Wasserqualität:Bodensee ist zu sauber für Fische

Bodenseefischer Roland Stohr

Früher hatte Bodenseefischer Roland Stohr am Tag 15 bis 25 Kilogramm Felchen im Netz, heute ist es im Schnitt ein halbes Kilo.

(Foto: Stefan Puchner)

Weil das Wasser so rein ist wie noch nie, geht den Tieren das Futter aus - deshalb müssen auch die letzten Berufsfischer um ihre Existenz kämpfen.

Von Stefan Mayr, Wasserburg

Um Punkt 6 Uhr besteigt Roland Stohr im Wasserburger Hafen sein namenloses Fischerboot, die Sonne geht gerade auf, der Pfänder und der Lindauer Leuchtturm bilden eine Postkartenkulisse. Aber Stohr hat keinen Blick für Romantik. Er kämpft die nächsten eineinhalb Stunden um seine Existenz. Mit zusammengepressten Lippen holt er ein Netz nach dem anderen ein.

Irgendwann erstrahlt die Sonne am blauen Himmel, doch Stohrs Miene zwischen seiner blauen Wollmütze und den gelben Hosenträgern will sich nicht aufhellen. Er begutachtet seinen Fang und brummt: "Sehr bescheiden." Zwei Felchen und 15 Rotaugen. "Seit 2012 ist es derart dramatisch eingestürzt", sagt der 51-Jährige, "ich fahr' jetzt seit 34 Jahren aufn See, aber so schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie."

Roland Stohr ist der Vorsitzende der bayerischen Berufsfischer-Genossenschaft am Bodensee, dieses Amt hat der Fischwirtschaftsmeister von seinem Vater übernommen. "Früher hatten wir an einem Tag 15 bis 25 Kilo Felchen im Netz", sagt er. "Heute sind es 0,5 Kilo." Zwei Stück. Stohr und seine etwa 70 Kollegen vom bayerischen Bodensee haben ein Problem. Dieses Problem ist ebenso massiv wie skurril: Der Bodensee ist so sauber, dass die Fische nichts mehr zu fressen finden.

Schuld ist der niedrige Phosphat-Gehalt. Dieser liegt zwischen sechs und sieben Milligramm pro Kubikmeter. In den Achtzigerjahren lag er noch bei 80 Milligramm - damals hatten die Fische Nahrung in Hülle und Fülle, doch der See drohte umzukippen. Deshalb wurden drastische Gegenmaßnahmen eingeleitet. Kanalisation und Kläranlagen wurden massiv verbessert. Der Phosphatwert sank stetig. Alle waren zufrieden, nur nicht die Fischer. "Wenn das so weitergeht, kann man das berühmte Lied von der Fischerin vom Bodensee bald zwar noch singen", sagt Roland Stohr, "aber aktuell ist es dann nicht mehr."

Stohr kämpft gegen den drohenden Untergang. "Momentan leben wir von der Substanz", sagt er, "alle hoffen, dass keine Maschine kaputtgeht." Viele seiner Kollegen haben bereits aufgegeben. Unter den Übriggebliebenen gibt es nur noch einen, der jünger als 40 ist. Lehrlinge? Gibt es nicht. "In zehn bis 15 Jahren macht es klack und die Bodenseefischerei ist tot", prophezeit Stohr. "Das muss man wissen, wenn man uns keine Perspektive bietet." Und er betont: "Hier geht es nicht um einzelne Schicksale, sondern um das regionale Produkt Bodensee-Fisch und um den ökologischen Wahnsinn, dass die Fische irgendwann aus tausend Kilometer Entfernung hergekarrt werden."

Die bayerische Politik hat das Problem erkannt. Vergangene Woche hat der Agrarausschuss des Landtags einstimmig beschlossen, die Staatsregierung solle eine Verkleinerung der Fangnetzmaschen von 38 auf 36 Millimeter forcieren. Grund: Die hungernden Felchen werden immer kleiner und rutschen durch die Netze. "Da spürsch' du jeden Millimeter", sagt Stohr. Den Beschluss des Landtagsausschusses begrüßt er als "ersten Schritt". Aber seine Miene hellt das nicht wirklich auf. Er fragt skeptisch, ob und wann das wirklich umgesetzt werden wird.

Denn die Verkleinerung der Netzmaschen kann nur die Internationale Bodensee-Konferenz beschließen. Und die tagt nur einmal pro Jahr und alle Entscheidungen müssen einstimmig fallen. "Das kann dauern", sagt Stohr. Er hofft auf ein schnelles Einlenken, denn schon jetzt hat der Phosphatmangel skurrile Folgen: Etliche Restaurants am Bodensee servieren Felchen, die aus anderen Seen oder Ländern kommen. Stohr spricht sogar von vereinzelten "Gaunern", die ihren Fisch anderswo kaufen, aber vor der Tür ihr Schild "Bodensee-Fisch" hängen lassen.

Was auf der Strecke bleibt? Die Regionalität

Auch Reinhard Kiechle vom Gasthaus Lamm im Kau in Tettnang (Baden-Württemberg) kennt das Problem. Auch seine gehobene Küche verarbeitet immer öfter Fische aus anderen Seen. "Wir müssen manchmal Seeteufel oder Lachs auf die Karte setzen", sagt er, "die Regionalität geht leider verloren." Natürlich würden die meisten Gäste Fisch vom See erwarten, berichtet Kiechle. "Die gucken schon a bissle blöd, wenn wir sagen, wir haben nix. Aber woher sollen wir ihn denn nehmen?"

Der Allgäuer Landtagsabgeordnete Ulrich Leiner will den Fischern helfen. "Hier geht es um die Tourismusregion", sagt der grüne Biobauer. "Wenn wir Zuchtfisch aus Polen oder Skandinavien importieren müssen, der womöglich mit Antibiotika behandelt wurde, dann fällt uns das früher oder später auf die Füße." Deshalb müsse man die verbliebenen Fische erhalten. Sein CSU-Kollege Eberhard Rotter ist gleicher Meinung: Er will demnächst noch einen Antrag im Umweltausschuss einbringen, dass das Abwasser aus den Kläranlagen nicht tief unten am Seeboden eingeleitet wird, sondern näher an der Wasseroberfläche. Dadurch soll das Plankton mehr Phosphat abbekommen. Dieses könnte sich dann besser vermehren. Und damit hätten die Fische mehr zu fressen.

"Wir wollen keinen dreckigen See", stellt Stohr klar, "sondern nur einen sauberen mit etwas mehr Nährstoffen." Er spielt auf Umweltschützer und auch die baden-württembergische Landesregierung an, die eine Erhöhung des Phosphatgehalts kategorisch ablehnen und den Fischern nahelegen, sich mit der Situation abzufinden.

Stohr hält dagegen: "Phosphat ist kein Gift, sondern ein Nährstoff. Das ist wie bei Eiweiß oder Eisen: zu wenig ist genauso schädlich wie zu viel. Man braucht das Mittelmaß." Ob sich die grün-schwarze Regierung in Stuttgart davon überzeugen lässt, ist fraglich. Nicht zuletzt, weil der Bodensee der Trinkwasserspeicher für vier Millionen Baden-Württemberger ist - auch für die Landeshauptstadt.

Um halb acht fährt Roland Stohr seinen mickrigen Fang nach Hause, um ihn zu verarbeiten. Er fährt vorbei an blühenden Obstbaumwiesen und am Horizont sieht man schneebedeckte Berggipfel. Stohr würdigt das Panorama mit keinem Blick. "Wenn wir langfristig die Nährstoffe im See nicht erhöhen", sagt er, "dann ist Hopfen und Malz verloren." Seine Frau geht neuerdings zweimal die Woche arbeiten.

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