Verbrechen in Unterfranken:Ein Dorf sucht einen Mörder

Aus dem lustigen Räuber vom Spessart wurde ein Mordverdächtiger - nun geht die Angst um im Wald.

Olaf Przybilla, Mespelbrunn

Alexander Renz ist dringend verdächtig, eine Mutter von drei Kindern ermordet zu haben. Am 25. Juli 2008 soll er auf dem Parkplatz des Schlosshotels in Mespelbrunn die 32 Jahre alte Carmen S. erstochen haben.

Mespelbrunn verbrechen mord spessart dpa

Hier geht die Angst um: Ortseingang von Mespelbrunn

(Foto: Foto: dpa)

Die verheiratete Frau war eine Kollegin von Renz, gemeinsam arbeitete man in dem Hotel, das sich in Mespelbrunn auch unter dem Namen "Wirtshaus im Spessart" einen Namen gemacht hat. Renz, 36, soll aus verschmähter Liebe gehandelt haben. Seit der Tat ist er flüchtig.

Vor zwei Wochen wollen mehrere Augenzeugen gesehen haben, wie der mutmaßliche Mörder durch die Spessartgemeinde spaziert ist. Die Ermittler lösten eine Großfahndung aus.

Der Spessartwald wurde durchforstet, sogar der Mespelbrunner Bürgermeister Erich Schäfer beteiligte sich am Einsatz. Weil er einen Allradwagen besitzt und der Wald tief verschneit war, habe man gemeinsam die Jägerhütten im Dickicht abgeklappert, erklärt Schäfer. Bislang vergeblich.

Renz soll sich sehr gut auskennen im Spessart. Er gilt als passionierter Mountainbike-Fahrer. Und verdingte sich seit acht Jahren im Wald als Spessarträuber.

Das ist kein schlechter Scherz, sagt der Sparkassenangestellte Günther Köstler. Vor 20 Jahren glaubten er und einige Mitstreiter aus den Dörfern rings um das Wasserschloss erkannt zu haben, dass "wir die Geschichte mit Lilo Pulver touristisch einfach nicht richtig nutzen".

Köstler spielt an auf einen 1957 im Mespelbrunner Wasserschloss gedrehten Film. Nach einer Erzählung von Wilhelm Hauff trifft dort eine Comtesse, sie wird gespielt von Liselotte Pulver, auf allerlei Spessarträuber.

Es sei schon merkwürdig, berichtet Köstler, aber Mespelbrunn und sein Wirtshaus im Spessart kenne man beinahe überall. Seine Idee von den Räubern auf Bestellung erwies sich als Erfolg. Touristenbusse werden seither an einen finsteren Ort im Wald gefahren. Dort von einem Baumstamm gestoppt.

Und dann werden die Insassen überfallen und gefesselt. Zur Aufheiterung gibt es Schnaps aus Franken und Lieder aus dem Pulver-Film. Nicht jedermanns Sache vielleicht, aber "im Grunde völlig harmlos", sagt Köstler. Renz machte gerne mit bei den Räubern.

"Das ist das Schlimme jetzt für uns", sagt Köstler. "Die Leute denken plötzlich: Was für eine verwegene Sache." Dabei hätte Renz "genauso gut Mitglied im Kirchenchor oder Kegelverein sein können".

Ein Dorf sucht einen Mörder

Christel Niederstenschee kann das bestätigen. Sie ist künstlerische Leiterin der Festspielgemeinschaft Mespelbrunn, die im Rhythmus von fünf Jahren das "Wirtshaus im Spessart" vor der Schlosskulisse auf die Bühne bringt. Mehr als hundert Laienspieler aus den umliegenden Dörfern wirken mit, und einer davon war bislang Alexander Renz.

Verbrechen in Unterfranken: Im Feuerwehrgerätehaus von Mespelbrunn hat die Polizei eine Einsatzzentrale eingerichtet - bislang hatten die Ermittlungen keinen Erfolg. Unten im Bild sind Fahndungsfotos des Tatverdächtigen Renz zu sehen.

Im Feuerwehrgerätehaus von Mespelbrunn hat die Polizei eine Einsatzzentrale eingerichtet - bislang hatten die Ermittlungen keinen Erfolg. Unten im Bild sind Fahndungsfotos des Tatverdächtigen Renz zu sehen.

(Foto: Foto: dpa)

Ein verschlossener Mensch sei das, erzählt Niederstenschee. Aber auch einer, der nie negativ aufgefallen sei. Renz hat früher Informatik studiert. Im Ort erzählt man sich, er falle durch die Art auf, seine Worte bewusst zu setzen. Eine schwere Kindheit soll er gehabt haben, das wussten viele.

Dass er aber zu einem solchen Verbrechen in der Lage sein könnte, "das will mir nicht in den Kopf", sagt Niederstenschee. Selbst im benachbarten Heimbuchenthal, dem Heimatort von Renz, haben nur wenige gewusst, dass er im Jahr 1993 als Student seine ehemalige Freundin nach Spanien entführt hat. Das hat sich erst nach der Tat herumgesprochen.

Angst in den Klamotten

Seit dem Donnerstag vor zwei Wochen ist in Mespelbrunn nichts mehr, wie es war. Wer sich im Dorf umhört, stößt immer wieder auf die gleichen Fragen. Warum ist Renz in den Spessart zurückgekehrt?

Wo hält er sich seither versteckt? Und warum ist er den Fahndern bislang nicht ins Netz gegangen?

Ein Dorfbewohner erzählt, er schließe nun jede Nacht die Fensterläden, sperre seine Haustür mehrfach ab. Und es gebe nur wenige in Mespelbrunn, die das anders machen.

"Vielleicht ist das irrational", sagt der Mann - weil Renz ja offenkundig eine Beziehungstat verübt hat. "Aber die Angst bekommt man momentan nicht mehr aus den Klamotten."

Polizei stürmt falschen Ort

Vor zehn Tagen glaubten sich die Ermittler für kurze Zeit am Ziel. In der Nacht stürmte ein Spezialeinsatzkommando das Haus von Gerhard Ehser im angrenzenden Dorf Leidersbach. Ehser, 49, erzählt von einem Albtraum. Mitten im Schlaf habe er plötzlich grelles Licht gesehen.

Zu Bewusstsein sei er erst wieder am Boden gekommen, gefesselt. Ehser erlitt eine Nasenverletzung, ein Blutfleck auf dem Holzboden dokumentiert das noch zehn Tage danach. Ehser sagt, er habe eine Stunde lang frierend auf dem Boden gelegen, das Knie eines Beamten im Rücken.

Die Polizei widerspricht seiner Darstellung. Höchstens eine halbe Stunde lang soll Ehser gefesselt gewesen sein, eingehüllt in eine Decke. Man habe damit rechnen müssen, dass mindestens Renz im Besitz von Waffen sei. Es habe konkrete Hinweise gegeben, dass sich Renz in der Wohnung aufhalte.

Renz aber war nicht in der Wohnung. Und Ehser - der Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt hat - sagt, er kenne diesen Renz eigentlich gar nicht.

Nur einmal will er ihn beiläufig wahrgenommen haben, vor zwei Jahren bei der Aufführung der Festspielgemeinschaft. Ehser gab einen der Soldaten, Renz war Räuber. Allerdings nur drei von 29 Aufführungen lang.

Dann erlitt er eine Verletzung des Innenohrs, durch einen zu lauten Knall aus einer Räuberpistole.

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