Veganes Festival in Nürnberg:Im Fleischfreistaat

Melanie Jessen und Erkan Günaltay organisieren das Nürnberger Food-Festival.

Ohne Schreckensbilder, ohne Zeigefinger: Die neue vegane Szene ist positiv drauf. So wie die Festival-Organisatoren Melanie Jessen und Erkan Günaltay.

(Foto: SZ)

Der vegane Lebensstil findet immer mehr Anhänger, selbst in Bayern, wo oft noch traditionell gekocht wird.

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Auf den Tellern türmen sich Nudelsalat, gebratene Pilze, dunkelrote Pasten aus Hülsenfrüchten und Gemüse. Man schlürft veganen Prosecco und schmiert pflanzliche Aufstriche auf Brezen, die garantiert ohne Schweineschmalz zubereitet wurden. Mehr als 200 Leute haben sich am Sonntag in der Nürnberger Altstadt zum rein pflanzlichen Freiluftbrunch getroffen. Laut Veranstaltern ist es das größte vegane Frühstück in Deutschland.

Der vegane Lebensstil boomt. Nach Angaben von Proveg, einem Verein, der vor mehr als 100 Jahren als Vegetarierbund gegründet wurde, ernähren sich in Deutschland etwa acht Millionen Menschen vegetarisch und 1,3 Millionen Menschen vegan - Tendenz steigend. Dabei hat gerade der Trend zur rein pflanzlichen Ernährung eine Dynamik, die altgediente Vegetarier staunen lässt. In den Supermarktregalen tauchen quasi ständig neue Produkte auf. Laut Proveg sind inzwischen mehr Lebensmittel mit "vegan" gekennzeichnet als mit "vegetarisch".

Das Nürnberger Food-Festival mit seinem rekordverdächtigen Brunch passt zu dieser Dynamik. Denn die Veranstalter Melanie Jessen und Erkan Günaltay haben sich vor gerade mal einem Dreivierteljahr kennengelernt. Sie waren in einem Café ins Gespräch gekommen, weil Veganerin Jessen ein Humus-Sandwich bestellt hatte. Ein Wort gab das andere und schließlich ließ sich Fleischesser Günaltay zu einem vierwöchigen Enthaltsamkeitsexperiment herausfordern. Und kurz nach diesem ersten Zusammentreffen beschlossen die beiden auch schon, gemeinsam ein veganes Festival zu veranstalten.

Obwohl sie keine Erfahrung mit Events hatten und das Projekt neben ihren normalen Jobs organisierten - Jessen, 27, arbeitet in einem Verlag für Fachbücher, Günaltay, 35, im Marketing -, hatten sie kein Problem, Geldgeber zu finden. Als Hauptsponsor bot sich eine Supermarktkette an, die den veganen Boom genau beobachtet und das Angebot entsprechend anpasst. "Die Nachfrage ist seit zwei Jahren am Wachsen", sagt ein Vertriebsmanager aus dem Raum Nürnberg. Man probiere viel aus, stelle immer wieder neue Produkte in die Läden.

Mit dem recht spontan organisierten Festival wollten die Veranstalter "ohne Zeigefinger" für vegane Ernährung werben. Vor allem aber soll die kleine Messe mit Essens- und Infoständen sichtbar machen, dass die Nachfrage größer sei als das gastronomische Angebot. Sowohl Franken als auch Restbayern seien sehr traditionell, was die Küche angeht, sagt Jessen, - entsprechend selten gebe es vegane Menüs.

Beim Sonntagsbrunch auf dem Jakobsplatz kann man sehen, dass der typische Neu-Veganer zwischen Anfang 20 und Mitte 30 Jahre alt ist. So wie zwei junge Frauen aus Bad Staffelstein, die an einem der weiß gedeckten Biertische Platz genommen haben - Mitte 20, lange blonde Haare, aufwendige Tätowierungen. Eine der beiden ernährt sich seit einem Dreivierteljahr vegan, die andere vegetarisch, "wegen der Massentierhaltung". Allmählich, so erzählt sie, mache sie sich aber auch Gedanken über die Milchindustrie.

Als Vegetarierin schräg angesehen worden

Könnte also sein, dass sie bald ganz auf tierische Produkte verzichtet. Über Mangelerscheinungen mache sie sich keine Sorgen, gibt die Veganerin Auskunft. "Man muss sich halt informieren, wo man alles herbekommt." Nicht weit entfernt sitzt eine Gruppe Mittdreißiger aus Bayreuth. Die fünf haben sich über eine Facebookgruppe kennengelernt. Eines der Pärchen trägt T-Shirts von "Laufen gegen Leiden" - einem veganen Sportverein. Um die 100 Leute seien in Bayreuth Mitglied, schätzt die Frau.

Simone Alberti sitzt am Stand des Vereins "Menschen für Tierrechte". Die Nürnbergerin hat vor einiger Zeit auf vegan umgestellt, ist aber schon seit mindestens 25 Jahren Vegetarierin. Als Studentin sei sie noch schräg angesehen worden, wenn sie mangels Alternativen Kloß ohne Soß bestellte, erinnert sie sich. "Vegan hat eine ganz andere Akzeptanz." Vielleicht liege es an den vielen jungen und attraktiven Leuten, die vegane Kochbücher herausgeben. Jedenfalls nehme sie an den Infoständen steigendes Interesse war, sagt Alberti, - und das auch bei älteren Menschen.

Wie sehr der Markt boomt, zeigen die vielen Neuentwicklungen. Regelrecht umlagert ist auf dem Festival ein Stand mit Ersatzkäse aus Cashewkernen. Besonders interessierte Nachfragen gibt es am Imbisswagen einer Bamberger Firma, die Gerichte aus "Midori" anbietet. Vor fünf Jahren wurde das Unternehmen gegründet, mittlerweile hat es 130 Mitarbeiter. Unter dem Markennamen Midori vertreibt es im Groß- und Einzelhandel eine selbstentwickelte Masse fleischartiger Konsistenz. Sie wird aus Erbsen und Hafer hergestellt und wie Hackfleisch oder Fleischstreifen eingesetzt.

Noch ganz am Anfang ist dagegen die Firma von Edith Gnandt. Weil sich ihre Tochter vegan ernährt und sie selbst eine "typische Ostblockmutter" sei, hat sie "veganes Fruchtsushi" erfunden, einen Nachtisch aus Milchreis und frischem Obst. Erst im Dezember hat sie ihren Laden in der Nähe von Nürnberg eröffnet und kämpft noch um Kunden. Zumindest auf dem Festival sind die Sushi-Happen der Renner.

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