Islamismus:Verfassungsschutz sorgt sich um jugendliche Flüchtlinge

Was die Gesellschaft tun kann, damit unbegleitete Minderjährige nicht Salafisten in die Hände fallen.

Von Katja Riedel

Die vergangenen Tage stellen alle Bereiche der Gesellschaft vor besondere Herausforderungen - auch die Sicherheitsbehörden. Für sie ist es eine überaus ungewohnte Erfahrung: Zahlreiche Menschen kamen täglich über das Münchner Drehkreuz ins Land, viele von ihnen konnten aus Kapazitätsgründen innerhalb Deutschlands weiterreisen, ohne ihre Identität preiszugeben, unter den Augen und mit dem stillen Einverständnis staatlicher Behörden. Diese neue Normalität ist für Geheimdienste und die Staatsschutzabteilungen der Polizei eine gänzlich fremde Erfahrung. Ihre Aufgabe ist es, den Überblick zu behalten, wer sich im Land aufhält, nur so können sie identifizieren, ob Personen darunter sind, die potenziell gefährlich sind.

"Wir haben derzeit keinerlei belastbare Erkenntnisse, dass Terroristen eingeschleust werden", sagt Markus Schäfert, Sprecher des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV). Dennoch bestehe natürlich auch für Terroristen die Möglichkeit, unerkannt und unregistriert in einer großen Menschenmenge nach Deutschland zu gelangen. "Das ist etwas, womit wir kalkulieren müssen. Wir können auch nicht ausschließen, dass es sogenannte Hit-Teams gibt, also Personen, die mit einem Kampfauftrag nach Deutschland kommen. Wir haben allerdings bislang keine konkreten Hinweise darauf."

Dennoch, so sagte es zuletzt auch BND-Chef Gerhard Schindler, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sich Terroristen statt mit gefälschten Dokumenten und dem Flugzeug über den gefährlichen Reiseweg via Balkanroute auf die Reise nach Europa machen. Dass terroristische Vereinigungen wie der Islamische Staat oder al-Qaida die gegenwärtige Situation ausnutzten, strategisch Menschen ins Land zu schleusen, darüber gebe es derzeit keinerlei Erkenntnisse, heißt es im bayerischen LfV. Allerdings könne der Verfassungsschutz auch zu keinem Zeitpunkt ausschließen, dass es einmal einen Anschlag in Deutschland geben könnte.

Die Gefährdungslage? "Abstrakt"

Ob diese Gefahr gestiegen ist? Dazu will in diesen Tagen niemand eine Einschätzung geben. Es sei schlicht zu früh, sagen Ermittler, die Lage sei vollkommen neu. Seit Monaten sprechen alle mit der Thematik befassten Stellen von einer "abstrakten Gefährdungslage" für Anschläge aus dem islamistischen Bereich - auch deshalb, weil es Rückkehrer aus den Kriegsgebieten in Syrien und Irak gibt. Deren Hemmschwelle könnte gesunken sein.

Nicht gegen alle liegen Beweise vor, dass sie sich dort eines Verbrechens schuldig gemacht oder gekämpft haben. Deshalb ist mancher auf freiem Fuß, aber dennoch auf dem Radar. Der Verfassungsschutz versucht, die Szene im Blick zu behalten, im Großraum München sind dies derzeit etwa 200 Personen, etwa doppelt so viele wie vor wenigen Jahren, viele sind sehr jung.

Sorgen machen sich die Verfassungsschützer vor allem um unbegleitete junge Flüchtlinge. "Wir haben Erkenntnisse, dass solche jungen Männer plötzlich im salafistischen Umfeld gelandet sind", sagt LfV-Sprecher Schäfert. Es gebe Personen, die diese im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften gezielt ansprächen. Ähnliches berichteten Verfassungsschützer aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg, mit den Behörden anderer Bundesländer stehe man darum in engem Austausch.

Es sei wichtig, die Willkommenskultur der vergangenen Wochen aufrecht zu erhalten, schließlich arbeiteten salafistische Rekrutierer stark mit der Abgrenzung zwischen Muslimen und der übrigen Gesellschaft. Wer sich angenommen fühle, werde für Extremisten schwer ansprechbar. Bildung und Perspektiven komme auch bei der Extremismusprävention enorme Bedeutung zu, sagt Markus Schäfert.

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