Wirtschaft:Extrem robust

Bayreuth und ganz Oberfranken waren als ewige Krisenregion verschrieen. Allerdings zeigt sich seit ein paar Jahren ein erstaunliches Phänomen: Firmen straucheln, entlassen Beschäftige, wie es die Zigarettenfabrik BAT angekündigt hat. Und doch haben dort immer mehr Menschen Arbeit

Von Uwe Ritzer

Gemessen an dem, was vorige Woche in Bayreuth alles zu hören war, klingt Sebastian Peine erstaunlich unaufgeregt. "Nur jetzt keine wilde Hektik verbreiten", rät der Chef der Arbeitsagentur Bayreuth-Hof. "Wir müssen in aller Ruhe Schritt für Schritt vorangehen." Schließlich sei da der Faktor Zeit.

Denn nicht von heute auf morgen, sondern bis Ende 2017 will British American Tobacco (BAT) in seiner Zigarettenfabrik in Bayreuth 950 der 1400 Arbeitsplätze abbauen. Die Betroffenen werden aber nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen, sondern erst einmal in einer Transfergesellschaft landen. Ein Jahr, vielleicht sogar 18 Monate lang, sollen die Menschen für neue Jobs qualifiziert werden. Je nachdem, was Firma und Arbeitnehmervertreter in ihrem Interessenausgleich festschreiben, der seit Dienstag verhandelt wird.

Die vor einer Woche angekündigte Verlagerung der Produktion in osteuropäische Billiglohnländer, das damit verbundene Ausbleiben von Millioneneinnahmen vom bislang größten Gewerbesteuerzahler - all dies schüttelt Bayreuth durch. Es wird die oberfränkische Stadt aber nach Lage der Dinge bei Weitem nicht in dem schlimmen Ausmaß treffen, wie die ersten Reaktionen vermuten ließen, in denen häufig der "ganz schwere Schlag" beklagt wurde, Begriffe wie "Katastrophe" fielen, vor "unabsehbaren Folgen" gewarnt und geradezu inflationär oft "Entsetzen" geäußert wurde. Auf unmittelbar betroffene Mitarbeiter von BAT trifft all dies in vielen Fällen zweifellos zu - auf Bayreuth und Oberfranken bezogen war und ist das Krisengeheul jedoch übertrieben.

File photo of cigarettes are piled during the manufacturing process in the British American Tobacco Cigarette Factory (BAT) in Bayreuth

Weil deutsche Zigarettenmarkt seit Jahren schrumpft, hat die Firma British American Tobacco (BAT) angekündigt, in Bayreuth 950 der 1400 Arbeitsplätze abzubauen.

(Foto: REUTERS)

Denn selten präsentierte sich der oft klischeehaft als Krisenregion abgeschriebene Regierungsbezirk wirtschaftlich robuster als derzeit. "Wäre das mit BAT vor zehn Jahren passiert, wäre es viel schlimmer gewesen", sagt Sebastian Peine. Die von ihm geführte Arbeitsagentur Bayreuth-Hof berichtet gemeinsam mit jener für Bamberg-Coburg und der Arbeitgebervereinigung VBW von einem "erstaunlichen Phänomen". Oberfranken habe in den vergangenen zehn Jahren zwar 45 000 Einwohner verloren, doch stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gleichzeitig um 53 600 an. In der Stadt Bayreuth liegt die Arbeitslosenquote bei 5,1 Prozent, im Landkreis sogar nur bei 2,8 Prozent. Oberfranken insgesamt bewegt sich mit 3,6 Prozent nur 0,2 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt.

Dabei hat die Region einiges hinter sich. Ganze Branchen, wie die ehedem starken Textil- und Porzellanindustrien, brachen fast vollständig weg. Dörfer, etwa im Frankenwald-Landkreis Wunsiedel oder entlang der ehemaligen Grenze zur DDR, bluteten aus; die Jüngeren zogen weg. Mit dem Kronacher TV-Gerätehersteller Loewe schlitterte 2013 eines der letzten Aushängeschilder der Region in die Insolvenz. Alles in allem gingen binnen weniger Jahre Zehntausende Arbeitsplätze verloren.

British-American Tobacco (BAT)

Das Werk in Bayreuth gehörte bis dato zu den weltweit größten des Konzerns. Bereits 1957 hatte es BAT in Betrieb genommen.

(Foto: David Ebener/dpa)

Doch es ist auch viel Neues entstanden. Kleine und mittlere Firmen, die über die Region hinaus kaum einer kennt, die aber nicht selten Marktführer in ihren Branchen sind. Der Maschinenbau entwickelte sich stark, ebenso die Herstellung von Gummi- und Kunststoffprodukten. Loewe hat sich unter neuen Eigentümern wieder gefangen und dem Coburg-Bamberger Autozulieferer Brose geht es besser denn je. Oberfranken steht weitaus besser da als noch vor wenigen Jahren, auch wenn es nach wie vor ein starkes Gefälle gibt. Während das südliche Oberfranken mit den Städten Forchheim und Bamberg boomt, hinkt der nördliche Zipfel nach wie vor hinterher. In Hof ist die Arbeitslosenquote mit 6,8 Prozent die höchste in Bayern.

Doch allein auf die Stärken der Region will sich Bayreuths Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe bei der Bewältigung des BAT-Stellenabbaus nicht verlassen. Am Dienstag vereinbarte sie mit Vertretern des Tabakkonzerns eine regionale Jobbörse. Unternehmen mit Personalbedarf sollen dort mit BAT-Leuten ausloten, ob von den Stellenstreichungen betroffene Mitarbeiter die Lücken füllen können. Damit einher hat die Arbeitsagentur eine Informationsoffensive gestartet.

Loewe-Investoren machen Rückzieher

Der 2013 insolvent gegangene Kronacher TV-Gerätehersteller Loewe ist zum Symbol für die wirtschaftliche Schieflagen Oberfrankens geworden.¶

(Foto: picture alliance / dpa)

Die parteilose Oberbürgermeisterin Merk-Erbe plagt derweil noch ein anderes Problem. Sie sorgt sich um geplante städtische Investitionen etwa in Schulen, ein Gründer-Innovationszentrum und die neue Stadthalle. "Das alles zu finanzieren, ist wesentlich schwieriger geworden", sagt sie mit Blick darauf, dass künftig viele BAT-Millionen im Stadtsäckel fehlen werden. Da müsse der Freistaat helfen. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner läuft sich bereits warm. Eigentlich wollte sie im Ministerrat am Dienstag erste Vorschläge präsentieren, doch der Würzburger Amoklauf überlagerte die Sitzung. Das Thema wurde auf die Kabinettsklausur kommende Woche vertagt. Dem Vernehmen nach drängt Aigner als erstes darauf, dass freiwerdende Teile des BAT-Geländes schnell in Gewerbeflächen umgewandelt werden.

Nicht bekannt ist, was die Ministerin vom Wunschkatalog hält, den Stadt, Universität und Wirtschaftskammern aufgelegt haben. 57 Millionen Euro würde es kosten, alle Vorschläge umzusetzen. Es geht um Innovations- und Forschungszentren, um Digitalisierung, Infrastruktur und sogar die Förderung Oberfrankens als "Genussregion", weil es hier doch so viele Bäcker und Metzger gibt.

Manches wirkt arg aktionistisch. Oberbürgermeisterin Merk-Erbe sagt, das Konzept sei strukturpolitisch "mittelfristig angelegt". Das muss wohl so sein. Denn dass die vom Jobabbau betroffenen, oft an- und ungelernten BAT-Mitarbeiter umgehend eine neue Berufung in einem digitalen Gründer- und Innovationszentrum finden, darf als unwahrscheinlich gelten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: