Vom JU-Hallodri zum Finanzminister:Das System Söder

Immer vorne dabei: Markus Söder braucht den großen Knalleffekt. Inszenieren, schuften und zur Not ein bisschen bluffen - so hat er sich vom JU-Hallodri zum bayerischen Finanzminister hochgearbeitet. Seit 100 Tagen ist er jetzt im Amt. Ein Lehrstück über die Kunst der Selbstinszenierung.

Mike Szymanski

Neuerdings trägt Markus Söder einen Koffer aus Alu mit sich herum. Geldkoffer sehen so aus. Es fehlt nur noch, dass Söder ihn sich ans Handgelenk kettet. Ausgerechnet an diesem Tag schleppt er ihn mit in den Landtag: Ministerpräsident Horst Seehofer kündigt in einer Regierungserklärung an, Bayern werde bis 2030 alle Schulden zurückbezahlen. Wer wirklich über all das Geld wacht, konnte jeder sehen: der Mann mit dem Koffer. Finanzminister Markus Söder.

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(Foto: SZ-Grafik, Lisa Borgenheimer, Michael Mainka)

Nichts an diesem Mann ist Zufall - auch dieser Koffer nicht. Als der CSU-Politiker noch Umweltminister war und 2011 als einer der ersten nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima den Ausstieg aus der Atomkraft verkündete, legte er sich eine grüne Krawatte an. Söder war schon ergrünt, als Seehofer programmatisch den "grünen Freistaat" ausrief.

Immer vorne dabei. Typisch Söder.

Seit drei Monaten ist der 45-jährige Franke nun Finanzminister. Er rückte für Parteifreund Georg Fahrenschon nach, der es vorzog, sich aus Seehofers Wirkungskreis zu befreien, um Präsident der deutschen Sparkassen zu werden. Die hundert Tage, die Politikern zugebilligt werden, um sich in einer neuen Aufgabe, in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, sind im Fall Söder ein Lehrstück über die Kunst der Selbstinszenierung.

Während andere Politiker Mühe haben, die Toiletten am neuen Arbeitsplatz zu finden, hat sich der Jurist Söder in der kurzen Zeit als neuer Großfinanzexperte des Freistaats in Stellung gebracht. Mit den Feinheiten des kommunalen Finanzausgleichs hält er sich nicht mehr auf.

Söder kümmert sich um die großen Zusammenhänge. Im Januar erklärte er, dass das angelsächsische Wirtschaftsmodell mit seinen laxen Regeln für Banken gescheitert sei und die europäische Finanzmarktpolitik korrigiert werden müsse.

Wenn Söder an Bayern denkt, rechnet er durch, wie der Freistaat in 18 Jahren seine 32 Milliarden Euro Schulden zurückzahlen könnte. Er geht auf die armen Bundesländer wie Berlin los, weil sie das Geld verprassen würden, das Bayern in den Finanzausgleich einzahlen muss.

Söder braucht keine Schonfrist

Bei Söder hat man nicht den Eindruck, er sei erst hundert Tage im Amt. Es kommt einem vor, als mache er diesen Job seit hundert Jahren. Vom ersten Tag an hat er zu verstehen gegeben: Söder braucht keine Schonfrist.

Plenarsitzung im Landtag

Erst hundert Tage bekleidet Markus Söder das Amt des bayerischen Finanzministers - doch vom ersten Tag an hat er zu verstehen gegeben: Söder braucht keine Schonfrist.

(Foto: dpa)

Wenn er die Presse einlädt, fordert sein Sprecher die Journalisten zur "sportlichen Fragerunde" auf. Als wolle Söder beweisen: Ich weiß alles. Allein der Tag der Amtsübergabe: Da atmete das Haus schon Söders Geist, als Fahrenschon noch nicht mal richtig weg war. "Die CSU hat nahezu ein erotisches Verhältnis zum Finanzministerium", sagte Söder an der Tür.

Was danach folgte, nennt ein Kenner des Ministeriums weniger das Ergebnis unwiderstehlicher Anziehungskraft, sondern eine Hausbesetzung.

Söder weiß, wie man so etwas anstellt. Er war schon Europaminister, und er war drei Jahre lang Umweltminister. Im Universum der Macht kreiste er damit zwar auf äußeren Umlaufbahnen. Aber Söder verstand es dennoch, heller als andere zu strahlen. Söder verkaufte sein Umweltressort als "Lebensministerium" und machte sich damit wichtig, existentiell sogar. Geholfen hat ihm dabei auch eine Mannschaft an Gefolgsleuten, die weiß, wie Söder tickt.

Söders Truppe ist jetzt auch umgezogen. Kurz nach seinem Wechsel holte Söder seinen Amtschef im Umweltministerium an den Odeonsplatz, Wolfgang Lazik. Vorerst noch als Stellvertreter, bis Klaus Weigert, der amtierende Chef, in den Ruhestand geht. Lazik ist Söders wichtigster Mann. Über den 55-Jährigen hört man viel Anerkennendes, er zähle zur "Elite der Verwaltung".

Lazik arbeitete schon für Peter Gauweiler, Max Streibl und Edmund Stoiber. Er gilt als "harter Knochen". In seinem engsten Umfeld umgibt sich Söder mit Vertrauten - seinen Büroleiter hat er mitgenommen, seine Pressefrau, seinen Öffentlichkeitsarbeiter und auch seine Sekretärin. Sie sind zwar keine ausgewiesenen Finanzexperten, aber sie wissen, wie das Geschäft funktioniert.

Vorgänger Fahrenschon fehlte ein solches Team. Er selbst hatte die Korrektheit und Zurückhaltung eines Buchhalters an den Tag gelegt. Im Dienst wirkte er immer ein wenig spröde. Er hörte oft auf das, was ihm seine Beamten sagten. Das Finanzministerium war ein Platz, an dem man vielleicht gut aufs Geld aufpasste. Ein Ort für einen Kassenwart. Aber Söder will kein Kassenwart sein.

Ständiges Grundrauschen

Es dauerte ein Wochenende, bis er sich mit Hilfe der Akten auf Flughöhe gebracht hatte. Passend zu seinen finanzwirtschaftlichen Analysen, die er seither anstellt, kleidet sich Söder jetzt seriös dunkel. Staatstragend auch seine Auftritte - als würde er in den nächsten Minuten persönlich den nächsten Rettungsscheck für Griechenland unterschreiben.

Mit offenem Hemdkragen - wie manchmal in seiner Zeit als Umweltminister - bekommt man Söder nur noch selten zu Gesicht. Mitunter schlägt der alte Söder aber noch durch: Dann sieht man den Minister im Landtag auf seinem Stuhl rumlümmeln. Söder ist ein politisches Chamäleon. Er kann sich in Minutenschnelle seiner Umgebung anpassen. Eine Gabe - sagen selbst seine Kritiker.

Söder will nicht als Provinzpolitiker wahrgenommen werden. Er tingelt als Gesprächspartner durch die überregionalen Medien. Wenn die Presse von sich aus mal kein Interesse hat, hilft Söders Team gerne auch mal mit Thesenpapieren nach, die schnell formuliert sind und Journalisten gesteckt werden. Wer sich das gefallen lässt, dem diktieren Söders Leute noch die Spielregeln. So sorgen sie für ein ständiges Grundrauschen.

Jemand, der einen guten Einblick ins Innenleben hat, sagt: "Söder schneidet das Haus ganz auf sich zu. Es geht nicht mehr darum, was ist wichtig für das Land. Söders Leute denken, was ist wichtig für meinen Minister."

Söder führe das Haus politischer und effizienter, sagen Vertraute. "Er geht nicht bis in den letzten Spiegelstrich runter." Für eine ganze Reihe von Mitarbeitern im Finanzministerium, die das nicht gewohnt sind, ist das frustrierend. Am Ende zähle nur die Botschaft. Oder die Schlagzeile. Umgekehrt ist im Umweltministerium der Post-Söder-Zeit nach drei Jahren Daueralarm einmal wohltuende Ruhe eingekehrt.

Georg Winter, Vorsitzender im Haushaltsausschuss des Landtags, staunt über das neue Tempo unter Söder. "Alles muss bei ihm ganz schnell gehen. Söder sieht sofort, worauf es ankommt."

Ob kommunaler Finanzausgleich, Haushaltsklausur oder EU-Beihilfeverfahren der Landesbank, diese komplexen Sachverhalte kamen gleich in den ersten Wochen auf Söder zu. "Er war in allen Themen sofort drin", sagt der CSU-Politiker Winter. Söder unterlaufen auch nicht solche Fehler wie Fahrenschon, der einmal mit falschen Zahlen zur Haushaltsklausur fuhr.

Kampf gegen die Modernisierung der Mainzelmännchen

Auffallen, das ist für den neuen Finanzminister von Anfang an wichtig. Ende November verkündete er, dass sich der Freistaat die Milliarden, die er zur Rettung der Landesbank 2008 hatte aufbringen müssen, zum Teil von den Sparkassen zurückholen werde. Vorgänger Fahrenschon hatte die Sparkassen geschont.

Söder änderte den Kurs. Er tat das ausgerechnet an dem Tag, an dem in Berlin die Sparkassenfunktionäre Fahrenschon zu ihrem neuen Präsidenten wählten. Das beförderte noch den Anschein, Fahrenschon habe seine Karriere mehr im Blick gehabt als die Interessen des Freistaates. Söder und Fahrenschon verstanden sich früher gut. Sie waren Gefährten. Aber an diesem Tag nahm Söder keine Rücksicht. Auch das gehört zum System Söder.

Söder braucht den großen Knalleffekt. Wahrscheinlich steckt das noch aus seiner Zeit als CSU-Generalsekretär in ihm. Den Streit um den Finanzausgleich hat er angeheizt - wenn Bayern nicht rasch von seiner Zahlungspflicht entlastet werde, dann werde Bayern die Überweisungen "einfrieren".

Wenn er droht, hört sich das so an: "Es gibt genau noch eine Runde des Redens - und dann wird geklagt." Großmäulig nennen manche in der CSU-Spitze Söder. SPD-Haushaltspolitiker Volkmar Halbleib aus dem Landtag spricht es aus: "Söder ist offensiver, plakativer und populistischer."

Seehofer lässt Söder machen. Der Franke war nicht seine erste Wahl für diesen Posten. Aber er hatte auch nach tagelanger Suche niemanden vom Fach gefunden. Dann musste seine Allzweckwaffe ran: Söder. Seehofer will "Kämpfer" in der Politik, "keine Kneifer". Und was große Ankündigungen angeht, macht niemand Seehofer etwas vor, auch nicht Söder. Den Plan, bis 2030 alle Schulden zu tilgen, hatte sich Seehofer einfallen lassen. Söder muss ihn umsetzen.

Ihm konnte dennoch nichts Besseres passieren als der Wechsel ins Finanzministerium. Wenn einmal Seehofers Erbe verteilt wird, dann kann ihn keiner übergehen. Söder ist in der Partei nicht sonderlich beliebt, das war er noch nie - auch zu Zeiten, als er noch den JU-Hallodri gab und die Modernisierung der Mainzelmännchen bekämpfte.

Aber er ist ein ausgeprägter Machtmensch, ein so gewiefter wie eiskalter Taktiker in eigener Sache. Er ist kein Guttenberg-Typ, den die Leute anhimmeln. Ihm wird nichts geschenkt. Söder muss sich Anerkennung hart erarbeiten. Und immer mehr Leute in der Partei respektieren ihn.

Söder führt nun eines der wichtigsten Ministerien. Er sitzt überall mit am Tisch, wenn es ums Geld geht. Er hat den Überflieger Karl-Theodor zu Guttenberg an sich vorbeiziehen und dann abstürzen gesehen, Konkurrentin Christine Haderthauer, die gerne Finanzministerin geworden wäre, hat er ausgestochen. Fahrenschon sucht andernorts sein Glück. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner ist weit weg. Und Söder ist im Vorzimmer der Macht angelangt - nur noch eine Tür, dann hat er es geschafft.

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