Welterbe in Nürnberg:Anleitung für eine Krönung

Welterbe in Nürnberg: Aufgeschlagen wird das Weltdokumentenerbe nicht in der Ausstellung im Staatsarchiv Nürnberg. Das tut der Ausstrahlung aber keinen Abbruch.

Aufgeschlagen wird das Weltdokumentenerbe nicht in der Ausstellung im Staatsarchiv Nürnberg. Das tut der Ausstrahlung aber keinen Abbruch.

(Foto: Olaf Przybilla)

In der Goldenen Bulle ist exakt festgehalten, wie der König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu wählen ist - das Dokument ist nur eine Woche lang in Nürnberg zu sehen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Man kann das mal im Bekanntenkreis ausprobieren, und das Ergebnis dürfte verblüffend ausfallen. Gerade weil die Frage so klingt, als müsste die Antwort schon mit profundem Kreuzworträtselwissen machbar sein. Also: Wie wurde man im Mittelalter eigentlich König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation?

Peter Fleischmann, der Direktor des Nürnberger Staatsarchivs, hat die Frage im engeren Kreis noch nicht gestellt. Aber er kennt natürlich die kuriosen Vorstellungen, die sich selbst Bildungsbürger vom Heiligen Reich machen. Und so schätzt er, dass "höchstens fünf Prozent" das richtig beantworten können. Dass das Königsamt vererbt wurde, dürfte die verbreitete Antwort sein, warum auch immer. Richtig ist allerdings: Der König wurde gewählt.

Das Weltdokumentenerbe wird nur selten präsentiert

Über die Modalitäten der deutschen Königswahl klärt die Goldene Bulle auf, das Reichsgrundgesetz des Mittelalters. Vor drei Jahren wurde deren weltweit sieben Ausfertigungen von der Unesco zum Weltdokumentenerbe erklärt, die Bulle steht damit in einer Reihe mit der Gutenberg-Bibel, dem Autograf von Beethovens Neunter, der Nibelungenlied-Handschrift und dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990, um nur einige zu nennen. Aus konservatorischen Gründen wird das Nürnberger Exemplar nur selten präsentiert, seit der Ernennung zum Welterbe nun zum ersten Mal. Und das auch nur eine Woche lang, sonntags verschwindet es wieder im Tresor.

Entsprechend schwierig ist es dieser Tage, im Kabinett des Archivs mit dem Direktor ins Gespräch zu kommen. Fleischmann kommt meistens nur bis zum dritten Satz, ehe Besucher darum bitten, zuhören zu dürfen - um den nickenden Direktor anschließend mit Fragen zu bombardieren. Es scheint Hunger nach Informationen zu geben, nach all der Zeit im Haustresor.

Gründe, sich das bedeutendste Reichsgrundgesetz gerade in Nürnberg anzusehen, gibt es. Immerhin ist die Bulle ein Ergebnis des Nürnberger Hoftages vom Januar 1356, erlassen unter König Karl IV., der heuer vielerorts gefeiert wird. Ein zweiter, ergänzender Teil entstand auf dem Hoftag in Metz, elf Monate später. Um die Kernkapitel der Reichsverfassung aber war zuvor in Nürnberg gerungen worden. Hier wurde die herausragende Stellung der Kurfürsten beschrieben und fixiert, wem das Recht zufiel, den König wählen zu dürfen.

Nur wenige Exemplare existieren auf der Welt

Dass diese Ehre den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier sowie dem König von Böhmen, dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg vorbehalten war, war zwar längst gängige Praxis. Dies freilich auch in einem Dokument festzuhalten, gilt als fundamentaler Schritt auf dem Weg zur Verschriftlichung des Rechts.

Dass weltweit sieben Ausfertigungen dieses Welterbes existieren, wirkt dabei nur auf den ersten Blick naheliegend. Während nämlich für die fünf erstgenannten Kurfürsten - jene Fürsten eben, die den König küren, also wählen durften - je eine Bulle ausgefertigt wurde, gingen Sachsen und Brandenburg leer aus, wohl allerlei Streitereien wegen. Bedient hingegen wurden zwei Städte, denen in der Goldenen Bulle eine Ausnahmestellung im Reich eingeräumt wird: nach Frankfurt, wo der König gewählt werden sollte, und nach Nürnberg, wo nach der Königswahl jeweils der erste Hoftag abgehalten wurde.

Der "Nürnberger Witz", zu dem es viele Fragen gibt

Und an der Stelle beginnt nun der skurrile Teil um die Geschichte der Goldenen Bulle in Nürnberg; und womöglich ein Schlüssel zum Verständnis dieser Stadt. So historisch naheliegend es nämlich aus genannten Gründen sein mag, sich dieses Welterbe-Dokument gerade in Nürnberg anzusehen, und nicht etwa in Wien, Darmstadt, Stuttgart, München oder Frankfurt, wo ebenfalls Exemplare archiviert sind - so wenig spektakulär ist der Anblick der Bulle ausgerechnet in Nürnberg, zumindest für Freunde prachtvoller Verzierung.

Alle anderen Ausfertigungen nämlich weisen das auf, was der Name des Dokuments verspricht: ein mit Gold verziertes Siegel, eine "Goldene Bulle" also. Allein das Nürnberger Welterbe hat so ein Goldsiegel nicht.

Was nebenher auch bedeutet: Man käme schlechterdings, vorm Glaskasten in Nürnberg stehend, nie von selbst darauf, warum das Ding hinter der Scheibe eigentlich so genannt wird. Das Siegel der Nürnberger Bulle ist aus schlichtem Wachs.

Die Goldene Bulle von Nürnberg? Müsste eigentlich Wächserne Bulle heißen.

Die Bulle wurde nicht vergoldet

Und spätestens an der Stelle darf man den Einführungskurs in die Verfassungsgeschichte mal unterbrechen und in die Besonderheiten bayerischer Stämme einsteigen. Einem Münchner, dem man erzählt, dass das Siegel der Goldenen Bulle ausgerechnet am Entstehungsort aus Wachs ist, dürfte in der Regel antworten: typisch Franken, die waren schon im Mittelalter nicht in der Lage, die eigenen Schätze angemessen zu präsentieren. Kann man so sehen, man kann diese Form von Understatement aber auch ganz anders deuten.

Nürnberg dürfte auf die Vergoldung der Bulle nämlich nur deshalb verzichtet haben, weil die Stadt in dem Dokument nur an einer hinteren Stelle genannt wird, was dem Selbstverständnis Nürnbergs nicht gerecht wurde. Immerhin stellte Karl IV. den Nürnbergern auch acht andere Bullen aus, die allesamt vergoldet wurden. Sie beschäftigten sich mit der Stadt und deren Privilegien. Da war dieses Dokument - das Historiker erst viel später als "Reichsgrundgesetz" bezeichnen sollten - für einen Goldbezug wohl zu mickrig. Das vermeintliche Understatement wäre also in Wahrheit: überbordendes Selbstbewusstsein.

"Nürnberger Witz" nennt Archivdirektor Fleischmann das alles, die Besucher haben dazu einige Fragen. Wichtig ist dem Direktor zweierlei, er lässt das wie nebenbei einfließen: Unter Kaiser Karl IV. erkenne man Ansätze, Nürnberg als eine Art Reichshauptstadt zu institutionalisieren. Und sein Haus, das Staatsarchiv Nürnberg, verfüge über mehr Goldene Bullen als irgendein anderes Archiv nördlich der Alpen.

Im Staatsarchiv Nürnberg bis zum 10. April 2016.

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