Würzburg:"Bis sie nicht mehr geschrien hat"

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Im Schlosspark in Wiesentheid hatte ein Spaziergänger beim Gassigehen mit seinem Hund eine schwer verletzte junge Frau gefunden. (Foto: dpa)
  • Am zweiten Prozesstag gesteht der 20-jährige Angeklagte, seine Ex-Freundin in den Schlosspark von Wiesentheid gelockt und niedergestochen zu haben.
  • Am ersten Tag hatte der Pflichtverteidiger des Hauptangeklagten eingeräumt, mit der Geständniserklärung seines Mandanten nicht fertig geworden zu sein.

Aus dem Gericht von Olaf Przybilla, Würzburg

Es geht um ein Kapitalverbrechen. Ein 20-Jähriger soll seine ehemalige Freundin in den Schlosspark von Wiesentheid gelockt haben, er soll auf sie eingestochen und sie dann in der Kälte liegen gelassen haben. Die 22-Jährige musste über Wochen ins Koma versetzt werden, sie kann sich nicht mehr selbständig bewegen und wird womöglich für immer auf Hilfe angewiesen sein.

Aber der zweite Tag der Verhandlung beginnt nicht so, wie man das vor einer Strafkammer am Landgericht erwarten darf. Sondern so merkwürdig, wie schon der erste Tag begonnen hat. An diesem hatte der Pflichtverteidiger des Hauptangeklagten einräumen müssen, mit der Erklärung des Geständnisses seines Mandanten nicht fertig geworden zu sein, nach mehr als acht Monaten Untersuchungshaft. Diesmal kommt einer der Richter einfach 100 Minuten zu spät. Warum?

Der Vorsitzende Richter will sich über die Gründe nicht äußern. Lässt aber erkennen, dass ihm das Verhalten seines Kollegen nicht gleichgültig ist. Offenbar gibt es keinen Grund für die Verspätung, den man guten Gewissens öffentlich verkünden könnte. Er müsse einräumen, sagt der Vorsitzende Richter, dass es "nicht das beste Bild ist, das das Gericht abgibt". Hat der Kollege verschlafen, fragen sich Zuschauer im Saal. Oder die Verhandlung einfach vergessen? Der zu spät kommende Richter starrt auf die Tischplatte. Er sagt nichts.

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Immerhin erwähnt der Vorsitzende Richter, dass das Gericht am ersten Tag noch den Anwalt hart angegangen hatte, wegen Disziplinlosigkeit. Der hatte erklärt, "aus Termingründen" die Erklärung seines Mandanten nicht vorbereitet zu haben. Wollte dann aber trotzdem weiter verhandeln. Bis ihn das Gericht aufmerksam machte, dass ein - aus welchen Gründen auch immer - nachgeschobenes Geständnis nicht denselben Wert habe wie eines, das gleich zu Beginn des Prozesses abgegeben wird. Das sah der Anwalt ein, die Verhandlung wurde daraufhin geschlossen.

An diesem zweiten Tag legt nun also der Hauptangeklagte das schon für den ersten Tag vorgesehene Geständnis ab. Er habe geglaubt, die 22-Jährige aus dem unterfränkischen Wiesentheid sei die Liebe seines Lebens, sagt er. Als sie nach vier Monaten Beziehung im vergangenen Herbst Schluss mit ihm gemacht habe, sei eine Welt für ihn zusammengebrochen. Zumal er im Streit das Elternhaus verlassen und seinen Ausbildungsplatz verloren hatte. Er habe eine Familie mit der 22-Jährigen gründen wollen, sie aber sei wohl nur an einer flüchtigen Beziehung interessiert gewesen. "Ich war blind vor Liebe", sagt er.

Als ihm das Leben aus dem Ruder lief, habe er die Ex-Freundin dafür verantwortlich gemacht, dass er "kein Zuhause, keine Arbeit, keine Familie mehr" gehabt habe. Keine Familie mehr? Er sei faul gewesen daheim, sagt der Angeklagte, sei nach der Arbeit immer gleich aufs Zimmer an die Spielkonsole gegangen. Das habe Ärger im Elternhaus gegeben.

Entscheidend für den Bruch sei aber gewesen, dass seine Mutter gesagt habe, mit seiner Freundin sei eh bald Schluss. Das stimmte zwar, habe er aber nicht hören wollen. Um die Freundin zurückzuholen, habe er ihr sogar Fotos mit Messer am Hals geschickt. Endgültig Schluss sei dann gewesen, als er erzählt habe, in seiner Brust sei ein Tumor entdeckt worden. Die Geschichte war frei erfunden.

"Ich bin ja auch ein Mensch"

Was er vorhatte, habe er einem Freund erzählt. Der habe sich bereit erklärt zu helfen. Mit dessen Handy habe man Kontakt zur Ex-Freundin aufgenommen und sie unter einem Vorwand nach Wiesentheid bestellt. Der Freund sei dann mit der 22-Jährigen abends in den Schlosspark gegangen, sie habe an einen Spaziergang geglaubt. Dort habe der 20-Jährige gewartet. Er habe sie umarmt und ihr gesagt, wie sehr er sie liebe und wie sehr sie ihn verletzt habe.

Sie wollte weg aus dem Park. Da habe er zunächst innegehalten. Warum? "Ich bin ja auch ein Mensch", antwortet der 20-Jährige. Dann aber habe er mit einem Messer zugestochen, in Hals und Nacken, und als die Ex-Freundin in die Knie ging, noch einmal, "bis sie nicht mehr geschrien hat". Was er gefühlt hat dabei? "Angst", sagt er, "Angst vor allem vor mir selbst." Man habe noch das Handy der Ex-Freundin zerstört und sie auf dem winterlichen Boden liegen gelassen. Dort wurde sie zwölf Stunden später von einem Spaziergänger gefunden.

Das tue ihm alles sehr leid, sagt der 20-Jährige. Er räumt aber auch ein, dass das nicht immer so war. Als er hörte, dass seine Ex-Freundin überlebt hat, habe er einen Freund gefragt, ob der die Tat in der Klinik vollenden wolle. Man habe dann aber keine konkreten Pläne geschmiedet.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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