Versammlungsgesetz gekippt:Nachhilfestunde in Demokratie

Das Bundesverfassungsgericht erteilt der CSU eine Lektion und kippt das höchst umstrittene Versammlungsgesetz. Ein Sieg für die Demokratie: Das Gesetz war ein Aberwitz.

H. Prantl

Das Bayerische Versammlungsgesetz ist ein Versammlungsverhinderungsgesetz. Diesem Gesetz sind Demonstrationen suspekt.

Polizei, Versammlung, ddp

Demonstration als Gelegenheit zur Erfassung potentieller Täter: ein Polizist mit Videokamer bei einer Versammlung am Münchner Marienplatz.

(Foto: Foto: ddp)

Dieses Gesetz beäugt misstrauisch jeden, der daran teilnimmt. Jeder, der protestiert, ist diesem Gesetz potentiell verdächtig. Deshalb erlaubt dieses Gesetz der Polizei, von jeder Versammlung "Übersichtsaufnahmen" anzufertigen und die per Video oder sonstwie gewonnenen Daten von jeder Einzelperson auszuwerten und unter Umständen sogar unbegrenzt zu speichern.

Dieses Gesetz betrachtet also eine Demonstration nicht als Ort der Meinungskundgabe, sondern als Gelegenheit zur Erfassung potentieller Täter. Es handelt sich um eine Hinterlassenschaft, um einen finalen gesetzgeberischen Akt der Regierung Beckstein, der letzten Alleinregierung der CSU.

Der FDP ist es bei den Koalitionsverhandlungen mit der CSU nicht gelungen, die Aufhebung dieses Gesetzes zu erzwingen. Nun tut dies das Bundesverfassungsgericht. Es hat wesentliche Teile des Gesetzes in einer Eilentscheidung aufgehoben (was in einer Eilentscheidung höchst selten geschieht).

Aber für die höchsten deutschen Richter war es evident, dass wesentliche Teile des bayerischen Gesetzes sich mit der vom Grundgesetz verbürgten Versammlungsfreiheit nicht vertragen: Die Verfassungsrichter halten das Gesetz für einschüchternd, für unbestimmt und vage; es sei nicht versammlungsfreundlich, sondern allenfalls behördenfreundlich. Schon die Anmeldung einer Versammlung ist nach diesem Gesetz ein gewaltiger bürokratischer Akt.

Die Pflicht zur Angabe von Ort, Zeit und Thema einer Versammlung sowie zur Bekanntgabe des Namens des Veranstalters besteht nach dem monierten Gesetz bei jeder Versammlung ab zwei (!) Personen, unabhängig davon also, ob sie groß oder klein ist, ob sie draußen oder drinnen, geplant oder ungeplant stattfindet. Die Pflicht kann nach dem Gesetzeswortlaut womöglich schon für einen politischen Stammtisch oder eine spontane Verabredung bestehen - und wer die Pflicht verletzt, muss Bußgeld zahlen. Das Gesetz ist ein gesetzlicher Aberwitz.

Das Bundesverfassungsgericht erteilt daher der CSU, die dieses Gesetz zu verantworten hat, eine Nachhilfestunde in Demokratie: Dieses Gesetz, so die Karlsruher Richter, verbindet die Wahrnehmung eines Grundrechts mit unkalkulierbaren Risiken. Es verhindert damit, dass der Bürger ein Kommunikationsgrundrecht, das für das Funktionieren der Demokratie elementar ist, unbefangen gebrauchen kann.

Auch die Politiker außerhalb Bayerns sollten die Entscheidung sorgfältig lesen: Sie gilt auch für die Einschränkung anderer Kommunikationsgrundrechte, also etwas für das Fernmeldegeheimnis. Die Karlsruher Entscheidung ist auch eine Warnung an den Gesetzgeber der anderen Bundesländer: Die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht ist nämlich mit der Föderalismusreform vom Bund auf die Länder übergegangen.

Aus der Begründung der Eilentscheidung folgt, dass in der Hauptsache-Entscheidung vom Gesetz kaum mehr etwas übrig bleiben wird. Das höchste Gericht hat in seiner Eilentscheidung nur deshalb nicht das ganze Gesetz aufgehoben, weil sonst in Bayen ab sofort überhaupt keine Regeln für Versammlungen vorhanden wären.

Aber: Ein wesentlicher Teil der Bußgeldvorschriften des Gesetzes ist aufgehoben worden. Es geht nämlich nicht, sagt das Bundesverfassunsgericht, dass an die Verletzung vager Vorschriften harte Strafen geknüpft werden. Zum Beispiel: Wann verstößt man gegen die bayerische Gesetzespflicht, an einer Versammlung nicht in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung ein "einschüchterndes Erscheinungsbild" erhält? So verquollene Formeln wollte das Bundesverfassungsgericht nicht akzeptieren.

Dem bayerischen Gesetzgeber ist eine schwere Rüge erteilt worden. Eine stattliche bayerische Phalanx von 13 Parteien und Organisationen hat in Karlsruhe geklagt: SPD, Grüne, FDP und Linke, Attac, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Gewerkschaft Verdi, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Bund Naturschutz in Bayern, der Bayerische Journalistenverband, die Humanistische Union und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.

Diese Phalanx hat einen Sieg für die demokratische Kultur errungen. Es war ein Sieg in einem einstweiligen Verfahren. Der Sieg in der Hauptsache wird folgen. Die Regierung des Ministerpräsidenten Horst Seehofer sollte schon vor der Karlsruher Entscheidung in der Hauptsache aus dem verfassungswidrigen bayerischen Versammlungsgesetz ein verfassungsgemäßes machen.

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