Unter Bayern:Zustände wie im heutigen Berlin

In Zeiten, in denen nahezu jeder Politiker meint, schamlos übertreiben zu müssen, haben es satirische Texte schwer

Kolumne von Franz Kotteder

Menschen, die älter werden, kommen oft mit der Erkenntnis daher, dass früher vieles besser war. Zwar ist der Autor der heutigen Kolumne auch nicht mehr der Jüngste, man darf ihm aber trotzdem glauben: Früher war es eine Ehre, ein "Unter Bayern" schreiben zu dürfen. Heute wehren sich die Autoren mit Händen und Füßen dagegen. Der eine sagt, für ihn seien fünf Zeilen pro Tag schon eine unerträgliche Zumutung, nachgerade eine Flut, die nicht hinnehmbar sei. Eine andere meint, das Thema sei zuerst im Konkurrenzblatt gestanden, das solle sich gefälligst auch weiterhin schön alleine darum kümmern. Ein dritter schreit, er lasse sich doch nicht zu einer Kolumne verdonnern von einer Chefin, die nur Chefin sei, weil er Redakteur sei. Ein vierter wiederum erklärt binnen drei Tagen seinen Rücktritt, falls Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nicht die Gelegenheit erhalte, die Kolumne vor Drucklegung gegenzulesen.

So kann man natürlich nicht arbeiten, das ist klar. Eine Redaktion erfüllt zwar gelegentlich auch die Funktion einer beschützenden Werkstätte, ein Saustall sollte aber niemals aus ihr werden. Wo käme man denn hin in einer Zeitung, bliese man Randaspekte zu großen Schicksalsfragen auf, während man die wahren Probleme mit Nichtachtung strafte? Mit so einer Einstellung kann man vielleicht noch ein Bundesinnenministerium führen, aber doch kein Medienerzeugnis.

Was aber schlimmer ist: Heutzutage glaubt jeder dahergelaufene Politiker, er habe ein Anrecht auf das wichtigste satirische Stilmittel, die schamlose Übertreibung. Das ist fatal und ein weiterer Grund dafür, warum kaum noch jemand ein "Unter Bayern" schreiben mag. Denn wo die Politik maßlos übertreibt, werden satirische Übertreibungen zwangsläufig sinnlos. Neulich hat doch ein Kollege herumgesponnen, der Seehofer lasse wegen fünf Asylbewerbern am Tag fast die Koalition platzen, hetze die Kanzlerin durch ganz Europa, fange sich dann eine Watschen vom gleichgesinnten Ösi-Kanzler ein und erkläre das alles glückstrahlend zum Erfolg. Es gelang dann erfreulicherweise, dem Kollegen klarzumachen, dass er da sauber in den Schmarrn hineingekommen sei, wenn nicht gar in den groben Unfug. Und der hat in einer seriösen Zeitung nun wirklich keinen Platz.

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