Wahlkampf:CSU besteht auf Flüchtlingsobergrenze - und erwägt einen Sonderparteitag

Merkel Meets With Mayors Over Diesel Scandal

Zeigten ihren Disput selten so öffentlich wie jetzt, zwei Wochen vor der Bundestagswahl: Horst Seehofer und Angela Merkel

(Foto: Getty Images)

So deutlich wie jetzt haben Merkel und Seehofer ihren Disput in dieser Frage selten öffentlich demonstriert. Aus der CSU heißt es: Es sei "Merkels Problem, von ihren Aussagen wieder runterzukommen".

Von Wolfgang Wittl

Die Nachfrage, deren Antwort seit Montagabend die CSU in helle Aufregung versetzt, war ohne Mikrofone kaum zu vernehmen: "Garantiert?", fragt der Erstwähler Jonas Fleckenstein in der ARD-Wahlarena. "Garantiert, ja!", antwortet die Bundeskanzlerin.

Es ist der Moment, als in der bayerischen Schwesterpartei sofort die Handynachrichten umherzuschwirren beginnen. Und von dem ein führender CSU-Mann einen Tag später sagt: "Jetzt fallen wir in die Zeit zurück, in der die alten Grabenkämpfe wieder aufbrechen." Gemeint ist die Phase, als sich CSU-Chef Horst Seehofer mit Angela Merkel über der Flüchtlingsfrage so entzweit hat, dass er offen ließ, ob es überhaupt eine gemeinsame Kanzlerkandidatin geben wird.

CSU will Obergrenze für jährlich 200 000 Flüchtlinge

Inzwischen steht die Union nicht nur mit der gemeinsamen Kandidatin Merkel auf der politischen Bühne, sondern seit Montag also auch mit zwei Garantie-Erklärungen. Ihre Haltung zur Obergrenze sei ja bekannt, sagte die CDU-Chefin: "Ich möchte sie nicht. Ich halte sie auch nicht für praktikabel." Und auf Jonas Fleckensteins Nachhaken eben noch: "Garantiert, ja!" Auch die CSU hat eine Garantie abgegeben, eine "Ordnungsgarantie" in ihrem Bayernplan, die unter anderem die Forderung nach einer Obergrenze für jährlich 200 000 Flüchtlinge in Deutschland enthält.

Merkel und Seehofer waren sich in dieser Frage nie einig, doch so deutlich wie jetzt haben sie ihren Disput nur selten öffentlich demonstriert - und das knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Kritiker aus den eigenen Reihen lästern bereits, bei den Parteivorsitzenden reiche es offenbar nicht einmal mehr zur gespielten Harmonie.

Für die CSU kommt Merkels Erklärung zum ungünstigsten Zeitpunkt. Seit Wochen arbeiten sich die Christsozialen daran ab, die erstarkende AfD nicht noch stärker werden zu lassen. Sie attackieren deren Führungspersonal, sie betonen die eigene, harte Sicherheits- und Flüchtlingspolitik. Erst am Dienstag im Kabinett präsentierte Innenminister Joachim Herrmann, der CSU-Spitzenkandidat für Berlin, neue Zahlen und Ziele. Tenor: Die Straftaten nehmen ab, Aufklärungsquote steigt, die Begrenzung der Zuwanderung bleibe als Eckpfeiler der Asylpolitik unerlässlich.

Im Fokus: das Sicherheitsbedürfnis der Frauen

Die Botschaft: Die CSU werde nicht ruhen, Bayern und ganz Deutschland noch sicherer zu machen. Doch es gibt auch einiges zu tun. Im Fokus: das Sicherheitsbedürfnis der Frauen. Um fast 50 Prozent sei die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen gestiegen - zunehmend verursacht auch von Zuwanderern, wie Herrmann sagte: "Unser Ziel ist, die Sexualstraftaten noch gezielter zu bekämpfen, auch in den Asylunterkünften." Für das Oktoberfest kündigt er noch mehr Polizeipräsenz und Videoüberwachung an.

Die CSU lässt derzeit wenig aus, um den rechten Rand gegen die AfD abzudichten. Als unerfreulich kontraproduktiv empfinden führende Parteimitglieder daher Merkels Auftritt vom Montag. "Die Obergrenze ist der Kernpunkt des CSU-Programms. Da stehen wir alle dahinter", sagt Finanzminister Markus Söder. Das bedeutet einerseits Rückhalt für Seehofer, andererseits könnte der Satz aber auch als Messlatte interpretiert werden, ob der Chef die selbst formulierten Ziele wie versprochen durchzusetzen vermag - auch gegen Merkel.

Kritiker werfen Seehofer vor, die AfD nicht früher und aktiver bekämpft zu haben

Strategisch steckt die CSU in einem Dilemma: Wenige Tage vor der Bundestagswahl kann sie die Kanzlerin nicht offen angreifen, sie würde nur die Anhänger der in Bayern beliebten CDU-Chefin verprellen. Außerdem wäre die Kritik nach dem Lob der vergangenen Monate wenig glaubwürdig. Die CSU kann es sich aber auch nicht leisten, sich unwidersprochen zu fügen, will sie nicht Wähler an die Rechtspopulisten verlieren. Wie die AfD vom Obergrenzen-Verzicht profitieren will, war am Dienstag sofort zu beobachten. Eine Stimme für die CSU sei "eine Stimme für die Fortsetzung der unkontrollierten illegalen Einwanderung nach Deutschland", stichelte Spitzenkandidatin Alice Weidel.

Seehofer erzählt gerne, wie oft er mit der Kanzlerin telefoniere. So habe er Merkel nach Angaben von CSU-Vorständlern ermuntert, bis zur Wahl "klare Kante" zu zeigen, etwa dass sich das Jahr 2015 in der Flüchtlingspolitik nicht wiederhole. Man kann nicht behaupten, dass Merkel den Wünschen entsprochen hätte. Am Dienstag im Kabinett habe Seehofer dann über die schwierige Lage und seine Besorgnis gesprochen. Interne Kritiker werfen ihm vor, die AfD nicht früher und aktiver bekämpft zu haben. Erst dadurch sei die CSU in die jetzige Zwickmühle geraten.

Parteistrategen zeigen sich indes überzeugt, dass die CSU sich durchsetzen werde. Es sei "Merkels Problem, von ihren Aussagen wieder runterzukommen". Die CSU werde mit Blick auf die Landtagswahl 2018 in Bayern keinen Koalitionsvertrag um des lieben Friedens willen unterschreiben. Im CSU-Vorstand soll Seehofer laut Teilnehmern überlegt haben, die Obergrenze erneut als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung zu formulieren. Er spricht bereits von einem Sonderparteitag nach der Wahl, der vielleicht genau darüber abstimmen soll. Die Taktik der nächsten Tage ist für die CSU klar: Man werde mit der Kanzlerin keinen offenen Streit mehr ausfechten, aber die eigenen Positionen unverändert betonen. So urteilt Seehofer über Merkels Auftritt: "Ist doch nichts Neues." Und die CSU? "Wir garantieren die Obergrenze. Ganz sicher. Und sie ist praktikabel."

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