Unfallstatistik:Auf diesen Motorradstrecken passieren die meisten Unfälle

Lesezeit: 3 min

Am Kesselberg sowie auf der Strecke am Sudelfeld und auf der B 13 bei Eichstätt passieren die meisten Unfälle. (Foto: SZ-Grafik)

Oft jagen Biker geradezu halsbrecherisch von Kurve zu Kurve. Auch der Einbau von Sicherungen hilft nicht immer, das zu verhindern, wie das Beispiel Kesselberg zeigt.

Von Matthias Köpf, Kochel am See

Was es heißt, am Limit zu fahren, das lässt sich auf Videos betrachten, die manche Biker von ihren Touren am Kesselberg oder am Sudelfeld ins Internet stellen. Auch aus der noch jungen Motorrad-Saison 2016 gibt es schon einige solche Clips. Die Schräglagen sind oft extrem, und das Limit wird jedenfalls nicht von einer doppelten durchgezogenen Linie oder gar von einer Geschwindigkeitsbegrenzung gesetzt. Manchmal überholen die Fahrer mitten in Rechtskurven oder ohne jeden Einblick in die nächste Kehre.

Was auf viele Autofahrer halsbrecherisch wirken mag, das erscheint auch aus der Perspektive einer Brustgurt- oder Schulterkamera nicht weniger gefährlich. Und manchmal ist auf den Videos sogar ein Ausrutscher eines anderen Bikers, ein eigener Beinahe-Unfall oder eine Absperrung der Feuerwehr zu sehen. Dann hat wieder einer die Kurve nicht mehr gekriegt.

Der Kesselberg zwischen dem Kochel- und dem Walchensee, das Sudelfeld zwischen Bayrischzell und dem Inntal und auch die B 13 von Eichstätt hinauf auf das Hochufer des Altmühltals gehören zu den unfallträchtigsten Straßenabschnitten in ganz Bayern. Die bei der Autobahndirektion Südbayern angesiedelte Zentralstelle für Verkehrssicherheit hat allein an diesen drei beliebten Motorradstrecken in den vergangenen vier Jahren 82 Schwerverletzte und sieben Tote registriert.

Unfallstatistik
:Motorradfahrer sind besonders gefährdet

Noch nie sind so wenige Menschen auf den Straßen ums Leben gekommen wie 2015. Heißt das jetzt, dass die Bayern rücksichtsvoller fahren? Mitnichten.

Von Daniela Kuhr

Weitaus die meisten Verletzen gab es demnach auf der Kesselberg-Strecke, die sich auf neun Kilometern rund 250 Höhenmeter auf den Sattel zwischen Jochberg und Herzogstand schwingt und dann in einigen engen Kehren hinunter zum Walchensee führt. Elf Schwerverletzte gab es dort allein 2015, in den drei Jahren davor waren es insgesamt 40. Denn bei Bikern führt mangels Knautschzone fast jeder Unfall zu Verletzungen.

Dass in dieser Zeit am Kesselberg keiner sein Leben lassen musste, ist laut Steffen Wiedemann "nur dem Zufall zu verdanken". Ein minimal anderer Aufprallwinkel oder doch ein Auto auf der Gegenspur, und es wäre um manchen Motorradfahrer geschehen, glaubt Wiedemann, der die Polizeistation in Kochel leitet. Mal sind er und seine Kollegen als erste am Unfallort, mal ist es der im selben Gebäude untergebrachte Rettungsdienst. Der Hubschrauber aus dem nahen Murnau kann am Kesselberg nirgendwo landen. Allerdings setzt er oft mit der Seilwinde einen Notarzt ab.

100 Stundenkilometer sind trotz Tempolimit Usus

Am etwas weitläufigeren und höheren Sudelfeld-Pass gibt es insgesamt viel weniger Unfälle, aber weitaus die meisten Toten, denn längere Geraden scheinen höhere Geschwindigkeiten zuzulassen, und auch die ausgeschilderten Tempobegrenzungen liegen oft höher. Doch die wenigen Hochrisikofahrer unter den Bikern halten sich ohnehin nicht an Tempolimits. Am Kesselberg sind durchgehend nur 60 Stundenkilometer erlaubt, doch Tempo 100 ist laut Steffen Wiedemann dort bei einer bestimmten Art von Bikern "absolut Usus".

Zu den Hochrisikofahrern zählt die Polizei nur etwa fünf Prozent der Biker, und es sind nicht nur diejenigen mit den hochgezüchteten Rennmaschinen. Die weitaus größte Zahl der Motorradfahrer verhalte sich verantwortungsbewusst und regelkonform betont die Polizei. So passiert sogar am Kesselberg, wo an manchen Tagen bis zu 150 Fahrer gleichzeitig auf der Strecke sind, im Verhältnis zur großen Zahl der Fahrer vergleichsweise wenig.

Autobahn A 95
:Carrerabahn für Männer mit Geld

Keine Tempolimits, kaum Lastwagen - die A 95 in Oberbayern nutzen vor allem Männer zum Rasen. Sie drehen in teuren Autos hoch auf Tempo 300, prahlen im Internet mit ihren Rekorden - und gefährden mit maßloser Selbstüberschätzung sich und andere.

Von Sebastian Beck, Frank Müller, Theo Müller und Ralf Scharnitzky

Viele Biker reisen Hunderte Kilometer an, um am Kesselberg 20- oder 30-mal die Serpentinen hinauf und wieder hinunter zu fahren - wobei es bergauf den größeren Spaß macht, beim Beschleunigen aus der Kurve die Kraft der Maschinen zu spüren. Und zum Spaß zu fahren sei weder verboten noch verwerflich, betont der Polizist Wiedemann, der selbst Motorradfahrer ist.

Nur an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen ist der Kesselberg Richtung Walchensee für Biker gesperrt. Für die harten Raser ist das Wochenende ohnehin nicht attraktiv, wenn zahllose Ausflügler mit ihren Autos und Wohnmobilen in Kolonne über den Pass zuckeln.

1100 Schwerverletzte allein im Jahr 2015

Neben dieser Sperrung versuchen die Behörden seit 2014, die Biker an Sudelfeld und Kesselberg mit quer zur Fahrbahn eingelassenen Rüttelstreifen zu bremsen - bisher ohne erkennbaren Erfolg, wie Wiedemann einräumt. Gleichwohl arbeiten Polizei und Straßenbauamt gerade an neuen Ideen für den Kesselberg.

Die Maßnahmen der vergangenen Jahre wie ein besserer Unterfahrschutz an den Leitplanken oder ein möglichst makelloser Asphalt können aus Wiedemanns Sicht zwar mehr Sicherheit bringen, aber auch manchen Fahrer zu einer riskanteren Fahrweise verführen, wie es auch die immer bessere Technik an den Motorrädern manchmal tut.

Abgesehen von abgefahrenen Reifen und technischen Defekten wird an den Maschinen auch gerne manipuliert - und sei es, dass die Fahrer die Kennzeichen aufbiegen, um auf Blitzerfotos nicht erkennbar zu sein. Immer wieder müssen sich Fahrer, die bei den regelmäßigen Kontrollen am Kesselberg bei so etwas ertappt werden, vor dem Amtsgericht im nahen Wolfratshausen dafür verantworten.

Die polizeiliche Praxis, bei gravierenden Verstößen generell die Motorräder für einige Tag sicherzustellen und die Fahrer erst einmal ohne Maschine heimzuschicken, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vor einigen Jahren unterbunden. Seither muss jeder Einzellfall gut begründet werden. Dass 2015 allein im oberbayerischen Alpen- und Voralpenland 1100 Motorradfahrer schwer verletzt wurden und 29 ums Leben gekommen sind, reicht dafür nicht aus.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: