Wiederaufnahme im Fall Peggy:Wie Ulvi K. zum Verdächtigen wurde

Fall Peggy - Prozess Ulvi K.

Ulvi K. sitzt am zweiten Verhandlungstag im Gerichtssaal.

(Foto: dpa)

Am zweiten Prozesstag im Fall Peggy erklären ein Profiler und der Chefermittler der Soko, wie es zum umstrittenen Geständnis von Ulvi K. kam. In einem Video zeigt der Angeklagte, wie sich der Mord angeblich abspielte. Doch wie viel ist die Aussage des geistig zurückgebliebenen Mannes wert?

Von Anna Fischhaber, Bayreuth

Im Wald steht Ulvi K., damals Anfang 20, und lacht. Neben ihm suchen Polizisten nach der Leiche der kleinen Peggy, die er angeblich hier abgelegt hat. Der geistig zurückgebliebene Mann versteht offensichtlich nicht wirklich, um was es hier geht. "Und dann hat sie Hilfe, Hilfe geschrien?", fragt ein Polizist. Ulvi K. nickt und grinst wieder. In einem anderen Film fragen ihn die Polizisten danach, wie sich die Tat im fränkischen Lichtenberg abgespielt haben könnte. Er sagt mal ja, mal nein auf die Fragen der Beamten. Die Sache scheint ihm Spaß zu machen. Aber wie viel ist sein Geständnis wirklich wert?

Im Landgericht Bayreuth werden an diesem Dienstagvormittag Polizeivideos aus dem Jahr 2002 gezeigt. Kurz nachdem Ulvi K. sein umstrittenes Geständnis abgelegt hatte, versuchte die Soko Peggy II mit ihm die Tat zu rekonstruieren und suchte nach der Leiche. Vergeblich. Von dem Mädchen fehlt bis heute jede Spur. Dennoch wurde Ulvi K. 2004 vor dem Landgericht Hof als Mörder verurteilt. Nun aber bekommt er in Bayreuth einen neuen Prozess.

Es ist Tag zwei des Wiederaufnahmeverfahrens im Fall Peggy. Erneut kommt der Angeklagte Ulvi K. mit Sakko, Krawatte und einem besonnenen Lächeln in den Gerichtsaal, erneut sind fast alle Zuschauerplätze besetzt. Zum Prozessauftakt hatte sein Verteidiger Michael Euler am Montag schwere Vorwürfe gegen die Ermittler erhoben. Er sprach von Pannen und Foltermethoden beim Verhör. Der Chefermittler Wolfgang Geier, der an diesem Vormittag als Zeuge geladen ist, weist das zurück. Man habe sich bemüht, eine "angenehme Verhöratmosphäre" zu schaffen, sagt er. Der Einzige, der Ulvi K. angeschrien hätte, sei sein damaliger Anwalt gewesen.

Chefermittler im Zeugenstand

13 Personen wurden der Soko Peggy II, die die ergebnislosen Ermittlungen der Soko Peggy I nochmal überprüfen sollte, als mögliche Verdächtige genannt, erzählt Geier. Trotzdem rückte Ulvi K. in den Fokus der Ermittler. Wie es dazu kam, erklärt Geier so: Ulvi K. habe sich doch in der Nähe des Marktplatzes aufgehalten, was er zuvor bestritten hatte. Zudem habe es einen sexuellen Übergriff auf Peggy gegeben, einige Tage vor ihrem Verschwinden. Bei keinem der Tatverdächtigen habe sich so ein eindeutiges Motiv ergeben, sagt der Ermittler. "Und wenn doch, hatten sie ein Alibi."

Mit seinem fehlenden Alibi konfrontiert, habe Ulvi K. erstmals zugegeben, dass er Peggy verfolgt habe und sie weggelaufen sei. Er habe erzählt, dass das Mädchen hingefallen sei und geblutet habe. Während dieser Vernehmung hatte Ulvi K. zudem darauf bestanden, dass Peggy ihm "in die Eier getreten" habe, er Sterne gesehen sah und sich das Mädchen entfernte. "Ich habe das bereits als Teilgeständnis gewertet", sagt der Beamte. "Sonst hätte Peggy in den 300 Metern vom Schlossplatz nach Hause auf einen unbekannten Täter stoßen müssen." Erst als die Vernehmung bereits abgebrochen war, soll der Mann den Mord zugegeben haben. Doch das sei nicht die Schuld der Ermittler, sagt Geier. Man habe versucht, das Geständnis im Beisein des Anwaltes zu wiederholen, doch der habe alle Termine abgesagt.

Wie ein Profiler arbeitet

Am Morgen hatte bereits ein Profiler als Zeuge ausgesagt und Einblicke in die Ermittlungsarbeit der Polizei gegeben. Der Beamte aus München berät Kollegen bei Vermisstenfällen. Er arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten, trifft Hypothesen anhand kriminalistischer Erfahrungen und Studien, wie er vor dem Landgericht Bayreuth erklärt. Im Fall Peggy entwickelte er schließlich die Tathergangshypothese, die die Polizei Ulvi K. vorlegte - und die seinem späteren Geständnis sehr ähnelt. Wie Ulvi K. überhaupt zum Verdächtigen wurde? Der Zeuge macht das an fünf Punkten fest.

Man sei davon ausgegangen, dass Ulvi K. Peggy sexuell missbraucht habe. Zudem habe sich das Mädchen vor ihrem Verschwinden verängstigt gezeigt. Dass Peggy am Nachmittag nochmal zu Hause war oder gesehen wurde, sei unwahrscheinlich, erklärt der Beamte. "Dass Zeugen ein vermisstes Kind noch gesehen haben wollen, erlebe ich bei jedem Vermisstenfall, den ich berate", sagt der Profiler. Später stelle sich oft heraus, dass das Kind längst tot war. Ein Zusammentreffen von Ulvi K. und Peggy an diesem Nachmittag sei sehr wahrscheinlich gewesen: Zeugen wollen Ulvi K. auf einem Platz gesehen haben, an dem Peggy vorbeigekommen sein müsste.

Der Profiler entwickelte daraufhin ein Konzept für die Vernehmung. Es dürfte zu einer Eskalation gekommen sein, von einer geplanten Tötung ist nicht auszugehen, heißt es darin etwa. Der Polizist erklärt, wie häufig es nach einem sexuellen Missbrauch zu Angriffen auf den Hals des um Hilfe rufenden Opfers kommt und wie viel häufiger Kinderleichen wegtransportiert werden. Doch was, wenn Ulvi K. und Peggy sich am Tag ihres Verschwindens gar nicht getroffen haben?

"Sie gucken schon nach rechts und links", will die Anwältin von Peggys Mutter, die in dem Verfahren als Nebenklägerin auftritt, wissen. "Natürlich", sagt der Profiler. "Solche Hypothesen sind dafür da, verifiziert und falsifiziert zu werden." Der Gutachter, der Ulvi K.s Geständnis 2004 für glaubwürdig erklärt hatte, wusste allerdings nicht, dass es damals eine solche Tathergangshypothese gegeben hatte. Deshalb hat das Landgericht Bayreuth nun eine Wiederaufnahme angeordnet. Nun muss der Gutachter erneut beurteilen, ob Ulvi K.s Geständnis wirklich glaubwürdig war. Am Nachmittag soll aber zunächst der Chefermittler weiter vernommen werden.

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