Wahldesaster für die CSU:Zwei Männer, ein Fall

Die CSU steht unter Schock - das Führungstandem hat versagt: Es war ein langer und steiniger Weg für Erwin Huber und Günther Beckstein an die Spitze der CSU. Nun haben sie all das verloren, wofür sie viele Jahre gekämpft haben.

Annette Ramelsberger

Sie haben zusammen eine Kampfgemeinschaft gebildet. Haben sich gebraucht, haben sich gestützt und sich gegen alle Gegner verteidigt. Jetzt, wo für die CSU eisige Zeiten angebrochen sind, klammern sie sich aneinander wie zwei Überlebende auf einer Eisscholle.

Wahldesaster für die CSU: Blass und zusammengesunken treten CSU-Chef Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein vor die Kameras.

Blass und zusammengesunken treten CSU-Chef Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein vor die Kameras.

(Foto: Foto: dpa)

Eines ist schon kurz nach Bekanntwerden der ersten Schocknachricht sicher: Sie wollen nicht hinschmeißen. Sie wollen gemeinsam weitermachen. Sonst stützt sie kaum einer mehr.

Doch der Absturz der CSU auf unter 44 Prozent bringt die Kampfgemeinschaft Beckstein/Huber zum Wanken. Beckstein versucht tapfer zu sein: Er sagt, er stehe für Koalitionsverhandlungen zur Verfügung.

Wann immer er an diesem Sonntagabend öffentlich auftritt, versucht er zu lächeln. Hinter diesem Lächeln verdeckt er abgrundtiefe Traurigkeit. Alles, was er wollte, hat er nicht geschafft.

Es war sein Traum. Und er währte noch nicht einmal elf Monate. Günther Beckstein, der Ministerpräsident von Bayern, hat sich bis zur Erschöpfung verausgabt, um diesen Traum festzuhalten. Am Ende war seine Stimme heiser, seine Augen waren verquollen, er war um Jahre gealtert.

Was er konnte, hatte er getan. Es hat nicht gereicht. Noch vor ein paar Monaten hätte er sich nicht vorstellen können, dass ausgerechnet er derjenige sein würde, der die CSU unter die magische Marke von 50 Prozent rutschen lässt. An einen Absturz hätte er nicht einmal im Albtraum gedacht.

Er hatte sich selbst angepeitscht, hatte sich ein Vorbild genommen an einem Mann wie Oliver Kahn, dem legendären Torhüter des FC Bayern München. Ihm wollte er es nachmachen: absolute Konzentration, absolute Hingabe, absoluter Kampfeswillen. "Und ich habe noch mehr Kampfeswillen als Oli Kahn", sagte er. Er hoffe, dass sich sein Siegeswille übertrage auf die Partei.

Doch es hat sich nichts übertragen. Selbst die eigenen Parteifreunde sahen ihm und seinem Kampfgenossen Huber im Wahlkampf zu wie zwei Wespen, die in eine Maß Bier gefallen waren - mit interessierter Distanz, ob es die zwei wohl schaffen würden, wieder herauszukommen. Die zwei schafften es nicht.

Man kann sich den Schlag für Beckstein nicht schwer genug vorstellen. "Wenn ich unter 50 falle, dann trete ich sofort zurück", hat Beckstein einmal, vor vielen, vielen Monaten, gesagt. In der Zwischenzeit hatte ihn eine ganze Reihe von Parteifreunden bearbeitet, nicht vorschnell Konsequenzen zu ziehen - doch da dachten alle noch an ein Ergebnis von 48, 49 Prozent.

Junge Europapolitiker waren eigens nach München gepilgert, um Beckstein den Rücken zu stärken und ihn auf jeden Fall dazu zu bringen, nicht hinzuschmeißen. Denn sie brauchen ihn als Mann, der den Übergang in der Partei managt. Sie wollen verhindern, dass nun im Chaos des Niedergangs sofort ein neues Duo an die Spitze von Regierung und Partei rückt: Landwirtschaftsminister Horst Seehofer als CSU-Chef und möglicherweise Markus Söder als Ministerpräsident.

Die Dynamik der Niederlage

Es wird einen Kampf geben. Denn Beckstein will seine Pflicht tun. Das ist es, was ihm am meisten liegt: seine Pflicht zu tun. Und Huber wird nicht aufgeben wollen. Beckstein ist Protestant, einer, der seinen eigenen Willen ganz nach hinten stellt, wenn er glaubt, seiner Partei helfen zu müssen.

Schon beim Amtsantritt hat er gesagt, er sei ein Mann des Übergangs. "In der Demokratie ist jeder immer Übergang." Das war gegen seinen Vorgänger Edmund Stoiber gemünzt, der sich für unersetzlich hielt und seinem langjährigen Freund Beckstein noch Wochen vor seinem eigenen Rücktritt die Politik der nächsten Jahre diktieren wollte.

Bei der Kommunalwahl im März, als die CSU schon starke Verluste verzeichnete, klagte er seiner Frau Marga, er glaube, er schaffe das nicht. Marga verbot ihm zu klagen. Wenn er etwas wolle, müsse er auch dafür kämpfen. Beckstein tat wie ihm geheißen.

Beckstein wäre sicher einer, der mit seiner Bescheidenheit auch Koalitionsverhandlungen führen könnte - etwas, was die CSU seit 46 Jahren nicht mehr tun musste. "B wie Beckstein", "B wie Bescheidenheit", das hatte der Ministerpräsident schon beim CSU-Parteitag im Juli als Devise ausgegeben.

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Zwei Männer, ein Fall

Sollte er wirklich bleiben, er müsste sich in größter Bescheidenheit üben. Wenn man ihn denn bleiben lässt. Denn auch wenn sich Huber und Beckstein einig zeigten, nicht voreilig hinzuschmeißen, die Dynamik der Niederlage könnte am Montag nicht mehr kanalisierbar sein und sie beide in den Abgrund reißen.

Es ist schier unwahrscheinlich, dass sich Huber noch an der CSU-Spitze halten kann - selbst wenn Beckstein, wie er noch Tage vor der Wahl angekündigt hatte, zu ihm stehen will. Damals war schon klar, dass die 50 Prozent nicht mehr erreichbar sind.

Eine Ära würde zu Ende gehen. Huber und die CSU - das lässt sich nur schwer getrennt voneinander denken. Huber, das ist seit 1987, als er noch von Franz Josef Strauß zum Hilfs-Generalsekretär ernannt wurde, die Stimme und vor allem der Ellenbogen der Christlich-Sozialen in Bayern. Ein Mann, der es gerne "rumpeln" lässt, der die Gegner der Partei angeht, zur Not sogar mit Kreuzzügen.

Der aber weiß: Viel brutaler als jeder Gegner kann der Freund sein, vor allem der Parteifreund. Und Huber weiß auch: Schwäche bestraft die CSU sofort. Bevor jemand sie mit in den Abgrund reißt, stößt sie ihn lieber selbst hinein. Nun steht Huber vor genau diesem Abgrund: Die CSU hat unter seiner Führung nicht nur die magische 50-Prozent-Marke gerissen. Sie ist in bisher unvorstellbare Tiefen gefallen. Huber ist seit gerade einem Jahr der Vorsitzende der CSU - es könnte bei diesem einen Jahr bleiben.

Doch Erwin Huber will nicht zurücktreten, nicht in dieser Nacht. Er will noch kämpfen. Er sieht sich als den Bewahrer der Einheit der CSU, als einen Versöhner der Flügel. Das traut er seinem allseits bereiten Stellvertreter im Parteivorsitz, Landwirtschaftsminister Horst Seehofer, nicht zu. In der Hand von Seehofer, so sehen sie das in der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, werde die Partei zum Spielzeug eines oft selbstverliebten Politikers.

Huber wird also kämpfen, und das ist auch die Disziplin, die er am besten kann. Er kämpft seit seiner Kindheit, er kämpft, seitdem er in der Partei ist. Der Kampf hat nie aufgehört, auch nicht, als er vor einem Jahr Parteivorsitzender wurde. Nie war er unumstritten. Doch ob dieser Kampfgeist jetzt noch ausreicht, jetzt, da die puren Zahlen den Untergang der seit Menschengedenken Unbesiegbaren beschreiben, das ist mehr als zweifelhaft.

Vermutlich muss Seehofer nicht einmal selbst zum Sturz blasen. Der Schock wird andere nach Konsequenzen rufen lassen. Und vermutlich wird angesichts des unglaublichen Absturzes der CSU auch die unverbrüchliche Treue, die sich Ministerpräsident Beckstein und Huber geschworen haben, nicht mehr viel helfen.

Huber wird in der Partei als der Sündenbock für die Verluste betrachtet. Noch viel mehr als Spitzenkandidat Beckstein. Huber ist der Mann der neunziger Jahre, der Mann, der holzschnittartig die Politik der CSU beschreibt. Ein Mann wie aus einer anderen Generation. Nicht so gelenkig und windschnittig wie Seehofer oder die anderen neuen Gesichter in der CSU. "Ich kann nicht an einem Tag A sagen und an einem anderen Tag B oder C", sagt Huber im kleinen Kreis. "Ich weiß, dass das oft ungeschickt ist. Aber das Geschmeidige, Ölige liegt mir nicht."

"Man darf nicht Frösche fragen"

Ölig ist Huber nie gewesen. Das hat allein schon sein Lebensweg verhindert: Immer musste er sich durchkämpfen. Als jüngstes Kind einer Kriegerwitwe lebte er auf einem niederbayerischen Einödbauernhof, so arm, dass die Nachbarn dem Kind manchmal etwas zum Essen zusteckten.

Aber weil der Junge klug war, kam er auf die höhere Schule, lernte Finanzinspektor und schloss die Abschlussprüfung bayernweit als einer der Besten seines Jahrgangs ab. Später machte er auf der Abendschule sein Abitur nach und studierte Volkswirtschaft. Der niederbayerische Zungenschlag blieb ihm bis heute.

Huber gilt als Manager-Typ, als Macher. Für den ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber führte er jahrelang die Geschäfte - oft ohne Rücksicht auf die Einsprüche von Betroffenen. Legendär ist sein Spruch: "Wenn du den Sumpf trockenlegen willst, darfst du nicht die Frösche fragen." Für Stoiber verzichtete er auf eine Karriere in Berlin. Seine eigentliche Berufung aber war das Finanzministerium. Immer wenn er über Steuern spricht, blüht der Mann auf. Vor ein paar Tagen noch sagte Huber, die CSU sei zu seinem Lebensinhalt geworden. Nun muss er sich vermutlich einen neuen suchen.

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