Volksentscheid in Bayern:Jetzt regieren die Bürger

Lesezeit: 2 min

Das, was die CSU in Bayern treibt, ist schlicht Arbeitsverweigerung. Mit dem Volksentscheid zum Rauchverbot können die Bürger nun direkt in die Politik eingreifen - völlig ohne Fraktionsdisziplin.

Annette Ramelsberger

Die Menschen im Freistaat Bayern haben am Sonntag die Chance, sehr persönlich in die Politik einzugreifen. Bei der Bundespräsidentenwahl war das noch anders, da wurden die Bürger von Wahlmännern und -frauen vertreten, bei denen viele nicht das Gefühl hatten, dass die mit großer innerer Freiheit abstimmten. Hier aber können die Bürger nun selbst entscheiden.

Rauchverbot in Bayern
:Showdown im Wahllokal

Nun sollen die Bayern selbst den Schlusspunkt unter einen jahrelangen Streit setzen: Am Sonntag findet der Volksentscheid zum Nichtraucherschutz statt - doch viele Bürger wissen gar nicht, worum es genau geht. Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Keine Fraktionsdisziplin bindet sie, keine Parteipräferenz steht ihnen im Weg. Mit dem Volksentscheid über den Nichtraucherschutz haben die Bürger in Bayern jene Möglichkeit, die sie am Mittwoch bei der Wahl in Berlin so vermisst haben - direkt und unverstellt ihren Willen durchzusetzen. Die Bayern können den Politikern am Sonntag vormachen, wie das funktioniert mit den eindeutigen Entscheidungen, die sie immer von der Politik fordern.

Die Wähler zwischen Bamberg und Berchtesgaden müssen am Sonntag nur mit "Ja" oder "Nein" stimmen - "Ja" zu einem Rauchverbot, das nicht nur in Restaurants gilt, sondern auch in Bierzelten, Eckkneipen und sogar in den Nebenzimmern von Diskotheken. Oder "Nein" zu dieser Verschärfung des Gesetzes, so dass die Raucher weiter ihre Ausnahmen genießen können. Das ist nur auf den ersten Blick eine Frage der Gesundheit und des Jugendschutzes. Auf den zweiten Blick ist es viel mehr. Die Bürger ersetzen mit dem Volksentscheid, den sie in großer Zahl erzwungen haben, ihre Regierung - aus dem einfachen Grund, weil die sich bis heute weigert zu regieren.

Seit Jahren stümpert die bayerische Staatsregierung beim Nichtraucherschutz herum. 2007, noch unter Edmund Stoiber, beschloss man bereits den Schutz vor Qualm - mit Ausnahmen. Schon damals murrte die Basis. 2008 dann goss die CSU ihre Politik in ein strenges Nichtraucherschutz-Gesetz - ohne Ausnahmen. Nur um zu erleben, dass sich keiner daran hielt. Die CSU, die sonst so sehr auf die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung Wert legt, ließ es geschehen. Als die CSU dann 2008 die absolute Mehrheit verlor, schwenkte sie um - und ließ die alten Ausnahmen wieder zu. In der Realität ist es nun so, dass fast überall geraucht wird: in den zu Privatclubs umbenannten Kneipen, in Volksfestzelten und auf den Bürgersteigen vor allen sonstigen Lokalen.

Das Hin und Her je nach Opportunität brachte viele Bürger schließlich so sehr auf, dass sie sich in großer Zahl dem Volksbegehren der kleinen ÖDP anschlossen, die ein klares, eindeutiges Rauchverbot fordert. Diese Bürger wollten nun endlich eine konsistente Politik erzwingen, zu der die CSU nach ihrem historischen Fall nicht fähig ist - zumal der Koalitionspartner FDP klar gegen eine Verschärfung des Rauchverbots ist. Selbst Gesundheitsminister Markus Söder, sonst wahrlich nicht auf den Mund gefallen, hat sich einen Maulkorb verpasst. Und Ministerpräsident Horst Seehofer, früher Bundesgesundheitsminister, redet sich aus der Verantwortung: Nun müsse der Souverän entscheiden. Was die Herren hier betreiben, ist schlicht Arbeitsverweigerung. Und die Bürger setzen nun durch, dass wieder gearbeitet wird - so oder so.

Der Bayer ist für seine anarchischen Züge bekannt. Er setzt sie gern gegen die CSU ein. Ob das am Sonntag auch so sein wird, ist ungewiss. Viele Bayern sehen sich als tolerant und liberal, sie schätzen das "Leben und Leben lassen". Der Tabak- und Wirtelobby ist es gelungen, ihnen das Gefühl einzuflößen, sie seien verknöcherte, lustfeindliche Spießer - dann nämlich, wenn sie sich im Bierzelt nicht einnebeln lassen und ihren Drink gern in einer Bar ohne Rauch genießen wollen. Das Volksbegehren, das diesen Volksentscheid erzwungen hat, war sehr erfolgreich. Das bedeutet noch nichts für den eigentlichen Entscheid. Hier zählt die einfache Mehrheit. Wer die meisten Stimmen hat, siegt. Es kommt darauf an, wer besser mobilisiert: die, die leben, oder die, die rauchen wollen.

© SZ vom 03.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Chronologie des Rauchverbots
:Durchatmen und aussitzen

Der lange Weg zum totalen Rauchverbot - und zurück: Wie die CSU in Bayern das strikteste Verbot durchsetzt, nach Wahlschlappen zurückrudert und schließlich das Volk abstimmen lässt - eine Chronologie in Bildern.

K. Haimerl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: