Wolfratshausen: Nach Tigerangriff:Mutprobe in der Manege

Im Dezember fielen drei seiner Tiger über Christian Walliser her - nun tritt der Dompteur wieder auf. Doch ihm ist bewusst: Es ist ein steter Machtkampf.

Marlene Weiss und Karin Prummer

Die Anspannung ist Christian Walliser anzusehen. Daran ändert auch das dicke Make-up nichts. Er ist wachsam. Hochkonzentriert. Der linke Arm macht noch Probleme. Gegen die Schmerzen hat er Morphium genommen. Bloß keine Schwäche zeigen.

"Ich bin das Alphatier", sagt Walliser. Es klingt, als ob er sich dessen noch einmal selbst vergewissern müsste. An diesem Samstag feiert der Circus Crocofant Premiere. Für Walliser ist es der erste Auftritt, seit drei seiner Tiger im Dezember über ihn herfielen und ihn lebensgefährlich verletzten.

Es ist natürlich keine normale Zirkusvorstellung in Wolfratshausen. Im Zelteingang drängen sich Reporter und Fotografen. Auch ein Kamerateam stapft durch den Schnee vor dem Zelt, seinen ersten Auftritt nach dem Unfall hat Walliser teuer an einen Fernsehsender verkauft. So viel Aufmerksamkeit bekommt dieser Zirkus sonst selten.

Perfekt proben kann man einen Raubtierauftritt nicht: Die Tiger sehen und hören das Publikum, sie spüren die Stimmung im Zelt, reagieren auf die Lichter und vor allem auf die Nervosität ihres Dompteurs.

Kein Machtkampf - kein Risiko

Als im Zelt die Scheinwerfer angehen, kommt erst der Clown. Jetzt sollen nochmal alle lachen. Aber dann wird es ernst. Einer nach dem anderen schreiten die sechs Tiger in die Arena. Die drei, die den Dompteur im Dezember angegriffen haben, sind heute nicht dabei.

Noch ist Walliser das Alphatier. Die Tiger gehorchen ihm. Sie machen Männchen, wenn er es will. Sie springen, wenn er befiehlt. Es ist ein Spiel, und der schmächtige Dompteur gibt die Kommandos. Die Braven bekommen immer wieder einen freundlichen Klaps auf die Hinterflanke.

Carren ist nicht brav. "Zicke", nennt Walliser diesen Tiger. Er weigert sich beharrlich, sein Podest zu besteigen. Und jetzt merkt man doch, dass der Unfall im Dezember etwas verändert hat. Walliser hört auf, Alphatier zu sein.

Er lässt es nicht auf einen Machtkampf ankommen; er will kein Risiko eingehen und schickt Carren in die Ecke - dann eben nicht. Die anderen Tiger reißen das Maul weit auf und fletschen die Zähne. Es ist ein immerwährender Machtkampf.

Das weiß der 28 Jahre alte Dompteur aus Königsbrunn nur zu genau: Ein unaufmerksamer Augenblick reicht, ein kleiner Fehler schon. So war das im Dezember. In der Manege des "Dinner-Zirkus" in der Alten Hagenbeckschen Dressurhalle in Hamburg begann gerade sein Auftritt, da stolperte er.

Drei Tiger attackierten ihn, verbissen sich in Kopf, Oberkörper und linken Arm. Die Ärzte mussten ihn danach in sechs Operationen wieder zusammenflicken. Walliser lag im Koma.

Für JBK auf der Couch

Als er die Hamburger Klinik wieder verlassen durfte, begannen die wirtschaftlichen Probleme. Walliser arbeitet freiberuflich. Keine Arbeit heißt: kein Geld. Seine zwölf Tiger haben aber trotzdem Hunger. 150 Euro brauche er jeden Tag allein für das Fleisch, um sie satt zu bekommen, sagt Walliser.

Er hat es geschafft, die drei Monate, die er nicht arbeiten konnte, zu überbrücken. Es war nicht einfach. Aber der Unfall hatte ihn auch prominent gemacht. Ein von seinen eigenen Tigern zerfleischter Dompteur - für den interessierten sich plötzlich die Fernsehsender und Boulevardblätter. Die Reporter kamen zum Krankenbesuch sogar zu ihm nach Hause.

Johannes B. Kerner schaltete für seine Sendung zu ihm ins Wohnzimmer, wo der Dompteur blass und erschöpft auf der Eckcouch lag. "Ich musste alles reinholen, was geht", sagt er. Und er schaffte es, seine Tiger, die er seine Kinder nennt, zu halten. Mit Interviews und TV-Auftritten verdiente er bisher etwa 20.000 Euro.

Doch irgendwann musste er zurück in die Manege. Da gehört ein Dompteur hin, nicht auf die Couch. Jetzt hat er seinen ersten Auftritt gleich hinter sich. Mit zwei Jungtieren wälzt er sich zum Schluss in der Manege. Die Tiger wirken wie Schmusekatzen. Dann ist alles vorbei.

Und jetzt fällt auch die Anspannung. Walliser lacht endlich und sieht ganz ungezwungen aus. Die ersten Gäste gehen bereits. Sie hatten nur seinen Auftritt sehen wollen.

Und Walliser? Der steht draußen vor dem Zelt. Er hat seine Tiger schon versorgt und posiert wieder für die Fotografen. Wie es war, wieder in der Manege zu stehen? "Ganz normal", sagt er nur. In wenigen Stunden beginnt die Abendvorstellung. Dann werden auch Wallisers Eltern da sein - bei der Premiere wollte er sie nicht dabei haben.

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