Wenn Erdbeeren Ananas heißen:Ein bisschen Nana

Eröffnung der Erdbeerernte in Sachsen

Heißen in bestimmten Landstrichen "Ananas": Erdbeeren.

(Foto: dpa)

Verkehrte Sprachwelt: Warum Erdbeeren in bestimmten Landstrichen "Ananas" heißen, Kartoffeln aber "Eadbean" - die Uni Eichstätt hat Veränderungen in der bayerischen Sprachlandschaft untersucht. Die Ergebnisse sind durchaus kurios.

Von Hans Kratzer

Wer in der Eichstätter Gegend eine Ananasfrucht kaufen will, sollte seine Worte im Supermarkt gut abwägen. Im Umkreis gibt es nämlich Dörfer, in denen die Erdbeeren Ananas heißen, während die Kartoffeln Eadbean genannt werden. Dies ist eines von vielen überraschenden Resultaten des von der Universität Eichstätt initiierten Forschungsprojekts "Sprache im Fluss", das nun nach zweijähriger Dauer abgeschlossen wurde.

Die Untersuchung sollte unter anderem Aufschlüsse liefern, wie die künftige Sprachlandschaft in Bayern aussehen wird. Denn wie überall gehen auch im Freistaat Phänomene wie Zuwanderung und Mobilität, der Wandel der Landwirtschaft und das Ausbluten der Dörfer mit einem tief greifenden Sprachwandel einher.

Der Fokus der Eichstätter Forschungen war auf die Sprachsituation in der Altmühl-Jura-Region gerichtet, die noch überwiegend ländlich geprägt ist und so etwas wie einen Schmelztiegel bayerischer Dialekte bildet. Schließlich treffen hier Oberbayern, Mittelfranken und die Oberpfalz aufeinander, und ein bisschen schwingt auch noch der schwäbische Bistumsdialekt mit hinein.

Studenten befragten Menschen aus elf Gemeinden. Unter anderem zeigte sich, dass die Mobilität das Sprachverhalten stark prägt und dass sich die Dialekte zunehmend durch Einflüsse aus anderen Regionen verändern. Die Ortsmundarten sind eindeutig auf dem Rückzug. Uralte Wörter wie Irta für Dienstag sind zwar noch bekannt, werden aber nicht mehr verwendet.

Dass norddeutsche Regionalismen wie das Verb ausbüxen ungefähr ein Dutzend südhochdeutscher Synonyme verdrängt, wird nicht als Problem wahrgenommen. "Da haben die Sprachpfleger noch viel zu tun", sagt die Projektleiterin Monika Raml vom Lehrstuhl Didaktik der Deutschen Sprache der Universität Eichstätt.

Bresling, Rouban und Breschla

Zu den kuriosen Ergebnissen zählt wie eingangs erwähnt die Bedeutungsbreite des Wortes Ananas. Eines der Studententeams teilte nach einer Befragung mit, in mehreren Ortschaften hätten die Menschen das Wort Erdbeeren nicht gekannt, sie sagten dazu Ananas. Tatsächlich hatten die Befragten eine alte Dialektbezeichnung für gezüchtete Erdbeeren verwendet.

Diese hielten nach dem Zweiten Weltkrieg - aus Südamerika stammend - auch in bayerischen Gärten Einzug. Aufgrund ihres Aussehens und in Anlehnung an das Indio-Wort Nana (Frucht) wird diese Erdbeere als Ananas bezeichnet, nicht zuletzt, um sie von den Walderdbeeren abzugrenzen, die im Großraum Eichstätt die Namen Bresling, Rouban und Breschla tragen.

8000 Dialektsprecher aus Orten wie Beilngries, Berching, Denkendorf und Greding gaben überdies per Fragebogen Auskunft, welche Rolle die Mundart in ihrem Leben spielt. Vor allem die Aussagen von 4000 Schülern werden, wenn sie ausgewertet sind, erhellen, ob der Dialekt bei jungen Menschen noch Zukunft hat. Bislang liegen dazu nur wenige Untersuchungen vor, etwa die Dissertation von Bernhard Stör, die 1998 eine zu 98,5 Prozent dialektfreie Münchner Jugend dokumentiert hat.

Potschamperl und Nachthaferl

"Es gibt immer noch eine hohe rezeptive Dialektkompetenz", sagt Monika Raml. Die Schüler verstünden zwar den Sinn vieler Wörter, aber ihr eigener dialektaler Wortschatz geht zurück. Nicht zuletzt, weil ständig Wörter aus dem Alltag verschwinden, was vor allem mit dem Verschwinden der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zusammenhängt.

Der Begriff Potschamperl (Nachthaferl) kam zum Beispiel aus der Mode, als Klosetts mit Wasserspülung populär wurden. Ein 14-jähriger Schüler konnte zwar fließend sämtliche Stadien der Heumahd vortragen, aber das sei mittlerweile Expertenwissen, sagt Raml. Andererseits hat sie den Eindruck, dass sich die Menschen in einer Gegenreaktion zur Globalisierung wieder mehr auf regionale Sprachen besinnen.

Das Projekt hat auch gezeigt, dass Dialekte bei Schülern mehr Prestige besitzen als noch vor 15 Jahren. Dies ist vor allem auf dem Land zu beobachten, wo dialektale Ausdrucksformen wegen ihrer prägnanten Kürze in der SMS- und Chatroom-Kommunikation sehr beliebt sind. In Städten wie Ingolstadt wird die Jugendsprache aber überwiegend von Heranwachsenden mit Migrationshintergrund geprägt.

Es zeigte sich auch, dass die Ortsdialekte umso intakter sind, je kleiner die Gemeinde ist. Viele Jugendliche in der Stadt würden zwar gerne Dialekt beherrschen, "lassen es aber sein, weil sie es nicht von Grund auf gelernt haben", sagt Monika Raml.

Dialektkompetenz in der Schule zu erwerben, wie es in den neueren Lehrplänen vorgesehen ist, funktioniert auch nicht. Die 2005 verteilten Handreichungen des Kultusministeriums zu den bayerischen Dialekten stehen in den Lehrerzimmern unbeachtet herum. "Kein Mensch kennt sie", sagt Raml. Viele Lehrer trauten sich auch nicht an das Thema heran, denn immer noch geistere die Sprachbarrierendebatte aus den 70er Jahren durch die Schulen. Der Dialekt gilt in manchen Kreisen immer noch als Bildungshürde.

Lehrern, die wegen der Orthografie Bedenken haben, erklärt Raml: "Gute Dialektsprecher haben meistens auch gute Noten im Fach Deutsch. Sie können nämlich zwischen zwei Sprachebenen hin- und herswitchen." Nicht zuletzt zeigte sich, dass Dialekt durchaus der Integration dienen kann. In ländlichen Kindergärten werden Kinder von Zuwanderern häufig über den Dialekterwerb integriert.

Ein Ergebnis des Projekts "Sprache im Fluss" ist ein Online-Sprachatlas. Dort können standardsprachliche Begriffe ausgewählt und in ihrer Dialektform angehört werden. Ein Novum: Auch die Versionen der verschiedenen Altersgruppen können gezielt abgerufen werden.

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