Untermerzbach:"Es gibt keine Ausreden"

Claus Fussek, 2013

Dass in Gleusdorf alle schwiegen, wundert Claus Fussek nicht.

(Foto: Claus Schunk)

Pflegekräfte dürfen bei Missständen nicht schweigen, sagt Pflegeexperte Claus Fussek

Von Olaf Przybilla, Untermerzbach

Der Pflegeexperte Claus Fussek hat die Erfahrung gemacht, dass Pflegeheime "weitgehend rechtsfreie Räume" sind. Dubiose Vorfälle in anderen Institutionen, Kindergärten etwa, führten seiner Beobachtung nach rasch zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. In Pflegeheimen dagegen? Fast nie. Schon insofern, sagt Fussek im SZ-Gespräch, sei der Fall im fränkischen Pflegeschloss Gleusdorf nun ein besonderer: Dort wird seit vergangenem Donnerstag strafrechtlich ermittelt, eine eigene Kommission der Kriminalpolizei unterstützt die Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf, der im Raum steht, ist drastisch: Wegen Totschlags durch Unterlassen wurden zwei Führungskräfte der "Seniorenresidenz" im Landkreis Haßberge in Untersuchungshaft genommen.

Für Fussek, Autor und Sprecher der Vereinigung Integrations-Förderung, bietet der Fall in Franken deshalb auch Chancen: "Überlastete Pflegekräfte müssen endlich wahrnehmen, dass sie durch Schweigen und Wegschauen von Opfern zu Tätern werden." Offenbar hätten viele der nun an die Öffentlichkeit drängenden Ex-Mitarbeiter über Jahre geschwiegen. Anders sei die Fülle der im Raum stehenden Vorwürfe nicht zu erklären. In dem Heim sollen, nach Aussagen von Ex-Mitarbeitern, zum Teil katastrophale hygienische Zustände geherrscht haben. Bewohner sollen "ruhiggestellt" worden sein, Medikamente sollen missbraucht worden, das Personal heillos überfordert gewesen sein. Insgesamt prüft die Staatsanwaltschaft derzeit fünf auffällige Todesfälle. Die Ermittlungsverfahren wegen Totschlags beziehen sich auf einen Fall, bei dem ein Bewohner nach einem Sturz nicht ärztlich versorgt worden sein soll und starb. Vor den Festnahmen hatte die Heimleitung sämtliche Vorwürfe als "Rachefeldzug" von Ex-Mitarbeitern hingestellt. Diese behaupten, sie hätten so lange geschwiegen, weil sie von der Heimleitung unter Druck gesetzt worden seien.

Mit dieser Argumentation der Ex-Mitarbeiter geht Fussek hart ins Gericht: "Es gibt keine Ausreden für das Schweigen." Pflegekräfte seien die Anwälte von schutzbefohlenen Menschen, "sie sind schlicht verantwortlich". Pfleger könnten sich jederzeit, auch anonym, an die Heimaufsicht wenden. Das Argument, man habe "Angst um den Arbeitsplatz", sei absurd. Die Nachfrage nach Pflegern sei enorm, es dürfte kaum sicherere Betätigungsfelder geben als für diesen Berufsstand, sagt Fussek.

Die Heimaufsicht hatte in dem Pflegeschloss über Jahre nie Anlass zu größerer Beanstandung gesehen. Fussek wundert das nicht. Er mache die Erfahrung, dass die Aufsicht auf dem Land fachlich und personell chronisch schlecht ausgestattet sei. Kontrollen würden in den Heimen immer wieder vorab bekannt, man kenne sich untereinander und schütze sich gegenseitig. Auch Ex-Mitarbeiter von Schloss Gleusdorf behaupten, von Kontrollen der Heimaufsicht stets vorab gewusst zu haben.

Einer Sprecherin des Landratsamts Haßberge zufolge darf das Heim derzeit weiterbetrieben werden. Es gebe dort einen Heimleiter sowie einen stellvertretenden Pflegedienstleiter. Man kontrolliere das Heim nun "engmaschig". Dass das Heim geöffnet bleibt, wundert Fussek nicht. "Zugespitzt könnte man fragen: Wohin denn mit den Alten?", sagt er. Der Mangel an Alternativen sei ein Grund für die defizitären Kontrollen der Heime.

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