Verfassungsschutzbericht:Großer Zulauf für Extremisten in Bayern

Herrmann stellt Verfassungsschutzbericht vor

Waren es im Mai 2013 noch 50 aus Deutschland ausgereiste Islamisten, so zählte man im vergangenen Dezember bereits 780, teilte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit.

(Foto: dpa)
  • Allein aus Bayern seien derzeit mehr als 80 Personen nach Syrien oder Irak gereist oder planten, dies zu tun, teilte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit.
  • Aber nicht nur der islamistische Terror stelle eine wachsende Gefahr dar, auch im Rechts- und Linksextremismus haben die Zahlen deutlich zugenommen.
  • Mit mehr als 60 Taten im vergangenen Jahr hätten sich die Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte in Bayern nahezu verdreifacht.

Von Florian Stocker und Wolfgang Wittl

Sollte jemand daran gezweifelt haben, dass der internationale Terror in zunehmendem Maß auch bayerische Sicherheitsbehörden beschäftigt, den kann der Innenminister auf die Grafik "Islamistischer Extremismus und Terrorismus" verweisen. Wie die Stufen einer Treppe schrauben sich schwarze Balken in die Höhe, Monat für Monat ein Stückchen mehr.

Waren es im Mai 2013 noch 50 aus Deutschland ausgereiste Islamisten, so zählte man im vergangenen Dezember bereits 780. Allein aus Bayern seien derzeit mehr als 80 Personen nach Syrien oder Irak gereist oder planten, dies zu tun, teilte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit. Doch das war am Montag nicht seine einzige Sorge.

Von einer grundsätzlich "besorgniserregenden Entwicklung" sprach Herrmann bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes. Denn nicht nur der islamistische Terror stelle eine wachsende Gefahr dar, auch im Rechts- und Linksextremismus haben die Zahlen deutlich zugenommen.

Mit mehr als 60 Taten im vergangenen Jahr hätten sich die Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte in Bayern nahezu verdreifacht. "Wir erleben eine Zunahme von rechtsextremistischen Gewalttätern in unserer Gesellschaft insgesamt, und speziell gegen Flüchtlinge und gegen Muslime", sagte Herrmann. Die Täter werde "die volle Härte des Rechtsstaats treffen".

Der Flüchtlingsstrom werde von islamistischen Terroristen missbraucht

Ob Gefahren von links, von rechts oder religiös motiviert: Vieles hängt mit vielem zusammen. Es sei offenkundig, dass die rechtsextreme Szene versuche, Flüchtlinge pauschal als Kriminelle oder Terroristen zu diskriminieren, sagte Herrmann. Davon könne aber keine Rede sein. Nicht die Flüchtlinge würden zu Terroristen.

Vielmehr werde der Flüchtlingsstrom von islamistischen Terroristen missbraucht, um gezielt IS-Kämpfer ins Land zu schleusen. Daher werde er trotz sinkender Flüchtlingszahlen weiter auf strikten Grenzkontrollen beharren, kündigte Herrmann an. Es bestehe aber nicht der geringste Anlass, Flüchtlinge als Terroristen zu brandmarken.

Wie sich bei den Anschlägen von Brüssel und Paris herausstellte, wird Bayern von Terroristen als Transitland genutzt. Für Herrmann beginnt der Schutz Bayerns bereits in Europa: Die EU-Außengrenzen müssten besser kontrolliert, Sicherheitsbehörden besser vernetzt werden. Hinweise, dass die durchgereisten Attentäter mit der islamistischen Szene in Bayern vernetzt gewesen seien, gebe es nicht.

Ohnehin sind die meisten Anzeigen gegen angeblich dschihadistische Terroristen mit Vorsicht zu genießen. Lediglich "im unteren einstelligen Bereich" würden sie zutreffen. Meist handele es sich um Falschanzeigen, sagte der bayerische Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner.

Vier Ableger von Pegida stehen unter Beobachtung bayerischer Verfassungsschützer

Die Zahl linksextremistischer Straftaten hat sich in einem Jahr von 50 (2014) auf 122 (2015) sogar mehr als verdoppelt. Der Anstieg habe nur in geringem Maß mit dem G-7-Gipfel in Garmisch-Partenkirchen zu tun, sagte Herrmann. Stattdessen konzentrierten sich die Angriffe auf Veranstaltungen des rechten und islamfeindlichen Spektrums. Vier Ableger von Pegida, etwa in München und Nürnberg, stehen seit Ende vergangenen Jahres unter Beobachtung bayerischer Verfassungsschützer.

Bei der AfD sieht Herrmann keinen Anlass, sie als rechtsextremistisch einzustufen. Es könne umgekehrt allerdings vorkommen, dass rechtsextreme Personen, die in Kreisen der AfD unterwegs seien, beobachtet würden. Deutlich wurde, dass sich die Partei im Grenzbereich bewegt.

So sei der niederbayerische AfD-Bezirksverband durch islamfeindliche Positionen aufgefallen, die jenen von "Die Freiheit" nahekämen - einer dem Verfassungsschutz einschlägig bekannten Partei, wie Körner sagte. Da sich die Spitze der AfD davon distanziert habe, könne man aber nur Einzelpersonen beobachten. Im Vergleich zu anderen Ländern sei dies in Bayern möglich.

"Alle Extremisten haben eines gemeinsam", sagte Herrmann: "Sie wollen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zerstören." Deshalb werde der Verfassungsschutz dieses Jahr 97 zusätzliche Stellen bekommen, ein Plus von 22 Prozent. Gut 60 Stellen seien im Asylbereich für die Bekämpfung von Rechtsextremismus vorgesehen, 20 Stellen beim Islamismus.

Opposition fordert mehr Geld für Prävention

Grünen und SPD reichen die Maßnahmen nicht aus. Die Zahlen im Verfassungsschutzbericht zeigten "ein hausgemachtes Unvermögen" der CSU "bei der Eindämmung rechter Gewalt", sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Katharina Schulze. Sie verlangt nicht nur einen erhöhten Fahndungsdruck, sondern mehr Geld für Prävention und zivile Einrichtungen.

Auch Florian Ritter (SPD) fordert breiter angelegte Lösungswege. Die reine Orientierung an organisatorischen Unterscheidungsmerkmalen reiche nicht mehr aus, "Rassismus ist kein Alleinstellungsmerkmal von Rechtsradikalen". Es sei höchste Zeit, "dass man die Ideologie selber zum Arbeitsschwerpunkt macht".

Auch Fachleute nehmen verstärkt ausländerfeindliche Tendenzen wahr, wie etwa die Verrohung der Sprache im Internet zeige. Dafür reiche ein Blick auf die täglichen Polizeimeldungen ebenso wie in den Verfassungsschutzbericht, heißt es.

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