Obrigkeit in Bayern:Majestät sind schwer beleidigt: Warum der Fall Böhmerman nicht neu ist

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Illustration: Ilona Burgarth

Frech daherreden gegen die Obrigkeit war in Bayern immer schon riskant - auch nach Ende des Königreichs. Ein unvollständiger Überblick über die Geschichte der Widerrede.

Von den SZ-Autoren

Fernsehsatiriker Jan Böhmermann muss sich zwar möglicherweise für seine Schmähkritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor Gericht verantworten. Doch dank der Gnade der späten Geburt am richtigen Ort (Bremen) wird ihm wohl Schlimmeres erspart bleiben. Im Königreich Bayern stand auf Majestätsbeleidigung im allerschwersten Fall die Todesstrafe.

Und Beleidigungen gegen "auswärtige Staaten oder deren Regenten" galten ebenfalls als Verbrechen. Da Böhmermann zwar übel gelästert hat, aber nicht handgreiflich geworden ist, wäre er wohl mit der öffentlichen Abbitte vor dem Bildnis des Souveräns und mit bis zu vier Jahren verschärfter Haft im Arbeitshaus davongekommen. Mit der Zeit wurde die Majestätsbeleidigung in Bayern zwar milder geahndet - aber ganz ohne Strafe geht es hier bis heute nicht ab. Ein Streifzug:

Des Kutschers Wut

Wer die Allmacht für sich beansprucht, wie es Könige so an sich haben, der kann alles - und ist daher auch an allem schuld. So machten viele Untertanen von Ludwig I. (1786 bis 1868) den König für ihre persönliche Misere verantwortlich, zum Beispiel der Lohnkutscher Lorenz Bauer, um 1829. Der saß im Wirtshaus Post zu Schwandorf, als ihn, wohl beim einen oder anderen Bier, der Groll überkam. Des Öfteren hörte der Kutscher von Passanten, sie würden doch lieber die Eisenbahn nehmen, diese neue Erfindung, die auch Bayern eroberte. Bauer sah seine Existenz bedroht, und als das Gesprächsthema auf den Eisenbahnbau kam, da konnte er nicht an sich halten und schrie in die Runde über Ludwig I.: "Den wird auch der Teufel noch bei lebendigem Leib holen." Ihn selbst holte sich die Justiz und verurteilte ihn wegen Majestätsbeleidigung.

Schmähbriefe

Manch ein Königskritiker stellte sich schlauer an. Wer einer Anzeige wegen Majestätsbeleidigung entkommen wollte, der kleidete sich am besten in den Schutzmantel der Anonymität. So schrieb ein Unbekannter Anfang der 1830er in einem Schmähbrief an Ludwig I.: "Es gibt zwar keine freie Presse mehr, aber noch freie Menschen." Es gab nicht wenige, die es dem Anonymus nachtaten. Des Königs Italienreisen wurden als "Ausschweifendes in fremden Landen" kritisiert. Er hätte sich besser um die steigenden Preise für Brot, Fleisch und vor allem Bier kümmern sollen. So warf ein anderer seinen Unmut aufs Papier und drohte dem König mit dem Tod: "Wohlfeil Fleisch, Brot, Mehl und Bier. Sonst zur Isar hin mit Dir." All die Beleidigungen blieben ungestraft.

Die Geliebte des Königs

Wer die Majestät beleidigt, kann aber auch als Gewinner aus der ganzen Sache hervorgehen. Wie zum Beispiel ein Münchner Student im Fall der königlichen Geliebten, der Tänzerin Lola Montez. Im Jahr 1848 heftete der Student seine Schmähschrift gegen Lola Montez direkt an die Münchner Residenz. Der Wortlaut ist nicht überliefert, dafür die Reaktion Ludwigs I.: Er lobte ein Kopfgeld aus - begnadete den Täter dann aber und überließ ihm der Legende nach auch noch das Kopfgeld. Vor lauter Glück bekam der Student weiche Knie und musste sich daher an einem der Löwenstandbilder neben dem Eingang festhalten. Seitdem heißt es, wer an den Standbildern reibe, der erhalte Reichtum und Glück.

Wer ko, der ko!

Auf den Kontext ist es bei den echten und den vermeintlichen Majestätsbeleidigungen immer schon angekommen. Denn rein für sich genommen heißt der Satz "Wer ko, der ko!" nicht besonders viel. Wenn diesem Paradespruch des auftrumpfenden Bayern aber ein "Majestät" vorangeht sowie ein gewagtes Überholmanöver, dann hätte es für einen wie Franz Xaver Krenkl schon gefährlich werden können. Der Münchner Lohnkutscher soll mit seinem Sechsspänner im Englischen Garten an der Staatskarosse von Ludwig I. vorbeigeprescht sein und dessen überraschte Zurechtweisung mit besagtem Satz quittiert haben. Ludwig wiederum hat der Legende nach nicht juristisch, sondern souverän reagiert: Er soll mit großer Entourage die Einfahrt des wartenden Krenkl blockiert haben und ganz am Ende dieses Zuges persönlich mit seiner Retourkutsche dahergekommen sein: "Gell, Krenkl, wer ko, der ko!"

Dumme Jungs und üble Hetzer

Der König als Kunst-Eunuch

Fast zwei Jahrzehnte waren vergangen, doch aus Heinrich Heines Zeilen spricht noch immer Kränkung. In den 1820er Jahren hatte ihm der Gedichte schreibende Ludwig I. eine sicher geglaubte Professur an der Münchner Universität verwehrt. 1844 schlug Heine zurück. In seinen "Lobgesängen auf König Ludwig" imitierte er die unbeholfenen Zeilen des Monarchen, nannte ihn den "angestammelten König" der Bayern, "Kunst-Eunuch" und einen Schutzpatron für Affen und Kängurus. Natürlich: Ein Held sei er auch, ganz "wie Otto, das Kind, sein Söhnchen; der kriegte den Durchfall zu Athen, und hat dort besudelt sein Thrönchen". Zu guter Letzt verriss Heine noch die royale Lyrik: "Herr Ludwig ist ein großer Poet, und singt er, so stürzt Apollo vor ihm auf die Kniee und bittet und fleht: Halt ein, ich werde sonst toll, o!" Eine Reaktion Ludwigs musste Heine nicht fürchten: Er lebte im sicheren Paris.

Unheilbar blödsinniger Prinz

Anton Memmingers Eltern hatten ihrem Sohn eine "gediegene Erziehung" ermöglicht, doch kurz nachdem Ludwig II. tot aus dem Starnberger See geborgen wurde, verhielt sich der Würzburger Publizist alles andere als gediegen gegenüber Ludwigs Bruder und Thronfolger Otto, der seit Jahren in psychiatrischer Behandlung war. Memminger schrieb im Juni 1886 in der Bayerischen Landeszeitung: "Man kann doch dem Volke nicht zumuten, dass es die Ehrfurcht, Liebe und Achtung, die es dem genialen König Ludwig II. auch im Unglück nicht versagte, auf einen unheilbar blödsinnigen Prinzen überträgt." Memminger wurde wegen Majestätsbeleidigung verurteilt. Später fiel er als übler antisemitischer Hetzer auf.

Ins Exil dank Kaiser Wilhelm

1898 reiste der deutsche Kaiser Wilhelm II. mit pompösem Gefolge nach Palästina. Die satirische Zeitschrift Simplicissimus machte sich darüber mit einer Karikatur und einem eigentlich recht harmlosen Spottgedicht von Frank Wedekind lustig: "Willkommen, Fürst, in meines Landes Grenzen / Willkommen mit dem holden Ehgemahl / Mit Geistlichkeit, Lakaien, Excellenzen / Und Polizeibeamten ohne Zahl." Das gab Ärger: Der Karikaturist Thomas Theodor Heine bekam sechs Monate Haft aufgebrummt, Verleger Albert Langen floh nach Paris. Wedekind ging in die Schweiz und stellte sich 1899, er wurde zu fünf Monaten Festungshaft verurteilt. Ludwig Thoma, damals schon Mitarbeiter des Simplicissimus, hatte vor der Veröffentlichung gewarnt, war aber nicht ernst genommen worden, weil er als Feind Wedekinds galt. Dabei war er selbst nicht zimperlich: Einmal musste er sechs Wochen in Stadelheim einsitzen wegen der Beleidigung von Sittlichkeitsvereinen. Ein andermal schrieb er ein Spottgedicht auf den Landtag, dessen Strophen jeweils mit der Zeile endeten: "Bayerns neues Parlament!" Nur bei der letzten mit der Frage: "Und was ist das Allerdümmste? / Schon noch dümmer als wie dumm?" lautet der Schluss: "Himmelherrgottsakrament!!"

Fabelhaft

Auch Bayerns erster Ministerpräsident hatte Probleme mit der Obrigkeit: Kurt Eisner wurde 1897 nach einem Artikel in einer Berliner Zeitschrift wegen Majestätsbeleidigung zu neun Monaten Haft verurteilt, weil die Justiz in seiner Fabel über einen idealistischen und tatkräftigen Staatsmann den Kaiser Wilhelm II. nicht recht wiederfinden konnte. Später bekam dann eher die Obrigkeit einige Probleme mit Eisner, der nach dem Sturz des letzten bayerischen Königs Ludwig III. 1918 in München die Republik und den "Freistaat Bayern" ausrief.

Ganz eigene Erbfolge unter FJS

Schwere Klunker, leichtes Hirn

Freier Landesbote hieß das Blatt von Redakteur Friedrich Benz. Wie frei es wirklich war, zeigte sich am 22. November 1900, als Benz wegen Majestätsbeleidigung für sechs Monate ins Gefängnis musste. Beleidigt haben soll er nicht den König selbst, sondern die künftige Gemahlin eines gewissen Prinz Rupprecht. Die bekam von ihrem Verehrer einen Brillantring geschenkt, von "abnormer und auffallender Größe", wie Benz notierte. Weiter ließ er sich aus über die "spezifische Eigenschaft der Hochgeborenen, dass je schwerer ihre Edelsteine sind, um so leichter das ist, was man gewöhnlich im Kopf hat, also in diesem Falle nicht hat". Zu Benz' Unglück hatte der eine oder andere Adelsmann doch noch so viel Substanz im Hirnkastl, um zu begreifen, dass es sich hier um eine Beleidigung handelte.

Der Herr von Bayern

Da dachte man bei der SPD doch glatt, die Monarchie sei abgeschafft in Bayern. Wir befinden uns im Jahre 1980. Sieben lange Legislaturperioden war die letzte SPD-Regierung damals her. Das fühlte sich doch eher nach monarchischer Erbfolge als nach Demokratie an. Noch dazu leitete gerade Franz Josef Strauß sein erstes Kabinett, der Mann, der bald von der CSU wie ein König verehrt werden sollte. Und doch ließ sich die SPD-Abgeordnete Ursula Pausch-Gruber im Landtag nicht beirren. Konsequent nannte sie den "Herrn von Bayern Herrn von Bayern". Nicht anders hätte man ihrer Meinung nach Albrecht von Bayern in einer Demokratie nennen können. Auch der Hinweis von Landtagspräsident Franz Heubl nutzte nichts, dass es sich bei dem Mitbürger doch um einen Herzog handele. Herrn von Bayern, was anderes ließ sich die wackere SPD-Frau nicht entlocken. Die Strafe: Ihre Frage im Landtag wurde nicht zugelassen.

Schulverweis

Für Christine Schanderl war 1980 das Schuljahr zwei Wochen früher zu Ende als für die anderen: Sie flog im Juli vom Gymnasium in Regensburg, weil sie sich mit Strauß angelegt hatte - zwar nur indirekt, aber das reichte auch: Die 18-Jährige hatte im Unterricht einen "Stoppt Strauß"-Button getragen, der unter Jugendlichen damals so verbreitet war wie selbst gedrehte Zigaretten oder lange Haare. "Schanderl, Sie verlassen jetzt sofort das Schulgelände, sonst rufe ich die Polizei und erstatte Anzeige wegen Hausfriedensbruchs", sagte der Direktor zum Abschied. Doch Schanderl beugte sich nicht, sondern klagte sich durch alle Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht. Und bekam Recht: Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt auch auf dem Schulgelände. Sogar in Bayern, und sogar, wenn es um Strauß geht. Der Ministerpräsident wollte einige Jahre später auch den SPD-Landrat Hans Schuierer aus dem Amt entfernen lassen, weil dieser gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf kämpfte und über die "Ein-Mann-Demokratur" in Bayern lästerte. Auch hier unterlag der Freistaat vor Gericht.

Aus dem Programm geflogen

Der Kabarettist Dieter Hildebrandt war zu Lebzeiten so etwas wie eine wandelnde Majestätsbeleidigung, nichts und niemand war vor seiner Kritik in der Satire-Sendung "Scheibenwischer" sicher - schon gar nicht Bayerns Politprominenz. Strauß etwa nannte Hildebrand deshalb einen "politischen Giftmischer". Immer wieder versuchte Helmut Oeller, der frühere BR-Fernsehdirektor, den Scheibenwischer bundesweit aus dem Programm zu fegen - vergebens. Als sich Hildebrand nach Oellers Auffassung auf "makabre und degoutante" Art über die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl äußerte und die anderen Fernseh-Chefs wieder mal nicht mitzogen, setzte Oeller die Sendung kurzerhand in Bayern ab. Was als publizistische Höchststrafe gedacht war, entpuppte sich allerdings als ein Schuss, der nach hinten losging. In Bayern erhob sich ein Proteststurm ohnegleichen.

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