Unter Bayern:Die Kehrseite der Ansichtskarte

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Winnetou ist tot, Hans-Werner Sinn geht in Rente, das Lämmchen Rosi verirrt sich in den Puff - die Welt in Bayern ist längst nicht so heil, wie es in Elmau vorgegaukelt wurde

Von Franz Kotteder

Klischees sind eine praktische Sache. Man stellt sie hin, und jeder weiß Bescheid. Man muss nicht lange herumtun mit irgendwelchen Erklärungen. Klischees leuchten sofort ein. Deshalb ist es natürlich mehr als wohlfeil, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie hätte vor einer Woche in Elmau den Mächtigen der Welt ein kitschiges Abziehbild von bayerischer Idylle hingepinselt, das mit der Realität wenig zu tun hat. Ja was hätte die Merkel denn machen sollen? Obama, Hollande und die anderen von Polizisten einkesseln und ein bisserl verprügeln lassen, weil es bekanntlich "bayerische Art" (Max Streibl) ist, etwas kräftiger hinzulangen? Also bitte!

Andererseits stimmt's ja. Die Welt ist auch in Bayern ziemlich aus den Fugen geraten: Winnetou ist tot und wird im Würmtal zu Grabe getragen, Hans-Werner Sinn verlässt das ifo-Institut und droht mit Ruhestand, Markus Söder macht unverdrossen weiter. Kurzum: lauter Hiobsbotschaften. Ackerbau und Viehzucht sind auch nicht mehr das, was sie waren: Bei "weiten Gauen" denkt man an hohe Nitratwerte und riesige Mastanlagen in Wellblechhallen, und bei "Bayern-Ei" an Salmonellen mit Todesfolge. Überhaupt, die Fauna - immer öfter ist jetzt von Bibern zu hören, die Hunde und sogar Menschen anfallen, dabei waren sie vor ein paar Jahren noch ganz handsam und friedlich am Aussterben. Und in Nürnberg ist den Tieren der Tierpark nicht mehr gut genug. Dort sind heuer bereits eine Horde Präriehunde und ein Zwerghirsch stiften gegangen und strawanzen nun im Frankenland herum. Das Lämmchen "Rosi" aus demselben Zoo wurde gar in einem Münchner Puff aufgegriffen. Zustände sind das!

Von all dem haben die Gäste von Angela Merkel nichts mitbekommen, weil man sie zwei Tage lang in eine bayerische Ansichtskarte aus dem vorigen Jahrhundert hineingestellt hat. Wenn das überall so gemacht wird, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Staatenlenker zufrieden sind mit der Welt, wie sie sich ihnen darbietet, weil: Schön ist's schon! Man könnte nun fragen, ob die eigene Regierung mit der Inszenierung des Klischees einfach nur dreist über die Realität hinweglügt oder ob sie gar selbst dran glaubt? Weder die eine noch die andere Variante beruhigt einen aber so richtig.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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