Windkraft:"Damit findet die Energiewende in Deutschland künftig ohne Bayern statt"

Rotorblätter eines Windrades eingeknickt

Zwei Rotorblätter eines Windrades hängen eingeknickt am Ausleger.

(Foto: dpa)
  • Das oberste bayerische Gericht hat die Klagen der Oppositionsparteien im Landtag zurückgewiesen.
  • Damit verstößt die umstrittene 10-H-Regelung nicht gegen die bayerische Verfassung.
  • In der Staatsregierung herrscht große Genugtuung. Die Oppositionsparteien, Umweltschützer, und die Windkraft-Szene zeigen sich frustriert.

Von Christian Sebald

Das umstrittene Abstandsgesetz zwischen Windrädern und Wohnsiedlungen verstößt nicht gegen die bayerische Verfassung. Das hat am Montag der Bayerische Verfassungsgerichtshof unter seinem Präsidenten Peter Küspert verkündet. Damit hat das oberste bayerische Gericht die Klagen der Oppositionsparteien im Landtag und des früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell zurückgewiesen.

Grüne, SPD und Freie Wähler, aber auch die Windkraft-Szene sprachen von einem "rabenschwarzen Tag nicht nur für die Windkraft, sondern für die Energiewende insgesamt". Die Staatsregierung fühlt sich in ihrer Position bestärkt. "Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit", sagte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Das Gesetz "trifft eine gemeinwohlverträgliche Abwägung zwischen unseren energiepolitischen Zielen und den lokalen Interessen".

Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bleibt das sogenannte 10-H-Gesetz rechtens. 10 H ist die Formel, mit der Ministerpräsident Horst Seehofer und die CSU am 20. November 2014 den Streit um den Ausbau der Windkraft beendet haben. Danach dürfen in Bayern Windräder nur noch dann errichtet werden, wenn ihr Abstand zur nächsten Wohnsiedlung das Zehnfache der Anlagen-Höhe beträgt.

Bei 200 Meter hohen Windrädern, wie sie aktueller technischer Stand sind, sind das zwei Kilometer. Vor Seehofers Abstandsgesetz betrug der Minimalabstand 600 Meter, die Regel waren zwischen 800 und 1000 Meter. In ihrem Gesetz ließen Seehofer und die CSU nur wenige Ausnahmen für geringere Abstände zu, etwa wenn Kommunen eine besondere Bauleitplanung für Windräder entwickeln. Das 10-H-Gesetz ist deutschlandweit einmalig. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat hatten sogar eine besondere Klausel in das Bundesbaugesetz aufgenommen, um es dem Freistaat zu ermöglichen.

Laut Spruch der Verfassungsrichter hat der Freistaat mit seinem Gesetz einzig den rechtlichen Spielraum ausgeschöpft, den ihm der Bund zuvor eingeräumt hatte. Zwar schränke das 10-H-Gesetz den Bau von Windrädern erheblich ein, erklärte Verfassungsgerichtspräsident Küspert in seiner mündlichen Begründung. Aber damit hätten Staatsregierung und CSU keineswegs den Gestaltungsraum überschritten, den ihnen der Bund eingeräumt habe. Eben dies hatten die Opposition und Fell in ihren Klagen geltend gemacht. Sie argumentierten, dass der Freistaat mit dem 10-H-Gesetz seine Kompetenzen weit überdehnt habe.

Nur noch 0,1 Prozent der Landesfläche stehen zur Verfügung

Denn nach Überzeugung der Kläger macht 10 H den Ausbau der Windkraft in Bayern faktisch unmöglich. Als Beleg führten sie an, dass jetzt nur noch 0,1 Prozent der Landesfläche für den Bau von Windrädern zur Verfügung stehe. Dem widersprach der Verfassungsgerichtshof, indem er auf eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung verwies.

Danach stehen etwa vier Prozent der Landesfläche für Windräder zur Verfügung. Voraussetzung ist freilich, dass die Anlagen nur 150 Meter hoch sind und sich damit ihr Mindestabstand zur nächsten Wohnsiedlung auf 1500 Meter verringert. Diese Schätzung zeigt laut Verfassungsgerichtshof, dass auch mit 10 H ausreichend Raum für die Windkraft bleibt. Zumal Investoren keinen Anspruch auf den maximalen und damit rentabelsten technischen Standard ihrer Anlagen hätten.

Die Kläger äußersten sich sehr frustriert. "Natürlich akzeptieren wir den Spruch", sagte Grünen- Fraktionschef Ludwig Hartmann. "Aber ich bin absolut enttäuscht." Die Verfassungsrichter hätten sich auf rein formalistische Argumente beschränkt und die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes außer Acht gelassen.

"Damit findet die Energiewende in Deutschland künftig ohne Bayern statt", sagte der Grünen-Energieexperte Martin Stümpfig. Die SPD-Abgeordnete Natascha Kohnen äußerte sich ebenfalls ernüchtert: "Es gibt nichts zu beschönigen, wir haben auf ganzer Linie verloren." Thorsten Glauber von den Freien Wählern sieht nun die Staatsregierung am Zug. "Sie muss erklären, wie sie ihr selbst gesetztes Ziel von 1500 Windrädern in Bayern bis 2021 umsetzen will."

Sogar der Vogelschutzbund LBV äußerte sich enttäuscht

Auch die Umwelt- und Naturschutzverbände äußerten sich kritisch. Der Bund Naturschutz (BN) hat von Anbeginn an gegen das 10-H-Gesetz gekämpft, weil es auch aus seiner Sicht die Energiewende torpediert. Nun bekräftigte BN-Chef Hubert Weiger, dass man weiter für die Windkraft streiten werde.

"Wir werden mit allen politischen Mitteln gegen die Energiewende-Verhinderungspolitik der Staatsregierung und der CSU ankämpfen", sagte Weiger. Er appellierte an die Kommunen, die "wenigen Möglichkeiten für Naturschutz-verträgliche Windrad-Standorte zu nutzen". Sogar der Vogelschutzbund LBV äußerte sich enttäuscht. Er ist von Haus aus kritisch gegenüber der Windkraft eingestellt, weil diese die Vogelwelt zum Teil massiv schädigt. Nun aber befürchten die Vogelschützer, dass Windräder zunehmend in Wälder und andere besonders sensible Gebiete verdrängt werden.

In der Staatsregierung herrscht Genugtuung. Mit dem 10-H-Gesetz "können wir jetzt die Energiewende im Einvernehmen mit der Bevölkerung gestalten", betonte Energieministerin Aigner. "Denn wenn vor Ort Konsens besteht, können Windenergieanlagen auch näher an Wohngebäuden gebaut werden."

Innenminister Joachim Herrmann sprach sogar von einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. "Wir wollen Windkraftanlagen mit unseren Bürgerinnen und Bürgern, nicht gegen sie", sagte er. "Wenn Kommunen geringere Abstände wollen, dann können sie das im Wege der Bauleitplanung bestimmen." Eben dies hatten auch die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung für das 10-H-Gesetz angeführt.

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