Verfall der Maxhütte:Schichtende

Seine Burgen, Schlösser und Kirchen erhält der Freistaat Bayern, aber mit einem Hüttenwerk tut er sich schwer: Zehn Jahre nach ihrer Schließung verfällt die Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg. Ein einmaliges Monument der Industriegeschichte Bayerns ist in Gefahr.

Sebastian Beck, Sulzbach-Rosenberg

Es ist, als ob man eine Kathedrale betritt. Hinter einem unscheinbaren Tor öffnet sich die Halle des Stahlwerks. Finster. Riesenhaft. Aber vor allem: so still. Irgendwo fliegt eine Taube auf. Ein paar Sonnenstrahlen schneiden von der Decke durchs Dunkel. Die Schritte des Besuchers werden gedämpft vom Staub, der alles überzogen hat: Das Gewirr aus Maschinen und Rohrleitungen, die blinden Fenster der Leitstände, hinter denen Arbeiter einst die monströsen Maschinen steuerten.

Die Zeiger der Wanduhr sind um drei Minuten nach eins stehen geblieben. Auf einem Tisch liegt ein Helm, daneben die Bild: "Hat Boris das verdient?", lautet die Schlagzeile vom 8. August 2002. Sechs Wochen danach war hier alles vorbei.

Bartholomäus Pesold geht manchmal noch durch die Hallen. Er ist gewissermaßen der letzte Maxhütterer. Vor fünfzig Jahren hat er hier angefangen als Dreher, später leitete er die Instandhaltung. Er kann sich noch gut erinnern an die Zeiten, als in den dinosaurierhaften Kesseln der Stahl brodelte, als im 45-Minuten-Takt Gasfackeln über dem Werk in den Himmel schossen, wenn "eine Charge geblasen" wurde, wie es im Stahl-Jargon heißt.

Wie eine Schlagader durchzog glühendes Erz die Maxhütte. Die Belegschaft schuftete in Hitze und Dreck, 5000 waren es auf dem Höhepunkt im Jahr 1965. Nach dem Krieg wurde in der Oberpfalz die Hälfte des bayerischen Eisen- und Stahlbedarfs erzeugt. Eine Industrieinsel im Agrarstaat, eine Festung der Arbeiterbewegung - 149 Jahre lang, bis zum letzten Abstich des Hochofens am 23. September 2002.

Danach war die Maxhütte endgültig pleite - und Pesold wie die übrig gebliebenen 850 Kollegen seinen Job los. "Es hat funktioniert bis zur letzten Schicht", sagt er mit einem Anflug von Stolz.

Pesold kümmert sich jetzt für die neuen Eigentümer um das Werksgelände. Er passt auf, dass keine Teile herabstürzen, denn Regen und Wind setzen den Ruinen zu. Mit seinen ehemaligen Kollegen trifft sich Pesold noch regelmäßig zum Stammtisch. Dann reden sie von den alten Zeiten, vom vergeblichen Kampf um ihre Arbeitsplätze. Wenn er im verlassenen Stahlwerk steht, macht sich bei ihm kurz Wehmut breit. Er winkt ab: "Es ist doch schon zehn Jahre her."

Genau das aber ist das Problem: Seit nunmehr einem Jahrzehnt rottet die Maxhütte vor sich hin. Auf den Dächern wachsen Birken, rostbraun ist der vorherrschende Farbton auf dem 42 Hektar großen Areal hinter dem Hochofen. Eine gewaltige Industriebrache auf ölverseuchtem Boden. Ein Haufen Schrott, ein Schandfleck, wie viele Menschen in der Gegend immer noch finden. Ein Symbol für den Niedergang einer ganzen Region, die mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit zurückblieb.

Ein Schandfleck des Denkmalschutzes

Die Wirtschaft aber hat sich längst erholt, und so macht sich allmählich auch eine andere Betrachtungsweise breit: Die Maxhütte ist ein Monument der Industriekultur, vergleichbar mit der Völklinger Hütte, die inzwischen zum Unesco-Welterbe der Menschheit zählt. Seit 1999 wurden in dem ehemaligen Stahlwerk im Saarland 3,5 Millionen Besucher gezählt. In Sulzbach-Rosenberg dagegen schleichen sie sich nachts auf das Gelände, um Fotos zu machen oder das zu zerstören, was noch übrig ist. Manchmal gibt es auch legale Dreharbeiten: Das Video einer Rammstein-Coverband und andere Filmszenen entstanden hier.

Die Maxhütte ist tatsächlich ein Schandfleck, aber vieles spricht dafür, dass sie vor allem ein Schandfleck des Denkmalschutzes in Bayern ist. Der örtliche CSU-Landtagsabgeordnete Heinz Donhauser fasst zusammen, was ohnehin jeder sehen kann: "Es hat sich zehn Jahre lang nichts getan." Donhauser gehört zu den wenigen Menschen, die nach der Stilllegung den Wert der Anlagen erkannt haben. Dass Burgen, Schlösser und Kirchen erhalten werden müssen, zählt zum Allgemeingut. Aber ein Hochofen aus den fünfziger Jahren? Eine Walzanlage? Ein Stahlwerk? Was soll das?

An Aufsätzen zur Bedeutung der Maxhütte herrscht kein Mangel. Denn als integriertes Hüttenwerk ist es einmalig in Europa. Schon 2003 wurden weite Teile unter Denkmalschutz gestellt: So auch die beiden gut hundert Jahre alten Dampfmaschinen, die bis zuletzt die Walzanlagen angetrieben haben. Die Ölkannen stehen noch daneben, als sei gerade Schichtwechsel gewesen. Pesold empfindet es fast als Beleidigung, wenn er gefragt wird, ob sie noch funktionieren: selbstverständlich.

Nirgendwo sonst ließe sich die Geschichte der Eisen- und Stahlerzeugung so gut studieren wie in der Oberpfalz. Sie ist mindestens so spannend wie die Genealogie der Wittelsbacher oder eine Besichtigung Neuschwansteins. Ohne die Maxhütte würde es in Bayern keine Eisenbahn geben: Die ersten Schienen wurden hier gewalzt.

Das Erz dafür holten Arbeiter aus Minen in der Umgebung, doch als 1987 auch die unrentable Grube Leonie in Auerbach schließen musste, war dies der Anfang vom Ende der Maxhütte. Sie hatte ihre Versorgung mit Rohstoffen verloren. Ein Hochofen in der bayerischen Provinz, fernab von Häfen und Wasserstraßen, war nicht konkurrenzfähig. Daran konnte auch die Übernahme durch den Freilassinger Unternehmer Max Aicher in den neunziger Jahren nichts ändern. Der Aicher-Gruppe gehören bis heute das benachbarte Rohrwerk - und die Hinterlassenschaft der Maxhütte.

Schweigsamkeit, die einen Grund hat

Aichers Interesse am Erhalt der denkmalgeschützten Bauten scheint nicht gerade groß zu sein: Teile des Inventars wurden mit Genehmigung der Stadt bereits abgerissen oder ausgebaut. 2010 wurde ein Antrag auf Abbruch des Stahlwerks gestellt, dann aber wieder zurückgezogen. Von der Stranggussanlage sind nur noch die Fundamente übrig geblieben. Ein letzter Bloom - so heißen die Stahlblöcke, die hier gegossen wurden - liegt wie ein Findling in der Halle.

Die Chance, die Stahlerzeugung lückenlos zu dokumentieren, ist vertan: "Das ist ein Drama", sagen Denkmalschützer. Sie äußern sich, wenn überhaupt, nur anonym zu den Vorgängen. Aicher lehnt jede Stellungnahme ab. Die Stadt Sulzbach-Rosenberg gibt erst nach wiederholter Nachfrage Auskunft. Die Schweigsamkeit hat einen Grund: Um wenigstens die Reste der Maxhütte zu erhalten, sind Millionenbeträge erforderlich. Doch wer soll sie aufbringen?

Der Eigentümer Aicher, so heißt es, sehe sich damit finanziell überfordert. Die Stadt Sulzbach-Rosenberg hat zwar die Planungshoheit, ist aber hoch verschuldet. Richard Reisinger, der Landrat des Landkreises Amberg-Sulzbach, verweist auf die Mittel, die man ins Ostbayerische Industrie- und Bergbaumuseum gesteckt habe.

Bleibt nur noch der Freistaat: Er hat bereits 55 Millionen Euro für die Sanierung des Schlackenbergs ausgegeben. Im Frühjahr erklärte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer die Maxhütte zur Chefsache und lud zu einem Gespräch in die Münchner Staatskanzlei ein, um das Kompetenz-Wirrwarr zu klären. Am Tisch saßen Kabinettsmitglieder, Lokalpolitiker aus der Oberpfalz und Vertreter des Eigentümers. Das Ergebnis: Für weitere 20 Millionen Euro sollen nun endlich auch Altlasten auf Teilen des Werksgeländes beseitigt werden, das Aicher gehört. Auch diese Summe muss wahrscheinlich der Freistaat vorstrecken.

Die Reste der Maxhütte sind damit aber nicht gerettet. Um sie zu konservieren, bräuchte es eine Betreibergesellschaft und zig Millionen zusätzlich: "Der Erhalt des Stahlwerks würde enorm teuer", sagt Gerd Geismann, der frühere Bürgermeister von Sulzbach-Rosenberg. "Da wird noch großer Streit entstehen." Denn noch immer ist unklar, was genau erhalten werden soll. Zumindest an Konzepten herrscht kein Mangel: Sie reichen vom "Industriekletterpark" und Abseilaktionen am Hochofen bis hin zum Kulturzentrum mit Museum - nur ist zweifelhaft, ob daraus noch etwas wird. Das Deutsche Museum hat schon abgewunken: An einer Außenstelle Maxhütte haben die Münchner kein Interesse.

Immerhin gibt es Leute wie Christian Trösch. Er kümmert sich als Objektmanager im Auftrag Aichers, dass zumindest rund um den Hochofen und in einer Halle ab und zu Leben einkehrt: Er veranstaltet Weihnachtsmärkte, Mountainbikerennen, Kulturabende, Oldtimer-Treffen und Fußballübertragungen. Er träumt von einer überregionalen Touristen-Attraktion.

Doch in zehn Jahren wurden ganze 75.000 Euro in die Sicherung der Maxhütte gesteckt. Ein damit finanziertes Gutachten hat ergeben: Der Hochofen ist zumindest noch standfest. Das könnte doch ein guter Anfang sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: