Prozess um Vergewaltigung in Augsburg:Freispruch - aus Mangel an Beweisen

Eine Frau soll ihre eigene Tochter an einen Vergewaltiger verkauft haben. Vor dem Amtsgericht Augsburg wird die 50-Jährige mehrmals der Lüge überführt - und am Ende freigesprochen. Doch der Richter hat am Ende kein gutes Gefühl bei seinem Urteil.

Stefan Mayr, Augsburg

Die Mutter riss die Kinderzimmertüre auf, wo ihre 14-jährige Tochter saß. "Es wird jetzt Zeit, dass du auch mal ein bisschen Geld verdienst", sagte sie und schloss die Tür. Dann ließ sie zu, dass der Mann ihre Tochter vergewaltigt.

Dieses Szenario soll sich vor elf Jahren in einer Augsburger Wohnung abgespielt haben, das behauptet zumindest die heute 25-jährige Tochter. "Alles erstunken und erlogen", beteuert dagegen die Mutter.

Zwei Tage lang hat sich das Amtsgericht Augsburg mit den Zuständen in der Familie der alkoholkranken Mutter beschäftigt. Am Freitag sprach Richter Hartmut Wätzel die 50-jährige Frau frei. Im nächsten Atemzug betonte er allerdings, er könne sich durchaus vorstellen, "dass sich das so abgespielt haben könnte." Nur die Beweislage reichte nicht aus, um die Mutter verurteilen zu können.

Hat die Mutter ihre Tochter an den Freier verkauft, um ihre Alkoholsucht zu finanzieren? Oder wollte die inzwischen erwachsene Tochter sich rächen, weil sie von ihrer Mutter Jahre lang vernachlässigt worden war? Diese Fragen musste das Gericht klären. Es entschied am Ende nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten".

Polizei und Staatsanwaltschaft erachteten die Tochter, die im Prozess als Nebenklägerin auftrat, als glaubwürdig. Allerdings kam die psychologische Gutachterin zu dem Ergebnis, dass eine Lüge nicht ausgeschlossen werden könne. Sie begründete dies mit der Tatsache, dass die Schilderung über die Tat nur sehr oberflächlich war. Tatsächlich konnte die Zeugin nicht beschreiben, wie ihr Peiniger ausgesehen hat. Weil sie das Geschehen nach elf Jahren verdrängt hat - oder weil sie es sich nur ausgedacht hat?

Staatsanwältin Eva-Maria Kraus äußerte sich trotz des Gutachtens "überzeugt" davon, dass der Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Tochter stattgefunden hat. "Die Geschädigte leidet bis heute unter posttraumatischen Belastungsstörungen", so die Staatsanwältin. "Es ist eine Riesensauerei, dass die Angeklagte ihre Tochter benutzte, um ihren Geldbeutel aufzubessern", sagte sie und forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die Anklage lautete auf Mittäterschaft bei einer Vergewaltigung, Verletzung der Fürsorgepflicht und Misshandlung Schutzbefohlener.

"Der Aussage der Tochter fehlt es an Substanz"

Die Vertreterin der Nebenklägerin widersprach den Aussagen der Gutachterin entschieden: "Die Tochter hat keinerlei Belastungseifer gezeigt und hat ihre Mutter auch nicht angezeigt. Selbst als ihr Vater und ihr Freund ihr nahelegten, zur Polizei zu gehen, habe sie davon zunächst nichts wissen wollen.

Die Mutter dagegen hatte anfangs vor Gericht geleugnet, dass sie alkoholkrank war, dass sie wechselnde Männerbekanntschaften hatte und dass das Jugendamt bereits interveniert hatte. Erst als die Beweislage eindeutig war, räumte sie all das ein.

Ihr Verteidiger bezweifelte die Glaubwürdigkeit der Tochter, weil sie "psychisch labil" sei und wegen Betrugs in Haft sitze. Er forderte einen Freispruch seiner Mandantin, die zuvor sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte. Diesem Antrag folgte der Richter mit sichtlichem Unbehagen. Er betonte, dass die Mutter ihre Tochter "sichtlich verwahrlosen" ließ, und "die zahlreichen Männerbekanntschaften" seien "ein und aus gegangen".

Angesichts der Alkoholsucht der Angeklagten sei eine Vergewaltigung "durchaus denkbar". Andererseits gab der Richter zu bedenken: "Der Aussage der Tochter fehlt es an Substanz." Deshalb sei es auch denkbar, dass sie sich alles ausgedacht habe.

Wer der mutmaßliche Vergewaltiger war, konnte bis heute nicht festgestellt werden. Die Nebenklage-Vertreterin kündigte noch im Gerichtssaal an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.

Anmerkung der Redaktion: In seiner ursprünglichen Fassung enthielt dieser Beitrag ein Foto aus dem Gerichtssaal, auf dem die freigesprochene Frau elektronisch unkenntlich gemacht worden ist. Der Deutsche Presserat missbilligt die Veröffentlichung des Fotos, weil die abgebildete Person nach seiner Auffassung unzureichend anonymisiert worden war und weiterhin identifizierbar sei. Süddeutsche.de ist nicht verpflichtet diese Missbilligung zu veröffentlichen. Im Sinne einer fairen Berichterstattung hat sich die Chefredaktion aber entschieden, auf die Entscheidung des Presserats hinzuweisen.

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