, die war Jahre lang der Zankapfel der Stadt schlechthin. Die A 3, eine der meistbefahrenen Autobahnen der Republik, soll auf sechs Spuren verbreitert werden, dafür braucht es eine neue Brücke.

Wie sich das mit dem Schatten auswirkt, ist ihm nicht so wichtig

Die wird ein paar Meter weniger hoch sein als die alte, aber natürlich deutlich breiter. Wie sich das auf den Schatten am Häuschen von Peter Wolz auswirkt, wenn das Ding wohl 2019 fertig sein wird, das wisse er noch gar nicht, sagt er. Ist ihm aber auch nicht so wichtig. Wie vieles, was andere für wahnsinnig schlimm und absolut unerträglich und was nicht alles halten würden.

"Das ist so lächerlich", sagt Wolz, wenn man ihn auf vermeintliche Seelenqualen in seinem Haus inmitten von Verkehrstrassen anspricht. "Aus dem würde mich kein Geld der Welt mehr rausbringen." Warum? "Weil ich hier total glücklich bin."

Zu seinem Haus muss man von der Haltestelle stadtauswärts noch an zwei Discountern und einer Tankstelle vorbei, hinter dem Ortsschild geht dann rechts ein geteerter Weg unter einer Bahnunterführung hindurch, der ist es noch nicht. Aber der nächste ist es, der Schotterweg, wo dieser Tage ein armdickes Kabel an der Hecke wie ein Geländer in Richtung Autobahnbrücke leitet.

Kurz vor einem der Pfeiler geht es nicht mehr weiter, am Bauzaun hat man einen formidablen Blick auf die Baustelle eines Ausmaßes, wie man sich Wallensteins Lager vorstellt. Und direkt vor diesem Bauzaun steht das Häuschen von Wolz. Es rückt, wenn die alte Brücke erst mal gesprengt und die neue in Betrieb sein wird, noch gute 30 Meter näher ans Geschehen auf der Autobahn heran. Und Wolz ist das: total wurscht. Sagt er.

Wolz hat sich das Haus vor zwölf Jahren gekauft, da gab es die Trassen längst. Er ist Chef einer Baufirma, einer seiner Kunden hatte ihn an die Stelle unter der Brücke geführt, eines Gartenhäuschens wegen. Wolz war zuvor nie unter der Brücke, was vielen Würzburgern so gehen dürfte.

Aber die Brücke war nicht das, was ihn in den Bann schlug, das Bahnwärterhäuschen war es. Die Nacht darauf konnte er nicht schlafen, so sehr, sagt er, habe ihn der Wunsch bewegt, dieses Haus besitzen, sanieren und bewohnen zu dürfen. Die Eigentümer des Häuschens dachten erst, Wolz wolle sie veralbern. Das Haus stand Jahre lang nahezu leer, kein Wasser, kein Kanalanschluss. Aber sie meldeten sich, als sie das Häuschen verkaufen wollten.

Warum will man so was kaufen? Wolz, blaue Augen, 1,96 Meter groß, 115 Kilogramm schwer, schaut einen an seinem Esstisch an, als ob das die dümmste aller denkbaren Fragen wäre. Sandstein aus dem Ochsenfurter Gau, verzierter Dachstuhl, der Ziegelstein, ein etwa hundert Jahre altes Bahnwärterhäuschen, "das ist doch Baukultur", sagt Wolz.

Man glaubt, etwa vier Ausrufezeichen zu hören, und das offenbar nicht deshalb, um irgendwelche Trassen zu übertönen. "Was hören Sie?", fragt Wolz, nippt genüsslich am Feierabendbier, wartet einen Moment und antwortet dann, mit einer Prise Triumph in der Stimme, selbst. "Nichts hören Sie."

Dämmung, vor allem der Fenster, das sei ihm schon wichtig gewesen, sagt er. Andererseits: Selbstverständlich schlafen er und seine Partnerin bei offenen Fenstern, und natürlich grille man im Garten, so oft es nur gehe. "Ich höre auch draußen nichts mehr", sagt Wolz, er habe also keine Ahnung, wie dicht der Verkehr gerade ist zwischen Nürnberg und Frankfurt. Wann die Züge nach Mergentheim und die Bahnen zum Heuchelhof fahren, schon gar nicht.

Es ist tatsächlich leiser, als man sich das vorstellen würde

Sein Gehirn rechne das offenbar raus, es interessiere sich einfach nicht dafür. Und übrigens, sagt Wolz, und bittet strumpflos in Schlappen hinaus in den Garten, bei sieben Grad: Man höre da eben kein Dadong-Dadong-Dadong. So höre sich das nur bei Fugen an. Schräg unterhalb der Brücke höre man nur ein: ühüüüüüüüü. Dauerhaft, ohne Unterbrechung. Und tatsächlich leiser, als man sich das vorstellen würde.

Aber die Fünf-Jahres-Baustelle am Gartenzaun, gleich hinter der FC-Bayern-Fahne, dem Strandkorb mit den Schlümpfen und dem Stall mit den sieben Hühnern? Wolz verdreht leicht die Augen. "Bekomm' ich doch kaum was von mit." Morgens müsse er zur Arbeit, abends und wochenends ist Ruhe. Einmal, erzählt seine Partnerin Monika Saueracker, als die ganz großen Bohrer kamen, habe das Tal vibriert. An diesen Tagen habe sie sich morgens gleich rausgesetzt: "Wann sieht man so was schon mal, so Megabohrer?"

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Ein Mensch kauft sich ein neues Auto, ist begeistert. Gleich danach liest er einen miserablen Testbericht. "Kognitive Dissonanz" nennen Sozialpsychologen Vorgänge, die sich in solchen Fällen im Hirn abspielen: der Versuch, sich etwas so zurecht zu motivieren, dass man irgendwie leben kann damit. Wer aber Wolz einen Abend lang zuhört und wer ihn beobachtet, wie er über den Lack alter Türrahmen streichelt, wie er die alten Reichsmünzen des Bahnwärters vorkramt, die Hans-Moser-Porträts an der Wand vorstellt, weil der mal in so einem Bahnwärter-Film mitgespielt hat - der ahnt danach: Da motiviert sich einer gar nichts zurecht. Da hat einer einfach eine Passion. Und vor allem keine Lust auf das Geklage deutscher Großstädter, die sich morgens auf der Autobahn über den allfälligen Stau auskotzen und am Abend eine Bürgerinitiative gründen gegen den Ausbau von Verkehrswegen.

In den Tagen, als es hoch her ging in Würzburg wegen der neuen Brücke, hat sich ein Anwalt bei Wolz gemeldet. Er sei doch einer der Hauptbetroffenen, ein idealer Wutbürger quasi für die Initiative gegen die Brücke. "Gar nichts werde ich tun", antwortete ihm Wolz. Weil ein Land auch neue Infrastruktur brauche, er selbst gerne rasch unterwegs sei und Alternativen sauteuer gekommen wären. "Und ich hier auch mit Baustelle sauglücklich bin", sagt Wolz.

Als die frühere Eigentümerin bei der Einweihungsfeier sah, was er aus ihrem Häuschen gemacht hatte, fing sie erst an zu weinen. Und bot Wolz dann das Zehnfache des Verkaufspreises, wenn er's wieder hergibt. Womöglich im Spaß. Wolz aber ist sich ziemlich sicher: Die meinte das ernst.

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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