Wintersport:Skischaukel am Riedberger Horn: Umweltsünde oder Naturschutzraum?

Riedberger Horn

Umweltverbände und Politiker streiten schon seit Jahren über das Projekt am Riedberger Horn.

(Foto: Stefan Puchner)

In zwei Wochen sollen die Bewohner von Balderschwang und Obermaiselstein über die Skischaukel am Riedberger Horn abstimmen. Befürworter wie Gegner fürchten um ihre Existenz.

Von Stefan Mayr

Konrad Kienle steht zwischen Kuhfladen an einem Berghang oberhalb von Balderschwang. Mit der rechten Hand zeigt er in Richtung des felsigen Siplingerkopf-Gipfels. "Das ist doch Wahnsinn", tönt der Bürgermeister, "hier dürften wir ohne weiteres einen Lift hochbauen, obwohl dieser Hang viel wertvoller ist als der, wo sie uns den Liftbau verbieten wollen."

Kienle ist ein fülliger Mann mit mächtigen Schnauzbart und zwei offenen Hemdknöpfen, zwischen denen eine Goldkette mit Kreuz hervorblitzt. Er stand hier schon mit Ministerpräsident Horst Seehofer und Finanzminister Markus Söder, um ihnen sein Anliegen zu erläutern. "Wir brauchen diese Lift-Verlängerung", sagt Kienle, der im Hauptberuf das Hotel Adlerkönig am Dorfplatz betreibt.

Am 18. September stimmen die Bürger von Balderschwang und Obermaiselstein über die sogenannte Skischaukel am Riedberger Horn ab. Die Umweltverbände und Politiker streiten schon seit Jahren über das Projekt. Ihre Argumente sind hier im Oberallgäu zu Genüge bekannt. Und wie ist die Stimmung in den beiden Dörfern, die von der Entscheidung am meisten betroffen sein werden?

Vor derartigen Bürgerentscheiden klingt die Stimmungsbeschreibung oft stereotyp: Das Dorf ist gespalten, und dieser Spalt lähmt alles - so oder ähnlich heißt es dann oft. Aber in Balderschwang, der kleinsten Gemeinde Deutschlands mit ihren 300 Einwohnern, ist es ganz anders: Auf den ersten Blick sind sich hier alle einig. Egal, ob auf den Informationsfahrten von Bürgermeister Kienle und seinen Mitstreitern oder auf der Bürgerversammlung seines Obermaiselsteiner Kollegen Peter Stehle oder in den Leserbriefspalten.

Kein Einheimischer äußert Widerspruch oder gar Protest. "Aber je kleiner und vertrauter die Runde ist, desto mehr Leute sagen, dass sie dagegen sind", sagt ein Balderschwanger Pensionsbetreiber, der unter keinen Umständen seinen Namen in der Zeitung abdrucken lassen will. "Weil sonst wirst Du an den Pranger gestellt, und dann fallen sie über dich her", sagt ein anderer Projektgegner aus Obermaiselstein, der nur unter der Bedingung mit der SZ spricht, dass auch sein Beruf nicht genannt wird.

Wer also genau hinschaut, der erkennt: Hier zu Füßen des Riedberger Horns ist die Lage noch viel komplizierter. Nicht nur ein Spalt kann eine Gemeinde lähmen, sondern auch ein undurchschaubares Beziehungsgeflecht, das Menschen im Laufe der Jahre so eng aneinander kettet, dass nichts mehr vorwärts geht. Und der Knoten ist im Laufe der Jahre immer verschlungener geworden.

Riedberger Horn

Karl Traubel, Chef des Hotel Hubertus, mit seinem Sohn Marc.

(Foto: Stefan Puchner)

Längst ziehen auch Verbandsfunktionäre und Politiker in ganz Bayern aus der Ferne an ihm herum. Was die Lösung des Knotens definitiv nicht einfacher macht. In Balderschwang diskutieren sie über die Skischaukel schon seit Anfang der Achtzigerjahre. Und bis heute hat sich nichts bewegt. Inzwischen können sich Befürworter und Gegner zumindest auf einen gemeinsamen Nenner einigen: "Jetzt muss endlich eine Entscheidung her, egal ob so oder so."

Nur ein einziger Kritiker traut sich auch, mit seinem Namen für seine Meinung geradezustehen: Karl Traubel. Er ist Chef des Hotel Hubertus, immerhin das größte Haus am Ort. "Ich sehe das Profil des kleinen, beschaulichen Bergdorfs Balderschwang in Gefahr", sagt der 62-Jährige. "Der Urlauber kommt doch zu uns, weil er das Kontrastprogramm zu Kitzbühel und Ischgl sucht."

Es gibt kein Verkehrskonzept, falls der neue Lift kommt

Sollte der neue Lift kommen, der die Skigebiete Balderschwang und Grasgehren verbinden soll, prophezeit Traubel einen "Tsunami" von Autos: "Die müssen alle durchs Tal durch, aber es gibt kein Verkehrskonzept." Traubels Sohn Marc ist ebenfalls Geschäftsführer des Hotels und sitzt im Gemeinderat, er ist anders als sein Vater für das Liftprojekt. "Für die kleinen Vermieter ist es verdammt wichtig, dass hier eine Bereicherung für die Skifahrer angeboten wird", sagt der 34-Jährige.

Aber das sieht der anonyme Pensionsbetreiber ganz anders: "Wir als kleine Vermieter werden geschädigt, unsere Stammgäste kommen nicht mehr, wenn sie den ganzen Tag in der Schlange stehen", sagt er. "Meine Angst ist, dass Balderschwang zum Parkplatz von Grasgehren wird." Langfristig befürchte er, dass sein beschauliches Balderschwang zum "Disneyland" verkomme. Er spricht von "Plattfuß-Indianern", die künftig mit der Gondel schnell aufs Riedberger Horn kommen und auf dem ohnehin schon stark frequentierten Gipfel noch mehr Auftrieb verursachen.

Ja, das Riedberger Horn ist bei gutem Wetter längst nicht mehr das unberührte Stück Natur, als das es oft dargestellt wird. Auch darin sind sich Projektfreunde und Gegner einig. Aber jede Seite zieht aus dieser Tatsache komplett konträre Schlüsse. Die einen fordern: Bitte nicht noch mehr Leute hochkarren! Die anderen sagen: Das Horn ist ohnehin schon gut erschlossen, also sollen auch die älteren und weniger mobilen Naturfreunde in den Genuss des Gipfels kommen! "Viele ältere Herrschaften, die es sonst nicht schaffen würden, können die prachtvolle Natur ohne den Lift nicht erleben", sagt Peter Sonneborn.

Er ist Geschäftsführer von Radio Horeb. Der katholische Sender ist eines der wenigen nichttouristischen Unternehmen in Balderschwang. Dass der neue Lift die Schöpfung zerstört, wie die Umweltverbände kritisieren, das glaubt Sonneborn nicht. Im Gegenteil: "Um die Natur zu bewahren, wurde die Piste bewusst so abgespeckt, dass sie niemanden mehr kratzt." Auch Sonja Meyer, die Senior-Chefin des Bio-Hotels Ifenblick, denkt ähnlich: "Hier geht es nicht um ein Extrastück Sahne für eine Kapital-Gesellschaft", sagt sie, "sondern um ein Basis-Thema für die Zukunft unserer Kinder." Deshalb gebe es "bei uns herin schon eine Einigkeit".

Sie spricht von Einigkeit, obwohl im Winter Gegner mit Lebensmittelfarbe ein überdimensionales "STOP" in den Schnee des Riedberger Horns malten. "Solche Aktionen helfen keinem weiter", sagt sie. In Obermaiselstein hatte ein Bürger in seinem Garten ein Banner mit der Aufschrift "Rettet das Riedberger Horn" aufgehängt. In der ersten Nacht wurde es heruntergerissen, in der zweiten Nacht war es komplett weg.

Konrad Kienle kennt diese Geschichte, aber er spricht lieber von einem ganz anderen Kraftakt: Jenem, als "unsere Großväter" in den Sechzigerjahren im wahrsten Sinne des Wortes auf eigene Faust dem Berg eine Passstraße abgetrotzt haben. "Das war der Anfang des Wintertourismus", sagt Kienle. "Damals haben die Leut' auch zusammenhalten müssen", sagt er. "Gemeinsam hat man das gestemmt, da muss man heute noch den Hut ziehen." Keine Frage, so einen Zusammenhalt wünscht er sich jetzt wieder.

Skischaukel versus Liftverlängerung

Die Gegner des Ausbaus des Skigebiets am Riedberger Horn sprechen von einer monströsen neuen "Skischaukel". Die Befürworter nennen es eine minimale Verlängerung eines bestehenden Lifts. Die einen sehen in dem Projekt einen Naturfrevel sonders gleichen, der obendrein als Präzedenzfall für weitere Umweltsünden andernorts Tür und Tor öffnen könnte. Die anderen beteuern dagegen, das Projekt nütze sogar der Natur, weil es die Besucherströme auf dem beliebten Allgäuer Berg kanalisiere und den geschützten Birkhühnern mehr Schutzraum ermögliche.

Geplant ist die Verlängerung der Riedbergerhorn-Bahn um 1550 Meter. Die neue Bergstation soll sich 400 Meter vom Gipfel des Riedberger Hornes entfernt befinden (100 Höhenmeter darunter). Zudem entsteht eine neue Piste Richtung Balderschwang. Von dieser befinden sich 2,15 Hektar (drei Fußballfelder) innerhalb der höchsten Alpenschutzzone C, in der bauliche Eingriffe nicht zulässig sind. Deshalb drohen Umweltverbände mit Klagen, auch Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) ist dagegen. Doch Parteikollege und Heimatminister Markus Söder ist für das Projekt. Auch unter den Einheimischen gehen die Meinungen auseinander: Für die einen ist es die letzte Chance, die gefährdete Zukunft des Tourismus-Standortes langfristig zu sichern. Für die anderen ist es das Gegenteil: der Anfang vom Ende des nachhaltigen Tourismus, für den das beschauliche Dorf Balderschwang steht.

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Die Gemeinderatsbeschlüsse zum Liftprojekt waren bislang immer einstimmig, aber wie wird das Votum am 18. September bei der anonymen Abstimmung in der Wahlkabine aussehen? Mit einer Ablehnung des Projekts rechnet in beiden Orten niemand - auch keiner der Kritiker. Aber alleine die Zahl der Gegenstimmen könnten das Projekt verhindern, wenn sie eine kritische Größe überschreitet.

Die Staatsregierung will das Liftprojekt per Gesetzesänderung ermöglichen - "für den Fall eines positiven Ausgangs der Bürgerbeteiligung", wie es im Beschluss steht. Aber bitte was ist ein "positiver Ausgang"? Karl Traubel sagt, selbst bei einem Ergebnis von 60:40 müssten sich die Befürworter fragen lassen, ob das genüge.

Die Bürgermeister Kienle und Stehle wollen keine Zahl nennen. "Wichtig sind eine große Wahlbeteiligung und eine eindeutige Mehrheit", sagt Peter Stehle. Und er bestätigt auch: "Ja, ich bin nervös." Er befürchtet, dass viele Befürworter zu Hause bleiben, weil sie denken, das Ergebnis sei ohnehin klar. "Und dann geht's aus wie beim Brexit", sagt er.

Und wie geht es nach dem Bürgerentscheid weiter? "2020 wird der Lift fahren", sagt Bürgermeister Kienle. Sein Nachbar und Hotel-Konkurrent Klaus Traubel ist überzeugt: "Der Lift wird nicht kommen, weil die Umweltverbände klagen."

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