Wildschäden in Bayern:Land voller Wildschweine

Blaue Reflektoren gegen Wildunfälle

Demonstrationsobjekt: Blaue Reflektoren an den Leitpfosten sollen Wildsäue vom Überqueren der Fahrbahn abhalten - dieses Tier ist aber ausgestopft.

(Foto: dpa)

Die Rekordzahl von 66.000 Tiere haben Jäger erlegt - doch die Wildschweine in Bayern werden immer mehr. Die extrem schlauen und scheuen Tiere verursachen schwere Schäden auf Feldern - und auch für Autofahrer sind sie extrem gefährlich.

Von Christian Sebald

Die Polizei hat an diesem Donnerstag die A 93 bei Weiden komplett gesperrt. Dort, wo sonst Lastwagen und Autos entlangdonnern, sind Jäger auf der Pirsch nach Wildschweinen, die vor einiger Zeit die Schutzzäune an beiden Seiten der Autobahn überwunden und schon etliche Wildunfälle verursacht haben.

Erst an diesem Donnerstag ist wieder ein Tier in ein Auto gelaufen. Der Unfall blieb ohne schlimmere Folgen. Nun soll es den Wildschweinen aber endgültig ans Fell gehen. Gut eine Stunde später wird die Autobahn wieder freigegeben. Die Jäger haben eine Wildsau erlegt. Sie war, so hoffen sie, die letzte, die sich innerhalb der Schutzzäune der A 93 getummelt hat.

Jäger, Förster, Bauern und Wildexperten sind sich einig: Noch nie hat es in Bayern so viele Wildschweine gegeben wie zurzeit. Zwar kann keiner ihre Zahl nennen. Denn wie alle anderen Wildtiere kann man Wildschweine nicht zählen. Aber die Abschusszahlen, die unter Experten als Indikator für die Größe einer Wildtier-Population gelten, sind so hoch wie nie zuvor. 66,000 Wildschweine haben Bayerns Jäger in der Jagdsaison 2012/2013 erlegt.

Bislang pendelten die Strecken zwischen 42.000 und 50.000 Stück. Nur 2008/2009 und 2010/2011 übertrafen die Jäger bereits die Zahl von 60.000 Wildschweinen. So beeindruckend die Zahl von 66 000 Wildschweinen erscheint, auf die Gesamtpopulation in Bayern hat die Rekordstrecke keinen Einfluss. Im Gegenteil: "Wir müssen leider damit rechnen, dass die Schwarzwildbestände weiter wachsen", sagt Forstminister Helmut Brunner (CSU).

"Die lieben die Schweine"

Die Gründe des Wildschwein-Booms sind vielfältig. "Die Winter werden immer wärmer, und das Frühjahr kommt immer früher", sagt Hubert Weikhart, Förster und Wildschweinexperte aus dem oberfränkischen Ebrach. "Dadurch überleben inzwischen sogar schwache Frischlinge die kalte Jahreszeit, die früher nicht durchgekommen wären."

Das ist es nicht alleine. Dank der immer milderen Witterung reiht sich bei Buchen und Eichen ein Mastjahr ans andere. "Heuer haben wir extrem viele Bucheckern", sagt Weikhart. "Die lieben die Schweine." Ebenso den vielen Mais auf den Feldern. Die Sauen haben auch keine natürlichen Feinde: Bär und Wolf sind seit Langem ausgerottet.

Experten wie Weikhart rechnen denn auch mit Vermehrungsraten von bis zu 300 Prozent pro Jahr. Wenn man bedenkt, dass eine Wildsau bis zu acht Frischlinge wirft, erkennt man, welche Problematik sich dadurch für das Land anbahnt. Den Schaden haben in erster Linie die Bauern. Die Wildschweine fressen ihnen nicht nur die Maisäcker und Rapsfelder kahl. Auf der Suche nach Würmern und Engerlingen durchwühlen sie auch Wiesen und Weiden.

Ausgefeilte Jagdmethoden

"Wenn sich so eine Rotte nächtens über eine Weide hermacht, hat man schnell 1500 Euro Schaden", sagt Stefan Köhler, Landwirt und Jäger im Kreis Aschaffenburg. Es gibt Regionen, in denen rechnen Experten mit bis zu 30 Euro Wildschaden pro erlegter Wildsau. Anderswo finden sich kaum noch Jäger, die ein Revier pachten wollen - weil ihnen die Forderungen der Bauern nach Ersatz der Wildschäden zu teuer sind.

In ihrer Not tüfteln Bauern, Jäger und Förster an immer ausgefeilteren Jagdmethoden. So hat der Bauernverband vor einem Jahr sein "Schwarzwild-Informations-System" (SIS) gestartet. Im Spessart und vier weiteren Modellregionen tragen Landwirte, Jäger und Förster alle möglichen Informationen über die Wildsauen auf einer Internetplattform zusammen - Abschüsse, Sichtungen, Schäden auf Äckern und Weiden und anderes mehr.

"So haben wir herausgefunden, dass die Sauen bei uns im Sommer immer dorthin ziehen, wo gerade das Getreide reif wird, erst sind sie unten bei Aschaffenburg, später wandern sie hinauf in die Hochlagen des Spessart", sagt Bauer Köhler. "Danach richten wir jetzt unsere Jagdstrategie aus." Ist das SIS erfolgreich, will man es auf ganz Bayern ausdehnen. Beim Jagdverband haben sie ein ähnliches Portal eingerichtet, es nennt sich "BJV digital".

Die besten Strategien und Internet-Plattformen nützen freilich nichts, wenn der Eifer der Jäger und Förster nachlässt, in den Wäldern und auf den Feldern den Wildschweinen nachzustellen. Das war in der Vergangenheit regelmäßig der Fall. Auf die Jahre mit hohen Jagdstrecken folgten stets welche mit deutlich geringeren. "Wie die meisten Menschen neigen Jäger dazu, sich auf Erfolgen auszuruhen", sagt ein Experte, der ungenannt bleiben will, weil er sonst Ärger mit der Zunft hat. "Aber das ist der größte Fehler. Lässt der Jagddruck nach, vermehren sich die Sauen noch viel mehr."

Das weiß auch Forstminister Brunner. "Wir müssen die Wildschweine intensiv bejagen", sagt er. "Sonst steigen nicht nur die Schäden der Bauern immer weiter an. Auch die Gefahr von Wildunfällen wächst und das Risiko, dass die Schweinepest ausbricht."

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