Verfall der Essenskultur:Die Küchenkrise

Fertigsaucen und ein kühlschrank-kalter Dreifarbensalat: Der schleichende Niedergang der gastronomischen Kultur im Freistaat nimmt seinen Ausgang vielfach am Herd.

Gottfried Knapp

Bayern genießt auf gastronomischem Gebiet in Deutschland immer noch einiges Ansehen. Die Landeshauptstadt hat zwar ihren Nimbus als Wallfahrtsort der Feinschmecker längst verloren, doch auf dem Niveau der einfachen, bodenständigen Küche gibt es sowohl in Franken, in Schwaben als auch in Altbayern immer noch eine überdurchschnittliche Zahl an Gaststätten, die sich den kulinarischen Traditionen der jeweiligen Region verpflichtet fühlen.

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Gerichte, für die man weder Phantasie, noch einen Koch und auch keine anspruchsvolle Kücheneinrichtung braucht: Bayerns Gastronomie ist in der Krise.

(Foto: Foto: ddp)

Doch dieser Bestand ist akut gefährdet. In vielen mittelgroßen Städten werden die schönsten Traditionsgasthöfe schon seit einiger Zeit von Griechen oder Italienern geführt.

Andere Lokale haben sich in modische Cafébars verwandelt, in denen das vorwiegend jugendliche Publikum ausschließlich Exotisches zu sich nimmt, Bier aber höchstens über Zitronenscheiben hinweg aus kleinen Flaschen herausnuckelt. Zwischen solchen Lokalen ein Gasthaus zu suchen, in dem ganz normal heimisch gekocht wird, ist oft ein mühsames Unterfangen.

Folkloristischer Plunder an den Wänden

Auf dem Land sieht es nicht viel besser aus. Viele der landschafts- oder ortsbildbeherrschenden stattlichen alten Gasthöfe sind in den letzten Jahren geschlossen worden; sie ließen sich nicht mehr rentabel betreiben, weil das lokale Stammpublikum weggestorben ist, die Jungen aber nicht nachrücken wollten.

Andere Wirtschaften - vor allem in Ausflugsgegenden - versuchen sich mit aufdringlich ausgestelltem folkloristischem Plunder an den Wänden, auf den Tellern und an den Dirndln der Bedienungen ins Gespräch zu bringen.

Dass die schleichende gastronomische Krise auch etwas mit der Küche zu tun haben könnte, scheint bislang nicht so recht ins Bewusstsein der Betreiber wie der Besucher bayerischer Lokale gedrungen zu sein. Auf diesem Gebiet könnte man von Baden-Württemberg einiges lernen.

In Bayern gibt es immer noch viel zu viele Gaststätten, in denen fast ausschließlich Pfannengerichte mit Fertigsaucen, Fertigbeilagen und kühlschrankkaltem Dreifarbensalat serviert werden, also Gerichte, für die man weder Phantasie, noch einen Koch und auch keine anspruchsvolle Kücheneinrichtung braucht.

Da ist man in schlichten Bauernwirtschaften, in denen der Wirt ausschließlich seinen eigenen Leberkäs und sein eigenes Brot, oder, wie im Fränkischen, seine hausgemachten Bratwürste und das Bier aus der benachbarten Dorfbrauerei auf den Tisch stellt, schon viel besser aufgehoben.

Neuer Lokaltypus

Zu loben sind natürlich all die Gasthöfe, in denen lokale oder regionale Traditionen noch wie selbstverständlich präsent sind und das schwierige Gewerbe des Gastgebens und Bewirtens mit erfreulicher Natürlichkeit und schöner Überzeugungskraft ausgeübt wird. In solchen Häusern kann man sich auf die kulinarischen Klassiker der Region freuen, wird aber auch verlässlich durch die Jahreszeiten geführt, etwa durch die Bärlauch-, die Spargel-, die Pilz- oder die Wildsaison.

Neben diesem Lokaltypus, der für das gastronomische Ansehen Bayerns derzeit fast allein verantwortlich ist, hat sich in den letzten Jahren ein anderer interessanter Typus herausgebildet. In leergeräumten, hellen, schlicht möblierten Wirtsstuben zelebrieren junge Köche, die in guten Häusern gelernt haben, eine neue Regionalküche mit jeweils frischen Produkten - wenn möglich aus der direkten Nachbarschaft oder aus dem eigenen Garten.

Da ist es dann selbstverständlich, dass bei allen tierischen Produkten die Erzeuger angegeben werden. Und selbstverständlich ist auch, dass der Wirt etwas vom Wein versteht. Lokale dieses Typs, die das Regionale mit Phantasie neu definieren, gibt es in Österreich und im Badischen schon viele; in Bayern brauchen sie derzeit noch Unterstützung. Darum haben die gastronomischen Auszeichnungen, die der Staat jedes Jahr vergibt, eine wichtige Funktion.

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