Verkehr:Mit dem Lkw ungebremst in den Stau

Verkehrsunfall auf A 6

Zu spät gebremst: Vier Menschen kamen im Mai ums Leben, als ihr Auto auf der Autobahn A 6 bei Nürnberg zwischen zwei Lkw zerquetscht wurde.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Immer wieder verursachen übermüdete Fernfahrer tödliche Unfälle auf den Autobahnen.
  • Die Statistik zeigt, dass die Zahl der Lkw-Unfälle in Bayern zugenommen hat.
  • Inzwischen gibt es auch technische Lösungen wie Notbrems- und Spurhalteassistenten, um tödliche Unfälle zu verhindern.

Es war am Samstag um vier Uhr morgens, als auf der Autobahn A 3 bei Altdorf ein Lastwagen ins Stauende raste. Wieder einmal. Drei Urlauber aus Frankreich starben, eine vierköpfige Familie aus Rheinland-Pfalz wurde schwer verletzt. Inzwischen passieren solch schreckliche Unglücke auf Bayerns Autobahnen regelmäßig: Übermüdete Fernfahrer übersehen, dass vor ihnen der Verkehr steht. Von ihren tonnenschweren Lastwagen werden kleinere Autos regelrecht zermalmt. Erst im Mai waren in der Nähe von Nürnberg drei Kinder und ihre Mutter bei einem ähnlichen Unfall getötet worden.

Franz Xaver Winklhofer war selbst 33 Jahre lang als Fernfahrer tätig. Er weiß, wie das ist, wenn man in den frühen Morgenstunden hinterm Steuer sitzen muss. "Das ist eine gefährliche Uhrzeit. Das habe ich selbst als aktiver Fahrer erlebt", sagt er. Winklhofer ist bayerischer Landesvorsitzender und Vize-Bundesvorsitzender der Kraftfahrergewerkschaft (KFG). Die vielen tödlichen Unfälle, in die Lastwagen verwickelt sind, machen ihn wütend: "So kann es einfach nicht weitergehen", sagt er.

Die Statistik zeigt, dass die Zahl der Lkw-Unfälle im Freistaat zugenommen hat. Laut Innenministerium stieg sie im vergangenen Jahr um 3,6 Prozent auf insgesamt 17 524. Dabei kamen 146 Menschen ums Leben, 5859 trugen Verletzungen davon. In den überwiegenden Fällen hatten die Lkw-Fahrer die folgenschweren Karambolagen verursacht. "Die häufigste Ursache für schwere Unfälle ist dabei ungenügender Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug", antwortete das bayerische Innenministerium auf eine Anfrage des CSU-Abgeordneten Joachim Unterländer. Bei gleich 20 Prozent der Unfälle mit Personenschaden sei dies die Unfallursache gewesen. "Danach folgten Missachtungen der Vorfahrt und Fehler beim Abbiegen", so das Ministerium.

Der Notbremsassistent soll schlimme Unfälle verhindern

Für Winklhofer lassen sich die Unfallursachen auf wenige Begriffe reduzieren: "Überforderung, Übermüdung der Fahrer, permanenter Druck". Das Innenministerium will das Rast- und Leitsystem für Lkw-Fahrer ausweiten. Es soll mehr Rastplätze geben und öfter die Information, wann der nächste freie Rastplatz kommt. Auch die Kontrollen von Ruhezeiten will das Ministerium verstärken und neben mobilen auch stationäre Kontrollstellen einrichten. "Aber Kontrollen alleine genügen nicht", sagt Winklhofer. Die Fahrer seien immer das schwächste Glied in der Kette. Auch die Transportunternehmen müssten endlich in die Pflicht genommen werden, denn sie setzten ihre Fahrer unter Druck.

Doch es gibt inzwischen auch technische Lösungen, um tödliche Unfälle wie am Samstag zu verhindern. Lastwagenhersteller tüfteln schon seit Jahren an Notbrems- und Spurhalteassistenten oder Abstandstempomaten. Der Notbremsassistent ist sogar seit dem 1. November 2015 Pflicht für alle neuen Lkw. "Die Idee dabei ist, so schlimme Auffahrunfälle wie am Wochenende möglichst zu verhindern", sagt ein Sprecher des Nutzfahrzeugherstellers MAN. "Zumindest aber sollen die Folgen minimiert werden." Das System, das auf einem Radarsensor in der Fahrzeugfront und einer Kamera in der Frontscheibe basiert, warnt den Fahrer zunächst akustisch, wenn dieser einen bestimmten Abstand zum Stauende oder einem stehenden Hindernis unterschreitet.

Verkehrskontrollen laufen nicht optimal

Reagiert der Fahrer nicht, kommt eine optische Warnung hinzu. Und im Ernstfall leitet der Computer selbstständig eine Notbremsung ein - "und zwar idealerweise bis zum Stillstand des Lkw vor dem Hindernis", wie der MAN-Sprecher sagt. "Dazu müssen freilich die Randbedingungen passen, wenn die Fahrbahn nass ist, kann das die Notbremsung beeinträchtigen." Doch längst nicht alle Lastkraftwagen verfügen über die neue Technik. Und in jenen Fahrzeugen, in denen sie eingebaut ist, wird sie offenbar häufig abgeschaltet. Winklhofer sagt: "Es gibt Gerüchte, dass manche Fahrer diese Geräte ausschalten, weil sie dann nicht mehr so zum Überholen ansetzen können, wie sie sich das vorstellen."

Aber auch bei den Verkehrskontrollen läuft es nicht optimal, wie Peter Schall als Landeschef der Gewerkschaft der Polizei sagt: "Die Lkw-Kontrollquote ist runtergegangen, weil viele Kollegen derzeit verstärkt an Bayerns Grenzen aktiv sind." Hinzu komme die Terrorgefahr, die aktuell den Fokus der Polizeiaufgaben verändere. Dass Schall richtig liegt, beweist ein Blick in die Statistik: Demnach nahm 2015 die Zahl der Bußgeldbescheide bei Gefahrengut-Transporten um fast 44 Prozent ab, bei anderen Lkw-Transporten immerhin um 30 Prozent. "Ich glaube nun nicht, dass unsere Berufsfahrer innerhalb eines Jahres so geläutert worden sind", sagt Schall.

Spediteur Georg Wittwer aus Eschenlohe, dessen 150 Sattelzüge in ganz Europa unterwegs sind, findet eine Pflicht für Notbremssysteme auch sehr sinnvoll. Es gibt aus seiner Sicht nur ein Problem: Bei Testfahrten hat sich gezeigt, dass seine Fahrer das System immer ausschalten, weil es sie stört. Finanziell sei die neue Technik aber realisierbar. Insgesamt 2000 Euro pro Fahrzeug kostet sie ihn. Auf eine Laufzeit von vier Jahren umgerechnet wären das 40 Euro im Monat.

Autofahrer können sich vor einem auffahrenden Lkw kaum schützen. Andreas Hölzel vom ADAC rät, den Warnblinker frühzeitig anzuschalten und langsam zu fahren. Zum Vordermann solle man Abstand halten und den Verkehr im Rückspiegel beobachten. Wenn dann ein Lkw oder auch ein anderes Auto mit hohem Tempo angefahren kommt, kann man auf die Standspur ausweichen - was aber nicht funktioniert, wenn man selbst nur kurz vor der Stoßstange des Vordermanns angehalten hat.

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