Unglück in der Riesending-Höhle:Arzt ist zu Höhlenforscher vorgedrungen

Rettungseinsatz für Höhlenforscher

Einsatzkräfte werden am 11. Juni am Einstieg der Riesending-Schachthöhle von einem Hubschrauber abgeholt. In 1000 Metern Tiefe liegt ein schwer verletzter Höhlenforscher.

(Foto: dpa)

Nach mehr als 80 Stunden ist ein Arzt bei dem schwer verletzten Forscher in der Riesending-Schachthöhle angekommen. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma liegt Johann W. in der 19 Kilometer langen Höhle. Retter haben inzwischen die Gänge für die geplante Bergung sicherer gemacht.

Von Sarah Kanning, Berchtesgaden

Sieben schlichte Worte - aber es ist der Moment, auf den die Retter dreieinhalb Tage lang bis zur Erschöpfung hingearbeitet haben: "Team Italien und Arzt Österreich beim Patienten", eine Textnachricht, geschickt um 17.25 Uhr über Langwellenfunk aus dem Biwak V der Riesending-Höhle im Untersberg bei Berchtesgaden. Hier wurde Sonntagfrüh der 52 Jahre alte Höhlenforscher Johann W. aus Kornwestheim in Baden-Württemberg bei einem Steinschlag schwer verletzt. Am frühen Mittwochabend - 88 Stunden nach dem Unfall - schaffte es endlich ein Arzt zu dem Mann, der sich wegen eines Schädel-Hirn-Traumas nicht mehr selbst aus der Höhle befreien konnte. Der Arzt soll nun entscheiden, wie es weitergeht, welche Medikamente W. braucht und ab wann er für eine Rettung kräftig genug ist. "Wir sind positiv überrascht von dem schnellen Ablauf", sagte Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht Bayern, am Mittwochabend in Berchtesgaden.

Drei Mediziner hatten sich nacheinander auf den Weg gemacht, zwei Österreicher und ein italienischer Arzt, alle drei Top-Höhlenkletterer. Doch die Riesending-Schachthöhle ist extrem anspruchsvoll. Nach dem Einstieg müssen sich Kletterer einige Hundert Meter weit in gewaltigen Schächten abseilen. Sie müssen durch Engstellen robben, sich vor Canyons und Wasserfällen schützen. Winde und eisige Temperaturen machen ihnen zu schaffen, der Boden ist rutschig und uneben.

Der erste Arzt, ein Österreicher, musste umkehren. Er hatte zuvor 36 Stunden lang Rettungseinsätze mit dem Helikopter geflogen und war zu erschöpft für den Schacht, dessen Bezwingung schon mit der Besteigung eines Achttausenders verglichen wurde. Der zweite Arzt, ebenfalls ein Österreicher, schaffte es am Dienstag bis Biwak III, dann brauchte er eine Pause. Während er sich erholte, startete ein italienischer Arzt mit einem italienischen Team. In Biwak III nahmen sie den inzwischen erholten österreichischen Arzt mit sich in die Tiefe - die Riesendinghöhle ist mehr als 1000 Meter tief, der Abstieg dauert mindestens zehn Stunden. Nun haben sie es bis zu Johann W. geschafft. Ob der italienische Arzt noch bei ihnen ist oder in einem anderen Biwak, war noch unklar.

"Schädel-Hirn-Trauma, ähnlich wie das von Michael Schumacher"

Über der Erde geblieben ist Michael Petermeyer, Neurochirurg, Anästhesist und Notarzt aus Frankfurt am Main. Er ist höhlenerfahren, hat an mehrtägigen Exkursionen in bis zu 1000 Meter Tiefe teilgenommen und ist momentan das Back-Up. Würde W. beispielsweise ein Hämatom entwickeln, würde er selbst in die Höhle steigen, denn Neurochirurgie ist sein Fachgebiet. Am Nachmittag sagte er, dass Johann W. ein isoliertes Schädel-Hirn-Trauma habe, "ähnlich wie das von Michael Schumacher, nur viel leichter". Neue Ergebnisse werden am Donnerstagvormittag erwartet. "Wir haben dort unten keine Computertomografie - aber wir haben Erfahrung und beobachten genau", sagt Petermeyer. Dennoch sei der Fall speziell: "Mit unbehandelten Schädel-Hirn-Traumata, bei denen wir danebenstehen und der Patient nicht auf der Intensivstation ist, haben wir wenig Vorerfahrung." Vor allem die Tage zwei und drei seien kritisch, weil das Gehirn anschwellen könne - bei Johann W. sind es schon dreieinhalb. "Er ist über die Schwelle der maximalen Gefährdung", sagt Petermeyer, "aber er ist nicht über den Berg."

Das Schwierigste steht den Rettern noch bevor: Wie schafft man einen Mann, der eigentlich seit Tagen auf der Intensivstation liegen und möglichst nicht bewegt werden sollte, durch ein Gangsystem, in dem man robben muss, sich durch enge Spalten quetschen und einige Hundert Meter am Seil hinaufklettern muss? Stefan Schneider, stellvertretender Chef der Bergwacht Bayern, ist zuversichtlich: Zwei italienische Teams haben die Sicherheit der Gänge verbessert. "Sie haben Seile ausgetauscht, den Steinschlagschutz verbessert, Trittstifte in einer Spalte angebracht, an der man sich vorher im Spreizschritt entlangstemmen musste." Risikofrei ist die Bergung zwar auch jetzt nicht - aber deutlich kräfteschonender. Es gebe keine Stelle, die Johann W. allein bewältigen müsse, möglicherweise könnte er in einer Trage am Seil transportiert werden.

Johann W. ist in einer Höhle verunglückt, die er vor etwas mehr als zehn Jahren als einer der ersten überhaupt betrat. Die 1996 entdeckte Höhle ist die tiefste und mit 19,2 Kilometern auch die längste Deutschlands. Johann W. gilt als umsichtiger und exzellent vorbereiteter Höhlenforscher. Am Pfingstwochenende, als der Unfall geschah, war er mit zwei Kollegen unterwegs, die Wetterbedingungen waren perfekt. Als W. bei einem Steinschlag getroffen wurde, reagierten die Begleiter genau richtig, sagt die Bergwacht: Sie trennten sich, einer blieb bei Johann W. und übernahm die Notfallversorgung, der andere machte sich an den Aufstieg, um Hilfe zu holen.

Bis Mittwochabend blieben die angekündigten Gewitter und Regenfälle noch aus, die den Rettern etwas Sorgen bereiten. Immerhin befänden sich alle Teams an Stellen, wo sie vor Wasser geschützt seien. Die Höhle, in der Johann W. liegt, bezeichnete Einsatzleiter Nils Bräunig sogar als "komfortabel": trocken und geschützt.

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