Wirtschaftsstandort:Die Mär vom Agrarland Bayern

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Baustellen und sich türmende Häuser gehören nicht nur zur Szenerie in Bayern, sondern stehen auch für die Wirtschaftskraft im Freistaat. (Foto: Jessy Asmus)

Der wirtschaftliche Aufstieg habe in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen? Zuvor habe es nur Äcker und Weiden gegeben? Falsch. Der Freistaat hat stets von einer weitsichtigen Industriepolitik profitiert - und sieht seine Konkurrenz heute im Silicon Valley.

Von Ulrich Schäfer

Im Rest der Republik, aber auch im Freistaat, hält sich seit langem das Vorurteil, der wirtschaftliche Aufstieg Bayerns habe erst nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Bis dahin sei Bayern ein Agrarland gewesen, ohne Industrie, ohne große Unternehmen, aber dann hätten sich die bis dahin in Berlin ansässigen Firmen Siemens, Allianz, Osram oder Agfa hier angesiedelt - und der Freistaat habe damit die Basis geschaffen für den Aufstieg vom Agrarland zu einer der innovativsten Regionen der Welt.

Richtig an dieser Geschichte ist, dass der Freistaat natürlich davon profitiert hat, dass Siemens und andere ihre Konzernsitze verlegt haben. Falsch aber ist der Eindruck, dass Bayern zuvor nur aus Äckern und Weiden bestanden habe - und es ansonsten nicht viel gegeben habe, womit sich Wohlstand hätte schaffen lassen können. Klar, Bayern war nicht gesegnet mit Unmengen an Kohle wie das Ruhrgebiet, wo lange das Herz der deutschen Wirtschaft schlug; es gab ein paar Bergwerke, in Peißenberg, Peiting, Hausham, Penzberg oder Marienstein etwa, wo Pechkohle gefördert wurde; und es gibt immer noch ein paar kleinere Stahlwerke; andere, wie die Maxhütte in Haidhof, haben schon vor Jahrzehnten die Produktion eingestellt.

Und doch hat Bayern, bei aller landwirtschaftlichen Prägung, schon sehr früh die Grundlagen für einen breiten wirtschaftlichen Aufschwung geschaffen - und zwar sogar schon vor der Gründung des Freistaats im Jahr 1918. Denn zur Geschichte des Kriegsgewinnlers Bayern gehört eben auch, dass Siemens schon immer ein sehr starkes Standbein in Bayern hatte: mit den Siemens-Schuckert-Werken in Nürnberg und Erlangen.

Und zur Geschichte gehört eben auch, dass München stets ein wichtiger Standort für Versicherungen war: Hier wurde 1880 die Münchner Rück gegründet (und sie blieb immer dort), und die Gründer der Rück errichteten 1889 in München auch die Allianz, verlegten ihren Sitz aber ein Jahr später nach Berlin. Es war also nur konsequent, dass Siemens und die Allianz, diese beiden im Kern auch bayerischen Unternehmen, ihren Sitz nach Kriegsende wieder in ihre zweite Heimat verlagerten.

Warum Bayerns ökonomischer Aufschwung schon viel früher begann, als gemeinhin unterstellt, ließ sich sehr schön bei einer Veranstaltung in der BMW-Welt beobachten. 1000 Unternehmer, Gründer, Investoren und Wissenschaftler redeten da im gläsernen Haus des Autobauers über die Chancen der Digitalisierung - und darüber, wie Bayern noch mehr Unternehmensgründungen hervorbringen kann. Geladen zu der Veranstaltung hat die UnternehmerTUM, die Start-up-Schmiede der Technischen Universität München (TUM).

Beides - der Ort der Veranstaltung und der Gastgeber - stehen exemplarisch für die ökonomischen Stärken Bayerns und dafür, dass die Grundlagen des heutigen Wohlstands schon vor mehr als hundert Jahren gelegt wurden. Denn BMW ist noch zwei Jahre älter als der Freistaat selbst: gegründet im Jahr 1916 als Bayerische Flugzeugwerke, umfirmiert im Jahr 1922 in Bayerische Motoren-Werke - heute ist das Unternehmen BMW einer der bedeutendsten Premium-Autohersteller der Welt.

Die TUM wiederum ist sogar 50 Jahre älter als der Freistaat. Ludwig II. hatte die Universität 1868 als Polytechnische Schule gegründet, von 1877 an hieß sie dann Königlich Bayerische Technische Hochschule und entwickelte sich zu einer weltweit anerkannten Ausbildungsstätte für Ingenieure. Hier lehrte der Erfinder Carl von Linde, der die Technik für Eismaschine und Kühlschrank erfand und diese zunächst in der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg fertigen ließ, einem Unternehmen, das heute besser bekannt ist als MAN. 1879 gründete Carl von Linde dann die Linde AG, einen der heute insgesamt sechs Dax-Konzerne in München und Umgebung. Und einer von Lindes Studenten war Rudolf Diesel, Erfinder des nach ihm benannten Motors.

Bayern - ein reines Agrarland? Unberührt von der Industrie? Ach was. Bayern hat - das zeigt die Geschichte von BMW, Linde und Diesel - eben auch eine lange Historie als Land der Erfinder und Unternehmensgründer. Der Freistaat hat zudem - das lehrt die Historie der TU München - stets von einer weitsichtigen Industriepolitik profitiert.

Aus Bayern wird ein Digitalland, alle IT-Konzerne sind bereits hier

Was Ludwig II. mit der Hochschule schuf, eine Kaderschmiede der Technik, das waren bei Franz Josef Strauße die Luft- und Raumfahrtindustrie. Rund um MBB, hervorgegangen aus dem bayerischen Unternehmen Messerschmitt, schuf er ein Luft- und Raumfahrtzentrum samt Airbus. Später setzte Edmund Stoiber auf Innovations-Cluster und Gründerzentren, als Teil seiner Laptop-und-Lederhose-Kampagne (wobei man der Fairness halber sagen muss, dass den Slogan "Laptop und Lederhose" nicht Stoiber, sondern der damalige Bundespräsident Roman Herzog erfunden hat).

Und heute gibt es Initiativen wie die UnternehmerTUM, die halb staatlich, halb privat ist. Finanziert wird sie von der BMW-Miteigentümerin Susanne Klatten und mehr als 60 namhaften Firmen vom Internetkonzern Google bis hin zum bayerischen Chemieunternehmen Wacker. Sie setzt nicht bloß auf Laptops, sondern auf Roboter, smarte Städte, autonomes Fahren und Künstliche Intelligenz. Mehr als 50 Start-ups bringt sie jedes Jahr hervor.

Aus Bayern, dem einstigen Agrarland mit starker Industrie, wird so allmählich Bayern, das Digitalland, in dem sich längst alle bedeutenden IT-Konzerne mit großen Niederlassungen und teils Forschungsabteilungen angesiedelt haben, von Amazon, Cisco und Google bis hin zu IBM, Microsoft und Salesforce. Denn die TUM und andere Unis im Freistaat liefern ähnlich gute Absolventen wie die US-amerikanischen Elite-Unis, etwa Stanford, das Herz des Silicon Valley. Statt auf Bayern-Ei setzt der Freistaat nun also eher auf Bayern-i.

© SZ vom 25.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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