NSU-Untersuchungsausschuss:"Ein Thüringer Problem"

Fünf Menschen hat der NSU in Bayern ermordet, ohne entdeckt zu werden. Aber der frühere Verfassungsschützer Gerhard Forster kann bei seiner Behörde keine eklatanten Fehler erkennen - die sollen andere begangen haben. Das macht manche Mitglieder im Landtags-Untersuchungsausschuss stutzig.

Tanjev Schultz und Mike Szymanski

Landtags-Untersuchungsausschuss 'Rechtsterrorismus in Bayern: NSU'

Gerhard Forster, der ehemalige Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz, sagte als erster Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss aus.

(Foto: dapd)

Die bayerischen Sicherheitsbehörden haben sich in den 90er Jahren indirekt der Dienste des Rechtsextremisten Tino Brandt bedient. Brandt spielte damals eine führende Rolle in der Neonazi-Gruppe "Thüringer Heimatschutz", der auch die späteren Terroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) angehörten. Der Thüringer Verfassungsschutz führte Brandt zu dieser Zeit als V-Mann.

Der Neonazi war Ende 90er Jahren dabei, in Franken den Ableger "Fränkischer Heimatschutz" aufzubauen. Auf Drängen des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz bei den Thüringer Kollegen habe Brandt diesen Plan nicht weiter verfolgt, sagte der frühere Präsident in Bayern, Gerhard Forster, am Dienstag als erster Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags. Seine Behörde habe die Neonazis einfach nur "weg haben" wollen.

Forster, von 1994 bis 2001 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, schilderte, wie seine Behörde Einfluss auf Thüringen genommen hat. Brandt hatte längst seine Aktivitäten auf Bayern ausgeweitet. "Er hat einen ganzen Schwanz Thüringer Rechtsextremisten mit nach Bayern gezogen", erzählte Forster. Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln war alarmiert und forderte die bayerischen Kollegen auf, den Fränkischen Heimatschutz genauer zu überwachen. "Das Bundesamt wollte, dass wir mit Quellen in den Fränkischen Heimatschutz reingehen." Als Operation Rennsteig wurde der Versuch bezeichnet, die thüringisch-bayerische Szene zu unterwandern. "Wir haben das abgelehnt. Wir wollten sie nicht unterwandern, sondern weg haben."

Die Bayern wählten den bequemen Weg

Die bayerischen Verfassungsschützer - personell wie finanziell unter den Länderbehörden mit am besten ausgestattet - wählte dabei einen bequemen Weg. "Wir wussten, dass er ein V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes ist", sagte Forster. Deshalb habe man auf die Thüringer eingewirkt, "dass Brandt seine Aktivitäten abstellt". So sei es dann auch gekommen, der Fränkische Heimatschutz sei ein harmloser Torso geblieben, angeblich lediglich ein Name für einen Stammtisch, bei dem sich noch Neonazis trafen.

Die Bayern hätten im Übrigen Brandt von sich aus gar nicht erst als V-Mann angeworben, führt Forster vor den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses aus. Ein V-Mann dürfe nicht "steuernd eingreifen", in Thüringen sei Brandt jedoch eine "steuernde Figur" der Szene gewesen. Der Verfassungsschützer und seine Mitarbeiter hatten es sich jedoch offenbar leicht gemacht: "Tino Brandt war ein Thüringer Problem." Er wurde später enttarnt.

Ermittlungsergebnisse waren "gleich Null"

Knapp drei Stunden vernimmt der Ausschuss Forster in öffentlicher Sitzung. Der frühere Amtschef beschreibt, wie sich die rechtsextreme Szene auch in Bayern in den 90er Jahren radikalisiert hatte. "Die Skinhead-Szene hat uns große Probleme bereitet", sagte Forster. "Insgesamt glaube ich das wir die Szene ganz gut eingeschätzt haben", berichtete Forster. Die Zusammenarbeit mit der Polizei habe damals "vorbildlich" funktioniert, lobte er. "Wir haben nicht jeden Neonazis gekannt, das war aber auch nicht unser Anspruch."

Forsters Ausführungen machten Franz Schindler (SPD), den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, dann doch stutzig. Er will wissen, warum trotz der "trotz der schönen, heilen Welt des Verfassungsschutzes", die der Verfassungsschützer beschrieben habe, fünf Menschen allein in Bayern durch die NSU-Terroristen sterben konnten. "Wir hatten keine Informationen gehabt", sagte Forster. Einen "eklatanten Fehler" könne er jedenfalls nicht erkennen. "Es ist ganz einfach. Es war eine konspirative, kleine Zelle, an der wir keinen V-Mann dran hatten."

NSU-Untersuchungsausschuss - Gerhard Forster

Gerhard Forster vor Beginn der Sitzung des NSU Untersuchungsausschusses im Bayerischen Landtag.

(Foto: dpa)

Man habe damals mehrfach Nachforschungen in diese Richtung betrieben, berichtete Forster. "Ganz sicher" hätten die V-Mann-Führer ihre Kontaktpersonen befragt, sagte der 70-Jährige. Informanten seien sowohl nach dem Untertauchen des NSU-Trios 1998 als auch nach dem ersten Mord im Jahr 2000 befragt worden. Das Ergebnis sei jedoch "gleich Null" gewesen. Weder dem Ausschuss in München noch dem des Bundestags in Berlin liegen dazu allerdings schriftliche Belege vor.

Über Hinweise wären sie froh gewesen

Forster betonte, dass der Verfassungsschutz kein dichtes Überwachungsnetz betreiben könne und es unmöglich sei, alle Einzelpersonen zu überwachen. "Wir sind darauf angewiesen, Informationen zu bekommen." Und damals - vor oder nach den NSU-Morden - habe die Behörde leider keine Hinweise gehabt. "Wir alle wären froh gewesen, wir hätten einen Hinweis bekommen, das können Sie uns glauben", sagte Forster. "Sie können uns glauben, das bedrückt die Mitarbeiter, die Quellen führen und nichts davon erfahren haben, am meisten."

Die Terrorgruppe NSU hatte fünf ihrer mutmaßlich zehn Morde in Bayern verübt, den ersten davon im September 2000 in Nürnberg. Bis heute ist unklar, welche Rolle die V-Leute, die sich im Umfeld des Trios aufhielten, gespielt haben. Tino Brandt wurde in Thüringen als "Top-Quelle" geführt, brachte die Ermittler jedoch nicht auf die richtige Spur.

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