WM im Eisstockschießen:Mweshipopyas großer Auftritt

Hochleistungssportler treffen auf absolute Neulinge - und wenn der kleine Zeh juckt, ist das keine Staatskrise: Bei der WM im Eisstockschießen in Waldkraiburg tummeln sich Hüftsteife, Gwamperte, Informatiker und ein Frauenteam aus Namibia, das noch nie auf Eis stand. Nur am Kiosk gibt es bisweilen Verständigungsprobleme.

Hans Kratzer

Auf die Frage, ob er schon einmal den Namen des Malers Pieter Brueghel gehört habe, reagiert der Eisstockschütze Jessie Mweshipopya aus Namibia mit einem freundlichen Lächeln. Ein strahlend weißes Gebiss blitzt aus seinem Mund heraus, afrikanische Gelassenheit steuert seine Mimik.

WM im Eisstockschießen: Der Erfolg beim Eisstockschießen beruht auf Präzision und Konzentration. Hier nimmt die aus Kenia stammende Caroline Karicho mit ihrem Eisstock Maß.

Der Erfolg beim Eisstockschießen beruht auf Präzision und Konzentration. Hier nimmt die aus Kenia stammende Caroline Karicho mit ihrem Eisstock Maß.

(Foto: Claus Schunk)

Beim Anblick des Namibiers in der Eishalle von Waldkraiburg kommt einem unweigerlich der alte Brueghel in den Sinn, der vor gut 450 Jahren die "Heimkehr der Jäger" gemalt hat. Dieses Gemälde zeigt eine dörfliche Winterlandschaft, die bei genauem Hinsehen ähnlich Erstaunliches offenbart wie die gerade laufende Eisstock-Weltmeisterschaft mit dem Sportsmann Mweshipopya.

Bei Brueghel ist zu sehen, dass sich auf flandrischen Dorfweihern schon im 16. Jahrhundert Schlittschuhläufer und Eisstockschützen tummelten, obwohl sie weder Thermo-Unterhosen noch Funktionsjacken trugen und obwohl ihre nackten Füße nur in Holzschuhen steckten.

Von einer solch archaischen Ausrüstung ist Mweshipopya weit entfernt, obwohl er in seiner Heimat Namibia in bescheidenen Verhältnissen in einer Strohhütte lebt. Dass einer wie er in dieser Woche an der Eisstock-Weltmeisterschaft teilnimmt, ist gleichwohl an Exotik kaum zu übertreffen, weshalb der gute Jessie unentwegt von Kameras und Journalisten umringt ist, was er freilich mit stoischem Gleichmut erträgt.

Im Hintergrund prallen unentwegt Eisstöcke aufeinander, die Eishalle ist erfüllt von einem Klacken wie in der metallverarbeitenden Industrie. Der unglückliche Costa-Concordia-Kapitän Schettino könnte hier gewiss lernen, wie man präzise auf Kurs bleibt. Oft entscheiden Millimeter, wenn die Stockschützen ihr Sportgerät so nah wie möglich an die sogenannte Daube hinschieben.

Gut 500 Sportler aus 24 Nationen suchen zurzeit in Waldkraiburg die Besten der Welt in einer Sportart, die normalerweise nicht im Rampenlicht steht. Es tut wenig zur Sache, dass die Sieger traditionell aus Bayern, Österreich und Italien kommen, wo das Eisstockschießen seine größte Popularität genießt.

Es leuchtet also ein, dass Deutsch die Kernsprache dieses Sports ist. Selbst ausländische Teilnehmer sprechen Deutsch, denn viele von ihnen sind ausgewandert und pflegen ihre Leidenschaft für das Eisstockschießen nun in Amerika, in Australien und in Afrika. Bis auf kleinere Irritationen am Kiosk ("du, Liesi, wos hoastn Semme auf Englisch?") verstehen sich die meisten Organisatoren, Aktiven und Betreuer einwandfrei.

Das Eisstockschießen ist in vielerlei Hinsicht ein urdemokratischer Sport, den hier kann jeder mitmachen, der einen Eisstock halten kann. Auf den Teilnehmerlisten stehen 17- und 70-Jährige, Männer und Frauen, Professoren und Maurer, dazu Hupfhaxerte, Hüftsteife und Gwamperte. Ehrgeizig wirken sie zwar schon, aber die meisten Eisstockschützen betreiben die Jagd nach sportlichem Ruhm nicht mit übertriebenem Furor.

Njaramba Warutumo, Professor an der Universität Nairobi, ist schon glücklich, dass er hier wenigstens einmal übers Eis schlittern darf. 35 Spieler gebe es in Kenia, sagt er, sie spielten auf einer Asphaltbahn. In den wenigsten Ländern wird dieser Sport auf einer Eisfläche ausgeübt. Die Frauenmannschaft aus Namibia steht in Waldkraiburg erst zum zweiten Mal überhaupt auf dem Eis. "Und wir sind noch nicht einmal ausgerutscht, sagt die Mannschaftsführerin Hannah Schmidt. "Not yet."

Beim Eisstockschießen gilt noch das alte olympische Prinzip, wonach die Teilnahme wichtiger ist als der Sieg. Und so sind in Waldkraiburg eben nicht jene hochgezüchteten und geldschweren Turboathleten wie im Skisport, im Biathlon oder im Fußball zu erleben, die am Gängelband von hyperventilierenden Trainern und Funktionären hängen.

"I bin d'Chefin, ob s' mich verstehn oder net"

Ein beeindruckendes Beispiel für jene Sorte Sportler, die keine Staatskrise auslösen, wenn sie der kleine Zeh juckt, bietet die mit ausgewanderten Österreichern und Münchnern bestückte Mannschaft aus Kanada, die mit ihren lockeren Sprüchen den schlagenden Beweis liefert, dass der Sport und der Humor durchaus zusammengehören.

Leider sei das Eisstockschießen in Kanada nicht sehr populär, sagt der gebürtige Münchner Helmut Meindl. "Wir müssen alles selber zahlen." Der Trip nach Waldkraiburg kostet ihn und seine Frau 10.000 Dollar. Die Vorbereitung war auch nicht optimal, denn die Kanadier können nur hin und wieder um Mitternacht in einer kleinen Eishalle üben.

Wegen der Hallenknappheit trainieren sogar 10-jährige Eishockeyspieler von Mitternacht bis 2 Uhr morgens. Eine Eiszeit in einer Halle sei wie ein Sechser im Lotto und koste ein Vermögen, sagt Meindl.

Ein Vermögen mussten auch der Eisstocksportkreis Mühldorf-Altötting und die Stadt Waldkraiburg als Veranstalter der WM aufbringen. 400.000 Euro Fixkosten, die Eishalle auf Vordermann bringen und für den Weitschießwettkampf extra ein 120 Meter langes Zelt mit Eisbahn aufstellen. So etwas funktioniert nur, wenn 280 Helfer 14 Tage lang ehrenamtlich im Einsatz sind. "Hier sind absolute Idealisten am Werk", sagt Christian Englbrecht, der als Lokalmatador beim Weitschießen an den Start geht.

Das Weitschießen mit dem Eisstock ist für die Zuschauer die attraktivste Veranstaltung. Hier sind Hochleistungssportler am Werk, die ein Kreuz haben wie ein Diskuswerfer und ähnliche Urschreie ausstoßen. Würden sie auf einem zugefrorenen See schießen, käme der Eisstock erst nach einem halben Kilometer zum Stillstand. Der Weltrekord liegt bei 566 Metern.

In der Halle wird der Stock aber mit einem solch rauen Belag versehen, dass er spätestens bei 110 Metern zum Stillstand kommt. Wirken die Weitschützen fast martialisch, so kommen einem die Teilnehmer im Mannschaftswettbewerb eher wie Zen-Buddhisten vor. Hier kann man selbst zwei Minuten vor dem Beginn des Wettkampfs noch entspannt mit den Athleten ratschen.

Zum Beispiel mit dem Informatiker Victor Manuel Garcia-Barrios, der für Guatemala startet, aber in Graz lebt. Eisstockschütze wurde er auf einer Vernissage, erzählt er. Ein Freund habe ihn dort gefragt, ob er bei einer WM teilnehmen wolle. "Warum nicht?", sagte er, "und im Übrigen: Was ist eigentlich ein Eisstock?" Trotzdem erreichte Garcia-Barrios mit seinem Team gleich eine Medaille in der B-Gruppe, ganz Guatemala stand Kopf.

In Deutschland ist der Leistungsdruck etwas größer. 43 000 Aktive nehmen am Spielbetrieb teil, dazu gibt es mehr als 100.000 Hobbyspieler. Außerdem kann man diesen Sport sehr lange ausüben. Hans Ziegler ist einst mit 87 Jahren noch Füssener Stadtmeister geworden.

Das Eisstockschießen ist schon längst kein Männersport mehr. Unter anderem hat Paraguay eine Frauenmannschaft gemeldet, die von Anneliese Insfran angeführt wird. Sie ist vor mehr als einem halben Jahrhundert als Mädchen aus München nach Asuncion ausgewandert und dirigiert dort die 30 Athleten des Asphaltstockschützenvereins Asuncion.

Es fällt auf, dass Frau Insfran ihre Kommandos in astreinem Münchner Bairisch gibt. Versteht man Sie denn da in Paraguay? "Des is mir wurscht", sagt sie. "I bin d'Chefin, ob s' mich verstehn oder net."

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