Urteil in Augsburg:Acht Jahre alt und ein Junkie

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Dieser Fall entsetzt sogar die Polizei: Ein Drogendealer hat seinen Sohn nicht nur regelmäßig auf Verkaufstouren mitgenommen. Der Zweitklässler ist zudem heroinabhängig.

Stefan Mayr

Vor einigen Wochen machte ein zweijähriger Bub aus Indonesien weltweit Schlagzeilen, weil er Zigaretten rauchte wie ein Erwachsener. Ein ähnlicher Fall, der noch unglaublicher klingt, hat nun das Landgericht Augsburg beschäftigt: Die Erste Strafkammer verurteilte einen 45-jährigen Drogendealer zu achteinhalb Jahren Haft - das Unfassbare an diesem Prozess: Der achtjährige Sohn Thomas (Name geändert) war bei den Verkaufstouren des Angeklagten nicht nur regelmäßig dabei - sondern hat auch selbst Heroin konsumiert.

"Dieser Fall ist für uns eine absolut einmalige Ausnahme", sagt ein Sprecher der Augsburger Polizei. Selbst Uwe Schmidt von der Drogenhilfe Schwaben hat noch nie von einem achtjährigen Junkie gehört. "Ich kann mich mal an Mädchen erinnern, die mit 14 Jahren eingestiegen sind", sagt der Teamleiter der Beratungsstelle, "aber das konnte ich zunächst nicht glauben."

Selbst im Drogenmilieu löste der Vater Kopfschütteln aus, als er an den einschlägigen Treffpunkten mit seinem Kind erschien. "Ich konnte ihn doch nicht daheim lassen", rechtfertigte sich der Angeklagte vor Gericht. Doch offenbar ging es dem 45-Jährigen um mehr als nur um Fürsorge für seinen Sohn. Denn bei den Drogentouren musste sich der Bub in einen Kinderwagen setzen, obwohl er schon ein Schulkind war. Vermutlich wollte der 45-Jährige mit dieser Tarnung als unverdächtiger Familienvater erscheinen. Womöglich diente der Kinderwagen auch als Versteck für das Rauschgift.

Jedenfalls sagte eine Zeugin vor Gericht aus, dass der Bub nicht immer freiwillig auf die Dealertouren mitging. Sie hörte den Achtjährigen spätabends im Treppenhaus, wie er seinen Vater anflehte: "Ich will nicht mehr mitgehen, das Scheißzeug zu verkaufen." Die späten Ausflüge hatten mitunter zur Folge, dass Thomas am nächsten Tag zu spät zur Schule kam und im Unterricht einschlief. Ansonsten scheint Thomas ein durchaus aufgeweckter Bursche zu sein, jedenfalls referierte er seiner erstaunten Pflegefamilie eines Tages, dass Hollands Drogen-Umschlagplatz Nummer eins "eben nicht Amsterdam ist, sondern Rotterdam".

Wie genau der Achtjährige die Drogen zu sich nahm, ist ungeklärt, da das Gericht nur über die Dealerei des Vaters verhandelte und nicht über die Verletzung der Fürsorgepflicht. Der Angeklagte beteuerte, er habe seinem Sohn keinen Stoff gegeben. Eine Sozialpädagogin des Jugendamtes sagte im Zeugenstand aus, dass Thomas intelligent sei, aber unter Stimmungsschwankungen leide. "Ich wollte es zunächst nicht glauben", sagte sie, "aber das waren Entzugserscheinungen. " Eine Haarprobe brachte Gewissheit: Der Zweitklässler hatte mindestens acht Monate lang Heroin konsumiert.

Im Oktober 2009 wurde der Vater trotz seines Kinderwagentricks verhaftet, Thomas lebt inzwischen in einem Heim. "Die Entwicklung läuft vernünftig", sagt Manfred Klopf vom Jugendamt Augsburg, "es gibt derzeit keine negativen gesundheitlichen Erscheinungen." Offen ist allerdings, ob Thomas Langzeitschäden davon ragen wird. "Die Gefahr ist, dass sich das Gehirn später an die Euphorie- oder Glückszustände erinnert", sagt Klopf. Damit bestehe stets ein Rückfallrisiko. "Aber das kann man mit konstanter Begleitung und Betreuung in den Griff bekommen." Auch Florian Daxer, Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Augsburger Josefinum, zeigt sich optimistisch: "Im richtigen Umfeld haben betroffene Kinder gute Chancen, sich auf Dauer vom frühen Drogenmissbrauch zu erholen."

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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