Wohnungsnot:Lindauer Platzprobleme

Lindauer Hafen

Lindau ist ein beliebtes Ziel von Touristen. Für die Einwohner allerdings gibt es immer weniger Wohnraum in der Altstadt.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Stadtrat will keine neuen Ferienwohnungen genehmigen. Allerdings könnten viele im Gremium befangen sein, weil fast jeder am Tourismus verdient

Von Christian Rost, Lindau

In Lindau ist kaum mehr bezahlbarer Wohnraum zu finden. Der Quadratmeterpreis für eine Mietwohnung hat längst die Zehn-Euro-Marke überschritten. Weil insbesondere in der Altstadt auf der Insel Lindau immer mehr Wohnraum in Ferienwohnungen umgewidmet wird, verschärft sich die Situation zusätzlich. Die Einheimischen finden keine bezahlbare Unterkunft mehr, und außerhalb der Tourismussaison sind ganze Straßenstriche verwaist. Die Stadt will den Wildwuchs an Ferienwohnungen nun eindämmen. Ein Genehmigungsverbot steht zur Debatte. Allerdings muss erst geklärt werden, wie viele Stadträte in dieser Angelegenheit befangen sind. Selbst wer Tanten, Onkel, Nichten oder Neffen hat, die Ferienwohnungen betreiben, ist möglicherweise nicht abstimmungsberechtigt.

Anbieter einer Ferienwohnung am Bodensee kommen auf ihre Kosten. Jürgen Widmer, Sprecher der Stadt, weiß das aus eigener Erfahrung. Als er vor sieben Jahren nach Lindau zog, wohnte er zunächst in einer Ferienwohnung. "In einer Baracke", wie er sich erinnert, "für 60 Euro am Tag". Vor diesem Hintergrund ist es natürlich attraktiv, ins Tourismusgeschäft einzusteigen. Das ist auf der Lindauer Insel problemlos möglich, weil die Altstadt mit ihren 3000 Einwohnern großteils als Mischgebiet für Gewerbe und Wohnen ausgewiesen ist. Bis 2001 galt noch die Regel, dass dort vom zweiten Obergeschoss an "nur Wohnungen zulässig sind, nicht jedoch gewerblich genutzter Wohnraum". Auf Antrag der örtlichen CSU wurde diese Festsetzung jedoch gestrichen. Jetzt haben die Lindauer den Salat: ein Übermaß an Ferienwohnungen.

"Es gibt Gassen in der Altstadt, da werden von sechs Häusern fünf als Ferienhäuser vermietet", beschreibt Widmer die Situation. Während sich die Urlauber über das Angebot freuen, finden weniger gut bezahlte Arbeitskräfte wie Angestellte in der Gastronomie oder Pflege keine Wohnung mehr. In mindestens 61 Gebäuden in der Altstadt würden mittlerweile Wohnungen an Urlauber vermietet, sagt Widmer. Und es werden immer mehr, die Ferienwohnungen anbieten wollen. Die Anträge auf Umwandlung hätten 2017 "signifikant zugenommen", sagt der Stadtsprecher weiter.

Die Stadt bemüht sich, das Wohnungsproblem in den Griff zu bekommen. Von diesem Jahr an sollen jährlich 100 neue Wohnungen in Lindau gebaut werden. Die Bauherren müssen sich verpflichten, einen Teil günstig zur Miete anzubieten. Das Wohnungsbauprogramm wird allerdings konterkariert, wenn parallel dazu die Umwidmung in Ferienwohnungen ungebremst weiterläuft. Die Stadtverwaltung will deshalb den Bebauungsplan für die Altstadt ändern. "Es besteht eine Gefahr in der enormen Anzahl und der räumlichen Häufung der Ferienwohnungen auf der Insel Lindau", heißt es in einer Beschlussvorlage für den Stadtrat. Haushalte mit kleineren und mittleren Einkommen fänden schon jetzt keinen angemessenen Wohnraum mehr. Die Stadt befürchtet überdies, dass sich ein Supermarkt wieder von der Insel verabschiedet, wenn nicht ganzjährig genügend Kunden kommen. Nachdem ein Lebensmittelladen vor zwei Jahren geschlossen hatte, gelang es nur mit Mühe, den Markt in die Altstadt zu locken. Der Einwohnerschwund hat aber noch weitere Folgen für das städtische Leben: Von einem "Niedergang des Ehrenamtes und Vereinslebens" ist im Rathaus die Rede, wenn die Altstadt verödet. Zudem könnte sich eine sinkende Einwohnerzahl auf den Betrieb von Kindertageseinrichtungen und Schulen negativ auswirken, wenn die Nachfrage schrumpft und Einrichtungen geschlossen werden müssen.

Jürgen Widmer betont, dass natürlich auch das Interesse der Anbieter von Ferienwohnungen legitim sei. "Die wollen ihre Rendite." Deshalb fallen etwa die Hälfte der Kommentare in den sozialen Netzwerken zum Verbotsvorhaben der Stadt negativ aus: "So ein Mist", steht da beispielsweise. Andererseits freuen sich Wohnungssuchende über die Initiative: "Ja, super", schreiben die Befürworter. Ein Sturm der Empörung ist in der Bevölkerung bislang jedenfalls nicht auszumachen. Nur der örtliche Ableger des Vereins Haus & Grund warnt: Die Tourismusregion Lindau brauche wegen fehlender Hotelbetten Ferienwohnungen, um Touristen, Messebesuchern und Saisonarbeitern eine zeitlich befristete Wohnmöglichkeit zu bieten, so Haus & Grund in einer Mitteilung.

Rasch wird das Ferienwohnungsverbot nicht kommen. Zunächst muss geklärt werden, welcher Stadtrat in der Angelegenheit befangen ist und nicht abstimmen darf. Möglicherweise sind es so viele Räte, dass das Gremium gar nicht beschlussfähig ist. In diesem Fall müsste der Landrat den Bürgermeister ermächtigen, alleine zu entscheiden. Bis es so weit ist, werden noch einige Urlauber in Lindau übernachten.

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