Wirtschaft:"Schön ist es nicht, aber bringt Arbeitsplätze"

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Verteilzentrum im Vordergrund, im Hintergrund das Lager: Das Logistikzentrum in Wallersdorf. (Foto: Dibag)
  • BMW hat in Wallerdorf eines der größten Logistikzentren der Welt eröffnet.
  • Damit bringt der Konzern viele Arbeitsplätze in den kleinen Ort in Niederbayern.
  • Aber nicht alle Bewohner können sich mit der riesigen Halle anfreunden.

Von Johann Osel

Während das erste Wallersdorf im Mittagsschlaf dämmert, kämpfen die Arbeiter im zweiten Wallersdorf gegen die Zeit. Das erste Wallersdorf ist ein Markt im niederbayerischen Landkreis Dingolfing-Landau: 6874 Einwohner, 20 632 Schweine, die sich aber in Außengemeinden verstecken. Eine kleine Gemeinde: Der Baywa-Turm thront am Bahnhof, im Blumenweg blühen letzte Blumen, Hausfrauen gehen zum Bäcker, wo sie mit Namen angesprochen werden. Die meisten Leute pendeln zur Arbeit weg, die Kinder kommen aus der Schule, sie grüßen höflich, selbst Fremde.

Das erste Wallersdorf ist nicht gerade ein Schmuckstück, man lebt halt hier. Das zweite Wallersdorf ist auch kein Schmuckstück, landschaftlich. Industriepolitisch schon: Es ist eine der größten Logistikhallen der Welt, BMW hat sich ein Ersatzteillager neben den Ort bauen lassen. 2000 Leute sollen hier arbeiten. Fläche: 235 000 Quadratmeter, das entspricht 32 Fußballfeldern. Recht viel größer ist der Ortskern auch nicht. "Ein wuchtiges Bekenntnis zum Standort Bayern", sagt Horst Seehofer.

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Der Ministerpräsident kam vergangene Woche zur symbolischen Schlüsselübergabe an die beiden Logistikfirmen, die das Lager führen werden. 500 geladene Gäste, und natürlich Ottmar Hirschbichler. Dem CSU-Bürgermeister von Wallersdorf attestierte Seehofer "das strahlendste kommunalpolitische Lächeln in Niederbayern" und geizte nicht mit Jubel über die Entwicklung der Region "vom Armenhaus zur Aufsteigerregion mit Traumwerten bei Arbeit und Lebensqualität".

Der Festakt war ein "Ja, willkommen in Wallersdorf". Nur am Rande war ein "Ja, aber" zu hören, die Lokalzeitung hat es unter den Honoratioren aufgeschnappt. Eine Markträtin sagte: Jobs, Steuern, schön. "Aber ich hoffe, dass nie der Tag kommt, an dem wir auf das Land angewiesen sind, das hier nun verbraucht wurde." Ein anderer Rat prognostizierte dagegen beste Geschäfte für Gewerbetreibende "vom Doktor bis zum Metzger". Der Mann hat passenderweise eine Metzgerei, direkt neben dem Rathaus.

Dort hat das strahlendste kommunalpolitische Lächeln sein Büro. Ottmar Hirschbichler ist zunächst im Stress. Natürlich, die Halle, Verkehrsprojekte, Ansiedlung von BMW-Arbeitern. Aber Hirschbichler hat andere Sorgen, da hat doch glatt einer auf einem Schutthaufen des Marktes seinen Müll dazugelegt. Der Bürgermeister strahlt nach wie vor, oder ist von Haus aus eine Frohnatur. Zwei Autobahnanschlüsse, Bahnanbindung, Flächen - "bei der Lage, wenn du da nichts machst, verpasst du was", erklärt er. Ihm gehe es um die demografische Entwicklung, "wir wollen Arbeitsplätze und junge Familien". Schaut man in die Bürgerstatistik, gehen dort die Balken bei "älter als 50" steil nach oben. Daher habe man die "Ohren gespitzt, als es geheißen hat: BMW sucht. Der Landkreis lebt unwahrscheinlich gut durch BMW".

Zehntausende Arbeitsplätze bringt BMW

BMW, das sind hier magische Buchstaben. 50 000 Arbeitsplätze hängen in der Region am Konzern, direkt an Werken wie Dingolfing und in der "Wertschöpfungskette". Das hat die Industrie- und Handelskammer Niederbayern mal gezählt. Von Moosburg und bis Deggendorf trifft man auf kaum eine Autobahnausfahrt, hinter der die Kommune nichts mit dem Konzern zu tun hat.

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Die Gewerbesteuer ist für Hirschbichler "sekundär", die bringe nicht gleich Millionen. Aber: Zuzug, Leute, die einkaufen, den Ort beleben. "Natürlich ist es bester Gäuboden, das ist schade. Aber wenn es bei uns nicht passiert wäre, dann woanders. Oder gleich in Tschechien." Es ist also hier "passiert". Kunden in aller Welt werden künftig von Wallersdorf aus mit BMW-Teilen und Zubehör beliefert, Ölfilter oder Bremsscheiben sollen in Riesenmengen ankommen und rausgehen.

Arbeitsplätze oder intakte Natur?

Einmal pro Woche fährt Hirschbichler mit seinem, logisch, BMW raus zur Halle, schaut nach dem Rechten. Der Eindruck im noch leeren Lager: unfassbare Weiten. Dabei steht man nur in einer Halle, intern abgetrennt sind es mehr als ein Dutzend. An den Andockstationen für Laster werden Hebebühnen montiert. Wie viele Stationen das wohl sind? "Da braucht man das Zählen nicht anfangen", meint Hirschbichler. Hinter dem Lärmschutzhügel deutet sich im Dunst der Wallersdorfer Kirchturm an. Hochgezogen wurde die Halle in nur zwölf Monaten. "Bei uns gehen Großprojekte in Rekordzeit. Bei uns in Bayern läuft's", wusste Seehofer zu berichten.

Vor ein paar Jahren hat sich die CSU als Slogan ausgedacht: "Bayern. Das Land". Hier denkt man: "Bayern. Der Beton". Wie man dazu steht, es ist auch ein Duell der Statistiken, BN kontra BA. BN ist der Bund Naturschutz. Dessen Karte zum Flächenverbrauch - oder Flächenfraß - zeigt den Landkreis an Bayerns Spitze, dunkelrot eingefärbt. BA ist die Bundesagentur für Arbeit, sie weist für den Kreis eine Arbeitslosenquote von 2,6 Prozent aus. "Schön ist es nicht, aber bringt Arbeitsplätze", sagt ein Rentner auf der Marktstraße. Viele Bürger wollen nichts zum Thema sagen.

Das will erst auch Walther Franziszi nicht, dann bittet er doch in die gemütliche Wohnstube, holt gleich den Aktenordner: Artikel, Karten, Stellungnahmen. Seine Stellungnahmen dagegen, "dass Profit auf Kosten der Natur über den Schellenkönig gelobt wird". Der 74-Jährige ist eine Art Lokalbastion von Bund Naturschutz und Vogelschutzbund, seit 50 Jahren aktiv. Früher sei er "der Spinner vom Dorf" gewesen, wenn er mit dem Fernglas Vögel beobachtete, wurde gespottet, dass er "den Weibern nachschaut". Heute erhalte er viel Schulterklopfen für das, was er anschiebt, Projekte für Vogelschutz, neue Biotope.

Die BMW-Hallen an der A92 sind das neue Wahrzeichen des Gäubodens. In Rekordzeit wurden sie errichtet. (Foto: Sebastian Beck)

Der Naturschützer ist jedoch nicht Anführer einer Gegenbewegung. Die gab es unter den Anwohnern der Deggendorfer Straße in der Nachbarschaft der Halle. Sie starteten eine Online-Petition, in der Furcht, dass Hunderte Laster täglich vorbeidonnern. Von "Gefahr für Leib und Leben" sprach die Petition; und auch davon, dass man "beste Ackerböden unwiederbringlich verschwendet", dass sich der Bau womöglich nicht für den Markt rentiert.

119 Unterstützer hatten sie am Ende, nur 42 Wallersdorfer. Für Hirschbichler ist der Widerstand perdu. Durch eine Spange gelangen Laster von der Autobahn direkt zur Halle - falls die Fahrer die richtige Abfahrt nehmen. Nachfrage in der Deggendorfer Straße: "Wir sind nach wie vor nicht erfreut, aber immerhin kein Verkehr bei uns", sagt eine Frau. Abreißen könne man "das Trumm" ja jetzt nicht mehr.

Walther Franziszi hat die Petition unterstützt, "vielleicht hätten wir Naturschützer lauter protestieren sollen", sagt er. Keiner frage, ob der Bau da hin passe, keiner könne erklären, wie der Schub für Wallersdorf genau aussieht; stattdessen werde "Weltmeisterboden" und Lebensraum für Vögel zerstört. Aktuell berät er bei den Ausgleichsflächen für die BMW-Halle, er gibt Tipps, was Feldlerche oder Kiebitz brauchen. "Natürlich ist BMW ein Segen für die Region, aber nicht um jeden Preis. Ich höre nur: Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft."

Wirtschaft, das heißt Verkehr und Personal - beides steht bei Hirschbichler auf der Agenda. "Dem Hubererwin" gebühre Dank, er war "Türöffner" für die Förderung der Spange durch den Freistaat. Der frühere CSU-Vorsitzende ist Niederbayer, im Landtag Chef des Verkehrsausschusses. Und die Bahn? Auch wenn das Lager Gleisanschluss hat: die Strecke München- Wallersdorf-Passau ist einspurig. Im Bundesverkehrswegeplan hat der Ausbau nicht Priorität. Da kann der Hubererwin nichts machen, helfen könnte der Dobrindtalex, Bundesverkehrsminister.

Mancher Pendler braucht nicht mehr weit zu fahren

Auch von der CSU, Oberbayer aber. Hirschbichler hofft. Zweitens Personal. "Dass da 2000 Leute morgen in der Gemeinde einmarschieren, stimmt ja nicht", sagt Hirschbichler. 1200 sollen am Anfang im Lager arbeiten, 80 leibhaftige BMWler, der Rest bei den Betreibern. 100 Arbeitslose gibt es in der Gemeinde. Kein Potenzial, aber mancher Pendler wird fortan vor der Haustür arbeiten. Einer der Betreiber hat 300 Polen angeheuert und schult sie gerade.

Der polnische Pfarrer von Wallersdorf soll in Vorfreude sein, 200 Wohnungen entstehen derzeit. Hirschbichler sagt: "Wir wollen bleiben, wie wir sind. Gesund wachsen." Oder Lücken füllen, die Grund- und Hauptschule schrumpft seit Jahren. Einen Masterplan fürs Wachsen gibt es nicht. Für die Halle steht der Fahrplan. Fließend wird das Areal bis Jahresende in Betrieb gehen.

Das Telefon läute öfter, man sei attraktiv für andere Investoren, sagt der Bürgermeister. Blickt man neben der BMW-Halle Richtung Landkreisgrenze Deggendorf, dann ist da - nichts. In Wahrheit bester Gäuboden, enorm fruchtbares Ackerland. Über weitere riesige Hallen wird im Dorf gemunkelt, etwa an der Dönerbude in der Deggendorfer Straße. So wie Gegrilltes und Frittiertes hier den Besitzer wechseln, wandern Informationen über die Theke. Soeben ging es um einen Film mit Klaus Kinski, um die Todesstrafe in der Türkei, jetzt ums Gewerbegebiet. "Da kommt wenigstens mal Leben in die Bude. Die neuen Leute essen auch Döner", freut sich der Imbissmann. "Jetzt kennt man Wallersdorf."

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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