Unterjoch:Mini-Grundschule soll schließen

Unterjoch: Geht es nach der Schulbehörde, soll die Zwergschule in Unterjoch geschlossen werden.

Geht es nach der Schulbehörde, soll die Zwergschule in Unterjoch geschlossen werden.

(Foto: oh)

Die Alternativen sind für Eltern und Schüler inakzeptabel, dennoch soll die Zwergschule in Unterjoch schließen. Nun wird die Grundschule zum Testfall, wie flexibel die bayerische Schulpolitik noch ist.

Von Tina Baier

Alle sind gekommen: Sonja Zürrlein vom Dorfladen. Johanna Lipp vom Hotzenbauerhof und ihre Enkelin Lydia. Die junge Frau trägt ihre Tochter Regina auf dem Arm, in wenigen Wochen kommt ihr zweites Kind zur Welt. Manuela Besler vom Beslerhof ist mit ihren Töchtern Verena und Bettina da. Uroma Elfriede Besler sitzt neben Johanna Lipp und hört aufmerksam zu.

Fast das ganze Dorf ist versammelt, schließlich geht es um eine wichtige Angelegenheit: die Rettung der Dorfschule, in der schon Johanna Lipp und Elfriede Besler gemeinsam lesen und schreiben gelernt haben.

Die Grundschule in dem 1013 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Allgäuer Gebirgsdorf Unterjoch sollte eigentlich schon dieses Schuljahr geschlossen werden. Der Grund: Schülermangel. Oder besser gesagt: Lehrermangel. Eine ganze Lehrerstelle für nur zehn Kinder, das erschien dem Kultusministerium und dem zuständigen Schulamt zu teuer. Der massive Protest der Mütter und Väter kurz vor der Landtagswahl führte dann dazu, dass die Schule ein Jahr Gnadenfrist bekam. In den kommenden Wochen soll endgültig entschieden werden, ob die Schule schließen muss oder nicht.

Der Bildungsausschuss soll Klarheit bringen

Die Dorfbewohner drängen sich im Klassenzimmer, weil an diesem Tag Mitglieder des Bildungsausschusses des bayerischen Landtags nach Unterjoch gekommen sind. Martin Güll (SPD), der Vorsitzende des Ausschusses, sein Stellvertreter Gerhard Waschler (CSU), Thomas Gehring, Bildungssprecher der Grünen, und andere wollen sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort machen.

Tatsächlich sind die Alternativen problematisch, die den Unterjocher Eltern angeboten werden, sollte die Schule schließen. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, die Kinder in die Grundschule nach Bad Hindelang zu schicken, zu der die Schule in Unterjoch organisatorisch als Außenstelle gehört. "Das ist für uns undenkbar", sagt Herbert Landerer, der den Mitgliedern des Ausschusses die Situation erläutert. Die Kinder müssten mit dem Bus zweimal täglich über den Jochpass fahren.

Das ist die höchstgelegene Bundesstraße in Bayern mit knapp hundert Kurven. "Im Winter ist der Jochpass gefährlich, außerdem wird vielen Kindern von den Kurven schlecht", sagt Landerer. Dass diese Aussage voll und ganz zutrifft, und zwar nicht nur auf Grundschulkinder, können die Ausschussmitglieder bestätigen, nachdem sie selbst über den Jochberg gekurvt sind. Der Schulbus nach Bad Hindelang fährt um fünf vor sieben in Unterjoch los. Manche Kinder, die auf entlegenen Höfen wohnen, müssten schon um Viertel nach sechs aus dem Haus, um pünktlich nach Bad Hindelang zur Schule zu kommen. "Da liegen manche Lehrer noch im Bett", sagt Johanna Lipp. Im Übrigen komme der Schneepflug erst um halb acht zum Hotzenbauerhof. Soll ihre Urenkelin Regina etwa im Stockdunkeln durch den Tiefschnee zur Bushaltestelle laufen, der in Unterjoch oft anderthalb Meter hoch liegt?

Sprengelpflicht und andere Schwierigkeiten

Die andere Möglichkeit wäre, die Kinder ins acht Kilometer entfernte Wertach zur Schule zu schicken. Dazu müsste allerdings die für Grundschulen geltende Sprengelpflicht aufgelöst werden, da Unterjoch nicht zum Sprengel von Wertach gehört. Ein noch größeres Problem ist aber, dass es nach Wertach keine Busverbindung gibt. "Die würde eingerichtet werden", versichert Thomas Novy, fachlicher Leiter des zuständigen Schulamts. Berghöfe wie den Hotzenbauerhof oder den Beslerhof würde dieser Bus allerdings nicht anfahren. Verena und Bettina müssten also mit sechs Jahren mehr als einen Kilometer an einer Bundesstraße entlang zur Bushaltestelle gehen, sagt ihre Uroma Johanna Lipp. Einen Gehweg gibt es nicht.

"Auf österreichischer Seite gibt es noch viele kleine Schulen für die Kinder aus den Gebirgsdörfern", betont Adalbert Martin, Bürgermeister von Bad Hindelang. "Nur in Bayern bekommen wir das nicht hin." Er rechnet vor, dass die Schülerzahlen in Unterjoch zwar die kommenden drei Jahre noch weiter zurückgehen werden. "Aber dann werden es wieder mehr."

Unverständliche Schulpolitik

Martin und die Unterjocher Eltern können die Politik der Staatsregierung schon lange nicht mehr nachvollziehen: Wie passt es zusammen, auf der einen Seite zu versprechen, dass in Bayern keine Grundschulen geschlossen werden, und dann Hunderte Lehrerstellen zu streichen, die dringend benötigt würden, etwa um Minischulen wie die in Unterjoch zu erhalten? Wie passt es zusammen, öffentlichkeitswirksam ein Heimatministerium zu schaffen und dann einem Dorf wie Unterjoch die Schule wegzunehmen? "Neulich hat sich eine Familie für eine Wohnung in der Sonnenstraße interessiert", erzählt Landerer. "Als sie gehört haben, dass die Schule wackelt, waren sie weg."

Am Ende schlagen die Dorfbewohner vor, in Unterjoch eine Ganztagsschule zu etablieren in der Hoffnung, dass ihnen dann mehr Lehrerstunden zustehen. Die Mitglieder des Bildungsausschusses sicherten zu, diese Option zu prüfen.

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